Eine neue Studie bezieht die Patientensicht in die Planung von Klinikstandorten mit ein. Das Ergebnis: weniger Standorte, dafür bessere Überlebenschancen für die Behandelten.
Wer krank ist und sich für eine Klinik entscheiden muss, steht vor einer schwierigen Wahl. Einerseits ist es schön, wenn der Ort, an dem man vielleicht mehrere Tage oder sogar Wochen verbringen wird, gut erreichbar ist. Familie und Freunde müssen dann für Besuche nicht so weit fahren. Vielleicht kennt man sogar das ärztliche Team oder die Mitarbeitenden. Manchmal macht es jedoch einen deutlichen Unterschied, ob die Klinik, in der man eine Erkrankung behandeln lässt, auch auf diese spezialisiert ist.
Bei Krebs zum Beispiel können die Unterschiede sehr groß sein. Eine Analyse der Regierungskommission für Krankenhausversorgung von 2023 zeigte, dass zertifizierte Zentren vor allem bei Brustkrebs und Darmkrebs wesentlich bessere Ergebnisse erzielen. Ähnlich ist es bei Hüft- oder Kniegelenkersatz. Viele Folge-OPs fallen nur an, weil in der behandelnden Klinik die entsprechende Routine für den eigentlichen Eingriff fehlt. Selbst bei zeitkritischen Notfällen wie Schlaganfällen kann es unter Umständen die richtige Entscheidung sein, am nächstgelegenen Krankenhaus vorbei in ein besser aufgestelltes Zentrum zu fahren.
Krankenhausreform soll Versorgung optimieren
„Geht es um komplexe medizinische Leistungen, müssen sich nicht nur die behandelnden Ärztinnen und Ärzte sehr gut damit auskennen“, sagt Dr. Martin Rößler. „Es geht auch um das Pflegepersonal. Darum, wie viel Erfahrung die Mitarbeitenden mit solchen Fällen haben und wie gut die entsprechenden Prozesse abgestimmt sind.“ Martin Rößler ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Projektleiter am bifg, dem Barmer Institut für Gesundheitssystemforschung. In einer Studie hat seine Arbeitsgruppe untersucht, wie die Verteilung von Kliniken, die Lungenkrebsoperationen durchführen, in Deutschland ausfiele, wenn man die Patientinnen und Patienten in die Planung einbezöge.
Denn wie viele Krankenhäuser Deutschland braucht und wo diese stehen sollten, wird derzeit verhandelt. Anfang 2025 trat in Deutschland die Krankenhausreform in Kraft. Sie soll die deutsche Kliniklandschaft neu strukturieren. Das ist nötig: Die letzte große Reform liegt über 20 Jahre zurück. Viele Krankenhäuser in Deutschland stehen zudem wirtschaftlich unter Druck. Ihnen fehlen einerseits Fachkräfte. Andererseits lassen sich Patientinnen und Patienten immer häufiger außerhalb des Krankenhauses behandeln. Finden chirurgische Eingriffe in Praxen anstelle von Kliniken statt, sinken in letzteren jedoch die sogenannten Fallzahlen und somit die Einnahmen. Die Krankenhausreform soll unkontrollierte Schließungen verhindern und gleichzeitig die Versorgung optimieren.
Patienten entscheiden: Qualität oder Nähe?
Wie also sollten Kliniken in Deutschland verteilt sein? Bisher wird bei der Planung vor allem Wert auf kurze Entfernungen für die Patientinnen und Patienten gelegt: Wer ein chirurgisches Angebot sucht, soll nicht länger als 20 Minuten mit dem Auto fahren müssen. Ob die Person im nahen Krankenhaus auch die für sie beste Behandlung bekommt, wird dabei nachrangig behandelt. Der Grund: Erreichbarkeit ist relativ einfach zu messen. Im Grunde genügt dafür eine Navigations-App. Martin Rößler: „Qualität zu messen ist schwieriger. Noch komplizierter ist es, Qualitätspotenziale zu erfassen – also beispielsweise, wie wahrscheinlich es ist, dass eine Person nach ihrer Operation noch mindesten ein Jahr weiterlebt.“ Für Patientinnen und Patienten macht dies jedoch durchaus einen Unterschied. Eigentlich sollten sie deshalb in die Planung der Standorte einbezogen werden, sagt Rößler.
Dr. Martin Rößler ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Projektleiter am bifg, dem Barmer Institut für Gesundheitssystemforschung.
Am Forschungsinstitut bifg wurde nun eine Methode entwickelt, um dieses Problem zu lösen. „Wir nehmen dafür die Patientenperspektive ein. Unser Ansatz ist also patientenzentriert. Wir sprechen auch von wohlfahrtsbasiert“, so Rößler. Gedanklicher Ausgangspunkt war eine fiktive bevorstehende Lungenkrebs-Operation – ein sehr komplexer Eingriff. Die 1000. Studienteilnehmenden sollten angeben, wie wichtig ihnen die Qualität der Behandlung im Vergleich zum Anfahrtsweg ist. „Wir haben die Teilnehmenden so ausgewählt, dass ihre demographischen Charakteristika die Patientinnen und Patienten repräsentieren“, so Rößler. Ähnlich wie bei Lungenkrebs-Patienten lag zum Beispiel ihr Altersdurchschnitt bei 69 Jahren.
Die Studie wurde gemeinsam mit Mitgliedern der Regierungskommission für Krankenhausversorgung durchgeführt. Zu Beginn erhielten die Teilnehmenden ein umfassendes Briefing: Wie bemisst sich die Qualität bei dieser konkreten Behandlung? Wie wichtig ist die Nähe zu Freunden und Familie? Wie bemisst sich die Qualität bei dieser konkreten Behandlung? Insbesondere letztere Informationen haben Patientinnen und Patienten normalerweise nicht. „Wer sich in der realen Welt zwischen zwei Krankenhäusern entscheiden muss, weiß in der Regel nicht, wo die Qualität besser ist“, sagt Martin Rößler. „Für unsere Studie konnten wir diese Informationen jedoch angeben.“
Größter Qualitätssprung auf dem Land
Aufgabe der Befragten war es nun, sich zwischen jeweils zwei Krankenhäusern zu entscheiden, die durch unterschiedliche Qualitäts- und Entfernungsangaben charakterisiert waren. Anhand dieser Daten errechnete das bifg-Team, wieviel zusätzliche Fahrtzeit die Befragten für Qualitätsverbesserungen in Kauf nehmen würden und wie die Krankenhäuser verteilt sein sollten. Das Ergebnis: Basierend auf den Entscheidungen der Befragten sollten die Standorte für besagte Lungenkrebs-Operation auf 15 bis 22 konzentriert werden. Aktuell führen in Deutschland über 140 Krankenhäuser solche Eingriffe durch. Würde man Behandlung von Lungenkrebs gemäß den Studienergebnissen zentralisieren, würde die Ein-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit der Patientinnen und Patienten nach dem Eingriff signifikant steigen. Allerdings verlängerten sich dadurch auch die Anfahrtswege. Laut der Studie müssten die Patientinnen und Patienten jedoch durchschnittlich nur 14 zusätzliche Minuten in Kauf nehmen.
„Wir haben dabei so gerechnet, dass niemand übermäßig benachteiligt wird“, so Rößler. Menschen aus dünnbesiedelten Gegenden hätten zwar den größten Zuwachs bei der Anreise. Für sie ergäbe sich aber auch der stärkste qualitative Effekt. Rößler hofft, dass diese Ergebnisse in zukünftige Planungen mit einfließen. „Wir wollen unsere Methodik auch auf andere medizinische Leistungen anwenden.“ Zumindest in der Theorie habe diese gezeigt, wie eine erfolgreiche Reform aussehen könnte – nicht obwohl, sondern gerade weil dabei konsequent die Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten berücksichtigt wurden.
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