Psychische Belastungen nehmen zu – doch wie erkennt man, wenn jemand im Umfeld seelische Unterstützung braucht? Eine Anleitung zur Mentalen Ersten Hilfe.
Wenn Rebecca Raschun zockt, dann häufig Spiele, die sich um Freundschaft und Beziehungen drehen. Meist hat sie dabei ein Publikum: Die Österreicherin ist Streamerin. Während sie ihre Charaktere mit dem Controller steuert, überträgt sie das in Echtzeit ins Netz – und Hunderte schauen dabei zu. Sie macht das seit 2012. „Streamerin zu werden war schon früh mein Traum“, sagt sie. Dass das Zocken vor der Kamera sie irgendwann auslaugen würde, konnte sie sich da noch nicht vorstellen.
Die Österreicherin Rebecca Raschun ist Streamerin. Foto: privat
Als sie damit begann, war die junge Frau eine Ausnahme in der männlich geprägten Szene. Dazu bedeutete die Karriere, die sie anstrebte, eine ziemliche Investition: „Die Technik war teuer, ich verdiente mit den Streams aber noch kein Geld. Mangels Anleitungen musste ich zudem viel herumprobieren: Was funktioniert gut, was nicht? Das kostete Zeit.“ Tagsüber ging Raschun – auf Plattformen wie Twitch und YouTube kennt man sie als JustBecci – studieren oder jobbte in Marketingagenturen. Traf sich ihr Freundeskreis im Biergarten, saß sie vor dem Bildschirm. „Als Streamerin arbeite ich, wenn andere Feierabend haben und unterhalten werden wollen.“ Neuveröffentlichungen der schnell getakteten Gaming-Branche bestimmten ihren Alltag: „Meine Follower warteten ja darauf, dass ich darüber berichte.“ Ihr Freundeskreis veränderte sich. Raschun traf sich nun mehr mit anderen Influencerinnen und Content Creators. „Die hatten wenigstens zur gleichen Zeit frei.“
Erschöpfung während der Pandemie
Neun Jahre später bespielte Rebecca Raschun mehrere Streams. Regelmäßig stand sie auch bei Events der Gaming- und E-Sport-Szene als Moderatorin auf der Bühne. Dann kam Corona. Veranstaltungen fielen aus und damit die Moderations-Jobs. Für viele Menschen verlagerte sich der Alltag in dieser Zeit ins Netz. Die Computerspiel-Verkäufe boomten. „Bei anderen Streamern gingen die Zugriffszahlen durch die Decke“, erinnert sich Raschun. „Meine stagnierten.“ Sie habe sich gefühlt, wie die langjährige Mitarbeiterin, die zusehen muss, wie ein Berufsanfänger zum Chef befördert werde. War ihr Einsatz – immer vorn dabei, Freizeit und Freundschaften geopfert – so wenig wert? Sie sei damals ständig wütend gewesen. „Ich hatte das Gefühl, ich bin nicht gut genug. Es hat mich psychisch fertiggemacht.“ Als sie eines Tages in ihrer Küche zu weinen begann und nicht mehr aufhören konnte, realisierte sie: „Ich muss die Reißleine ziehen.“
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Nicht gut genug, unbeliebt, für den Job ungeeignet, eine Last für andere: Viele Menschen kennen solche Gedanken. Dazu kommt das aktuelle Weltgeschehen: Kriege und Krisen, die dank Smartphone und Internet allgegenwärtig sind. Abschalten fällt wortwörtlich schwer. Hören die Grübelattacken nicht mehr auf, kann das massiv belasten – und langfristig zu einer psychischen Erkrankung führen. Aus anhaltendem Stress, wie ihn Rebecca Raschun erlebt hat, wird dann vielleicht eine Depression oder Angststörung.
Die Psychologin Dr. Ines Keita ist die stellvertretende Geschäftsführerin der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Suizidprävention. Foto: Maximilian Weishäutel
Schon Jugendliche und junge Erwachsene fühlten sich häufig unter Druck, sagt die Psychologin Dr. Ines Keita: „In der Pubertät spüren sie, wie der Körper sich verändert. Sie wollen dazugehören, müssen ihren Weg finden. Dazu kommt Stress durch den Schulabschluss, Prüfungen, später der Wechsel ins Berufsleben.“ Keita ist die stellvertretende Geschäftsführerin der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Suizidprävention. „Alle jungen Menschen erleben diese Art von Herausforderungen. Liegt zusätzlich eine entsprechende Veranlagung vor, kann es bei anhaltender psychischer Belastung jedoch zu einer psychischen Erkrankung kommen.“ Etwa die Hälfte solcher Erkrankungen entstehen laut Studien vor dem 19. Lebensjahr. Daher sei es wichtig, gerade in dieser Lebensphase auf Warnsignale zu achten und falls nötig Unterstützung anzubieten, so die Psychologin.
Unterstützung durch das nahe Umfeld
Manchmal merkt das nahe Umfeld – Freundeskreis, Familie, Jugendliche aus der Klasse oder andere Studierende –, dass etwas nicht gut läuft. Vielleicht zieht die betroffene Person sich zurück, will plötzlich nicht mehr ins Kino, findet schwimmen auf einmal doof und hat keine Zeit fürs gemeinsame Lernen. Oder sie hängt nur noch am Smartphone. „Dann ist es gut, das anzusprechen“, sagt Dr. Ines Keita. „Etwa: Du hast dich verändert, ich mache mir Sorgen.“ Denn allein aus so einem Tunnel rauszukommen, ist schwer. Selbstzweifel und Hoffnungslosigkeit blockieren meist den Blick auf die eigene Lage und mögliche Auswege. Der Streamerin Rebecca Raschun half eine langjährige Freundin: „Sie kannte mich gut genug, um meine Situation einordnen zu können. Sie war sehr reflektiert, stellte mir vor allem erstmal Fragen. Dadurch fiel es mir leichter, meine Gefühle zu sortieren: Was ist wirklich mit mir los? Was brauche ich jetzt?“
Ein offenes Wort kann Überwindung kosten – ist aber wichtig
Um andere auf ihre Gefühle anzusprechen, braucht man jedoch ein bisschen Mut. Gerade, wenn es um negative Gefühle geht. „Vielleicht will man sich nicht einmischen oder ist unsicher, wie schlecht es der Freundin oder dem Freund wirklich geht“, sagt Ines Keita. Dazu kommt die Befürchtung, möglicherweise etwas Falsches zu sagen. Nicht alle Menschen haben schließlich Erfahrung mit mentalen Belastungen oder wissen, wo die Grenze zur psychischen Erkrankung verläuft. „In den Sozialen Medien gibt es mehr und mehr Informationen darüber“, sagt die Psychologin Ines Keita. Diese tragen einerseits zum Austausch und zur Aufklärung bei. Es verbreiten sich aber auch mehr Fehlinformationen.
Bei sehr sensiblen Themen kommt möglicherweise auch die Sorge dazu, durch eine offene Ansprache von Problemen die Freundschaft zu gefährden – zum Beispiel, wenn jemand zu viel Alkohol trinkt. „Eine weitere Herausforderung: Oft wissen Betroffene oder ihr Umfeld nicht, welche Anlaufstellen es gibt“, so Keita.
Online Mentale Erste Hilfe lernen
Mit dem Online-Kurs Mentale Erste Hilfe hat die Barmer ein Angebot geschaffen, das sich all diesen Themen widmet. Der digitale Kurs besteht aus drei Modulen, die einzeln besucht, pausiert und auf Wunsch auch wiederholt werden können. Teilnehmende lernen darin, wie sie bei sich selbst und anderen Warnsignale erkennen und unterstützend reagieren. „Die Anzahl der Jugendlichen und jungen Erwachsenen, bei denen eine psychische Erkrankung diagnostiziert wird, hat in den letzten sechs Jahren zugenommen“, sagt der Barmer-Mitarbeiter Axel Müller.
Axel Müller leitet bei der Barmer das Kampagnen-Team. Foto: privat
„Mit dem Angebot Mentale Erste Hilfe möchten wir junge Menschen dabei unterstützen, offen über psychische Gesundheit zu sprechen. Es geht vor allem darum, psychischen Belastungen zu begegnen, bevor daraus eine Erkrankung wird – und darum, Menschen zu befähigen, anderen in solchen belastenden Situationen und Lebensphasen beizustehen." Axel Müller leitet bei der Barmer das Kampagnen-Team. Der Online-Kurs Mentale Erste Hilfe und die begleitende Social-Kampagne entstanden auf seine Initiative hin. Der Kurs soll Menschen befähigen, anderen in schwierigen Situationen und Lebensphasen beizustehen und psychischen Belastungen zu begegnen, bevor daraus eine Erkrankung wird. „In meinem Team betreuen wir die Social Media-Kanäle der Barmer. Dadurch sind wir sehr nahe dran an den jungen Menschen und den Themen, die sie bewegen. Wir wollten eine Maßnahme erarbeiten, um das Wissen und das Kommunikationsvermögen beim Thema psychische Gesundheit in insbesondere dieser Gruppe zu stärken. Mit der Stiftung Deutsche Depressionshilfe haben wir dafür eine sehr kompetente Partnerin gefunden.“
Professionelle psychologische Unterstützung
Der Kurs startete als digitales Live-Angebot. Seit Dezember 2024 wurde daraus dann eine jederzeit abrufbare Seminarreihe. Diese steht auf der Webseite der Barmer für alle Interessierten zur kostenfreien Nutzung bereit. Bereits über eine Million Menschen haben die Seite besucht. Bis März 2025 haben sich bereits über 22.000 für den Kurs registriert. Entwickelt wurde dieser gemeinsam mit der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Suizidprävention.
Die Psychologin Ines Keita führt durch die drei Module. Unter anderem erklärt sie, wie man die eigene mentale Gesundheit stärkt – denn dann ist es einfacher, mit Herausforderungen umzugehen, gute Beziehungen zu sich selbst und anderen aufzubauen und durch schwierige Lebensphasen hindurchzumanövrieren. Ein weiterer Aspekt im Kurs: einfühlsam auf andere zugehen. Und natürlich Antworten auf die Frage, wohin man sich wenden kann, wenn ein freundschaftliches Gespräch nicht ausreicht. Bei länger anhaltenden Belastungen sollten dann professionelle Fachkräfte hinzugezogen werden, zum Beispiel der Schulpsychologe, die psychologische Beratungsstelle der Hochschule oder auch die Kinder- oder Hausärztin. Diese können beurteilen, was hilfreich und gegebenenfalls notwendig ist, und bei den nächsten Schritten unterstützen.
Auszeiten können heilsam sein
Rebecca Raschun nahm sich 2021 eine sechsmonatige Auszeit vom Bildschirm. In einem Abschiedsstream erklärte sie ihren Followern die Gründe. „Mir kamen dabei mehrmals die Tränen. Gleichzeitig hatte ich Schuldgefühle“, erinnert sie sich. „Dieser Druck, den ich empfand, immer gutgelaunt am Start sein zu müssen – war das wirklich so schlimm?“ Dazu kam die Angst vor negativen Kommentaren. Letztlich sei es aber wichtig gewesen, ehrlich zu sein: „Ich wollte zeigen, dass auch bei uns Content Creators nicht immer alles super läuft. Im Internet lächeln wir. Hinter den Kulissen kann es jedoch ganz anders aussehen.“ Ihre selbstverordnete Pause nutzte sie unter anderem, um mit Freundinnen auf einer Dachterrasse zu sitzen oder mit ihrer Mutter zum Badesee zu fahren. Sie befreite sich von emotionalem Ballast und setzte sich Ziele für die Zukunft: „Einfach mal einen Tag öfter frei machen. Oder ein paar Leuten in den Sozialen Medien entfolgen, anstatt mich zu fragen, warum die vermeintlich erfolgreicher sind. Das half mir, meinen Weg und meine eigene Geschwindigkeit zu finden.“
Mittlerweile moderiert sie wieder bei Veranstaltungen, streamt auf Youtube und Twitch. Dabei spricht sie auch Themen wie Burnout, Hasskommentare oder den Umgang mit sexualisierten Inhalten an. Unter anderem für dieses Engagement wurde sie für den Deutschen Computerspielpreis als Spieler*in des Jahres nominiert. „Wir müssen mehr über mentale Gesundheit reden“, sagt sie. „Mich hat früher zum Beispiel nie irgendjemand gefragt, wie es mir in meinem Job eigentlich geht. Dabei wäre das so hilfreich gewesen.“ Heute kann sie diese Frage wieder mit einem guten Gefühl beantworten.
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