Krankenkassen verfügen über viele Gesundheitsdaten. Verantwortungsvoll ausgewertet, können diese gesundheitliche Risiken erkennbar machen. Wie Versicherte davon profitieren, erklären wir hier.
Staus vermeiden und vor schlechten Verkehrsbedingungen warnen – seit es Navigationssysteme gibt, ist das Autofahren einfacher und sicherer geworden. Dank Echtzeitdaten wissen die Systeme frühzeitig, wo der Verkehr stockt, sich ein Unfall ereignet hat oder Hochwasser die Fahrbahn überschwemmt. Wenn möglich, bieten sie alternative Routen an. Das macht sie für viele zu unerlässlichen Hilfsmitteln.
Auch Krankenkassen helfen ihren Versicherten dabei, gesünder durchs Leben zu navigieren. Sie informieren zu Allergien oder Wechselwirkungen bei Medikamenten. Sie klären über Neuerungen im Gesundheitssystem auf. Und wann immer es zu einem Unfall kommt oder eine Erkrankung eintritt, unterstützen sie bei der Therapie. Dabei greifen sie einerseits auf das wachsende Wissen über Krankheiten zurück. Für eine möglichst individuelle Gesundheitsversorgung sind jedoch auch spezifische, persönliche Daten notwendig.

Maria Hinz ist Teamleiterin für Gesunde Arbeit, Diversity, Nachhaltigkeit und CDR in der Barmer.
„Wie wirksam zum Beispiel präventive Maßnahmen sind, hängt davon ab, wie zuverlässig wir die persönlichen Risiken und Ressourcen eines Menschen einschätzen können“, sagt Maria Hinz. Einfach gesagt helfen also bestimmte Informationen dabei, die bestmögliche gesundheitliche Route für jede Versicherte und jeden Versicherten zu finden.
Warum die Auswertung von Gesundheitsdaten Vorteile bringt
Als Teamleiterin für Gesunde Arbeit, Diversity, Nachhaltigkeit und CDR, also der unternehmerischen Digitalverantwortung, hat Maria Hinz bei der Barmer unter anderem den verantwortungsvollen Umgang mit Gesundheitsdaten im Blick. Für die Krankenkassen ist dies ein ständiges Abwägen zwischen Gesundheitsschutz auf der einen und Datenschutz auf der anderen Seite: Zwar verfügen alle Krankenkassen über große Mengen an Gesundheitsdaten, da beispielsweise Ärztinnen und Ärzte oder Krankenhäuser ihre für die Versicherten erbrachten Leistungen mit den Kassen abrechnen. Bislang seien diese Daten aber wenig genutzt worden, sagt Hinz. „Tatsächlich fragen uns Versicherte sogar, warum wir diese Informationen nicht besser auswerten.“ Konkret geht es um Daten zu Behandlungen, Diagnosen und Medikamenten. „Gerade Menschen, die schon mal eine ernsthafte Krankheit hatten oder chronisch krank sind, sind erfahrungsgemäß sehr dankbar, wenn wir uns stärker in ihre Versorgung einbringen.“
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Das Gesundheitsdatennutzungsgesetz: seit März 2024 in Kraft

Ann Kathrin Becker ist Teamleiterin Versorgungsprodukte bei der Barmer.
Eine Änderung im Sozialgesetzbuch macht es für die Krankenkassen nun einfacher, dieses Wissen für die Prävention und Versorgung einzusetzen. Seit März 2024 ist Paragraf 25b (§ 25b SGB V) in Kraft. Als Teil des Gesetzes zur verbesserten Nutzung von Gesundheitsdaten (GDNG) soll er es Kranken- und Pflegekassen ermöglichen, Gesundheitsrisiken bei ihren Versicherten frühzeitig zu erkennen und präventiv tätig zu werden. „Für uns ist das ein sehr wichtiger Schritt hin zu einer individuelleren Gesundheitsversorgung unserer Versicherten“, sagt Ann Kathrin Becker. Die Teamleiterin Versorgungsprodukte bei der Barmer setzte die Neuerung in ihrem Fachbereich um. „Anstatt nur zu reagieren, wenn eine Krankheit bereits besteht, können wir nun auf konkrete Risiken hinweisen“, sagt Ann Kathrin Becker. „Bestenfalls gelingt es uns dadurch, gemeinsam mit den Versicherten Krankheiten zu verhindern. Und auch wenn wir deren Beginn hinauszögern oder diese milder verlaufen, weil wir rechtzeitig darauf hingewiesen haben, wäre das ein schöner Erfolg.“
Rechtzeitig an die Zweitimpfung erinnern
Seit in Kraft treten von Paragraph 25b SGB V hat die Barmer also eine aktivere Rolle im Gesundheitsmanagement. Wie das in der Praxis aussieht, zeigt die erste Anwendung, das Pilotprojekt HPV-Zweitimpfung. Die Impfung schützt vor humanen Papillomviren, kurz HPV. Diese sind die Hauptursache von Gebärmutterhalskrebs und verursachen etliche weitere Erkrankungen. Um sich zu schützen, sollten sich Jungen und Mädchen vor dem ersten Geschlechtsverkehr impfen lassen, idealerweise zwischen neun bis 14 Jahren. Damit der Körper vollständig immunisiert wird, ist innerhalb von 5 bis 13 Monaten eine zweite Impfung notwendig (bei längerem Abstand eine dritte Dosis). „Wir wissen aus Studien, dass die Impfung, wenn sie vollständig ist, extrem gut wirkt“, so Ann Kathrin Becker. „Die Zahl der Erkrankungen geht dadurch deutlich zurück.“ Deswegen entschied sich die Barmer für die Zweitimpfung als ersten Anwendungsfall: Im Pilotprojekt prüfte die Krankenkasse die Daten derjenigen Kinder und Jugendlichen, die bereits ihre erste Impfung erhalten hatten. Bei denjenigen, deren Impfschutz noch nicht komplett war, erinnerte sie die Erziehungsberechtigten schriftlich daran, einen Termin für die zweite Impfung auszumachen.
„Wir haben diesen Anwendungsfall gewählt, weil er sehr gut unseren Umgang mit Paragraph 25b SGB V und den Nutzen für die Versicherten veranschaulicht“, sagt Ann Kathrin Becker. Die in Frage kommenden Kinder und Jugendlichen seien bereits einmal geimpft gewesen. „Wir wussten also, dass sie grundsätzlich bereit dazu sind. Und für die kontaktierten Personen war klar ersichtlich, welche Daten wir für die Auswertung genutzt und warum wir sie an die Zweitimpfung erinnert hatten.“
Rechtmäßige und verantwortungsvolle Datennutzung
Was unkompliziert klingt – „Bitte denken Sie an die zweite Impfung“ – unterliegt festen Regeln. Schließlich sind Gesundheitsdaten sehr sensibel. Um eine Auswertung wie beim Pilotprojekt HPV-Zweitimpfung durchzuführen, muss die Barmer den geplanten Anwendungsfall zuerst dem Bundesamt für Soziale Sicherung (BAS) anzeigen. Anhand der digitalethischen Werte der Barmer wird der Anwendungsfall unter ethischen Aspekten diskutiert. Auch der Verwaltungsrat der Krankenkasse wird über das Vorhaben informiert. Dieser Austausch stellt sicher, dass die Daten rechtmäßig und verantwortungsvoll genutzt werden.
Im nächsten Schritt muss die Krankenkasse die Versicherten in Kenntnis setzen. Das passiert öffentlich, zum Beispiel, indem die Barmer die geplante Auswertung auf der Webseite und per Aushang in den Geschäftsstellen vorstellt. Ein wichtiger Schritt: Versicherte, die nicht möchten, dass die Krankenkasse ihre Daten analysiert, können dem widersprechen. Gut zu wissen: Ein einmaliger Widerspruch genügt, um die eigenen Daten für sämtliche Anwendungsfälle auszuschließen.
Gesundheitsdaten sind sensible Informationen

Nicht nur für die Versicherten, auch für die Barmer ist dieses Vorgehen teilweise neu. „Die Umsetzung des Pilotprojekts war mit einigem Aufwand verbunden“, sagt die Verantwortliche Ann Kathrin Becker. Viele verschiedene Abteilungen seien daran beteiligt gewesen. „Unser Team für Datenschutz, die Juristen im Haus, das Marketing, das die öffentliche Information auf die Webseite gestellt hat sowie die Kundenbetreuung und sämtliche Geschäftsstellen, die den Aushang bereitstellen“, zählt Becker auf. „Die Kolleginnen und Kollegen aus dem Kampagnenmanagement haben die Briefe an die Erziehungsberechtigten versandt. Andere standen am Telefon und an den Schaltern in den Geschäftsstellen bereit, um gegebenenfalls Fragen der Versicherten zu beantworten.“ Ziel war es, eine Blaupause für künftige Anwendungsfälle zu schaffen. „Wir haben intern alle unsere Schritte transparent gemacht, damit Mitarbeitende aus anderen Fachbereichen auf unsere Erfahrungen aus dem Pilotprojekt zurückgreifen können.“
Denn zumindest in der Theorie seien eine Reihe Anwendungsfälle denkbar, sagt Maria Hinz. So könnten bestimmte Risikogruppen gezielt an Impfungen erinnert werden. „Für Menschen, die an einer COPD, also einer eingeschränkten Lungenfunktion leiden, kann zum Beispiel eine Grippe- oder Corona-Impfung ein wichtiger Schutz sein.“ Denkbar sei auch, Versicherte mit akuten Schmerzereignissen auf Therapiemöglichkeiten hinzuweisen, damit deren Schmerzen gar nicht erst chronisch werden.
Mithilfe von Künstlicher Intelligenz ließe sich in Zukunft auch vorhersagen, wie wahrscheinlich es ist, dass eine Person in absehbarer Zeit ins Krankenhaus muss, pflegebedürftig wird oder an Diabetes oder Krebs erkrankt. Hochsensible Fälle also. So schwerwiegende Nachrichten dürfen nicht leichtfertig versandt werden. Hier muss genau bedacht werden, wie beispielsweise Präventionsvorschläge oder die Notwendigkeit eines Arztbesuchs mitgeteilt werden können, ohne Angst auszulösen. „Alle Krankenkassen inklusive der Barmer gehen das Thema deshalb sehr, sehr vorsichtig an“, so Maria Hinz.
Die Versicherten entscheiden
Letztlich liegt es bei den Versicherten, ob und wie sie auf einen entsprechenden Hinweis ihrer Krankenkasse reagieren – zum Beispiel, indem sie versuchen, Stress zu reduzieren, auf das Rauchen zu verzichten oder ihre Ernährung umzustellen. „Der Hinweis, den wir versenden, ist immer nur ein Angebot: Wir sind da, um zu beraten und zu unterstützen, nicht um die Versicherten zu etwas zu drängen“, so Ann Kathrin Becker.
Im Pilotprojekt HPV-Zweitimpfung habe die Barmer bisher rund 9000 Eltern angeschrieben, um auf die ausstehende zweite Impfung hinzuweisen. Das Feedback sei bislang durchweg positiv, sagt Maria Hinz: „Sie haben es als freundliche Einladung aufgenommen.“ Und als exakt solche war der Hinweis ja auch gedacht.
- Bundesministerium für Gesundheit (www.bundesgesundheitsministerium.de) (Abruf vom 26.05.2025): Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GDNG)

Handlungsfeld: Umgang mit Daten
Alle digitalen Technologien basieren auf Daten. Im Gesundheitswesen sind diese besonders wertvoll und besonders sensibel.
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