Junge Frau liegt auf dem Sofa und schaut auf ihr Handy
CDR-Bericht

Online-Attacken mit schlimmen Folgen: Cybermobbing unter Jugendlichen

Lesedauer unter 10 Minuten

Redaktion

  • Jessica Braun

Qualitätssicherung

  • Dirk Weller (Diplom-Psychologe)

Die aktuelle Barmer Jugendstudie zeigt: Eine große Zahl Jugendlicher ist Cybermobbing-Attacken ausgesetzt. Solche Übergriffe können extrem belastend sein. Das Wichtigste: die Betroffenen nicht allein zu lassen.

Manche Betroffene wollen nicht mehr zur Schule gehen. Andere schlafen schlecht oder verweigern das Essen. Und immer wieder kommt es vor, dass Kinder oder Jugendliche darüber nachdenken, sich das Leben zu nehmen. Cybermobbing beginnt oft mit Sticheleien und gemeinen Kommentaren. Für diejenigen, die es trifft, sind die Folgen häufig gravierend. „Viele Formen von psychischen Belastungen und Störungen können durch Cybermobbing verursacht oder begünstigt werden“, sagt Dirk Weller, Diplom-Psychologe bei der Barmer.

Dirk Weller

Diplom-Psychologe Dirk Weller arbeitet bei der Barmer im Marketing.

„Cybermobbing kann zu Depressionen und Angstzuständen führen. Es kann das Selbstwertgefühl erheblich stören. Bei manchen Betroffenen entwickelt sich nach einem Cybertrauma eine posttraumatische Belastungsstörung.“ Die negativen Erinnerungen kommen dann immer wieder, selbst wenn das Mobbing vielleicht schon aufgehört hat. Um Kindern und Jugendlichen, aber auch Eltern und Lehrpersonen in dieser Situation gezielt zu helfen und sie zu unterstützen, forscht die Barmer seit fünf Jahren zu Cybermobbing.

Dieses hat sich, seit Computer und das Internet in den Neunzigern in Schulen und Wohnungen einzogen, als eigene Form des Mobbings etabliert. In Klassen-Chats oder den Sozialen Medien werden dabei Kinder und Jugendliche von ihren Mitschülerinnen und Mitschülern, manchmal aber auch von Fremden angegangen. Die positiven Aspekte des Internets verkehren sich dabei ins Gegenteil: Das Netz verbindet Menschen und macht sie in Echtzeit erreichbar, zu jeder Tages- und Nachtzeit. Das kann nützlich sein, wenn man Informationen sucht oder der Verabredung mitteilen muss, dass man sich verspätet. Aber es kann auch die Intensität des Mobbings auf ein ganz neues Level heben – statt Schulschluss zur Mittagszeit ist nun Psychoterror rund um die Uhr möglich. Mittlerweile verbringen Jugendliche mehr als 70 Stunden pro Woche online. Das ist viel Zeit, um belastende Nachrichten zu bekommen – oder um sie zu versenden.

Steigende Zahlen seit der Coronapandemie

Während der Coronapandemie gab es einen starken Anstieg von Cybermobbing. „Damals verlagerte sich der Alltag für viele Jugendliche zusehends ins Internet. Manche haben dadurch erst verstanden, wie massiv solche virtuellen Übergriffe wirken können“, so Dirk Weller. Das erklärt wohl auch, warum die Zahl der Betroffenen nach wie vor auf hohem Niveau bleibt. Einer Erhebung des SINUS-Instituts im Auftrag der Barmer aus dem Jahr 2024 zufolge waren 16 Prozent der Heranwachsenden selbst Opfer von Cybermobbing. Das sind zwei Prozent mehr als im Jahr 2021. Und die Mehrheit der Befragten hat Cybermobbing bereits in ihrem direkten Umfeld miterlebt: Mehr als jeder zweite Jugendliche berichtete davon. Befragt wurden bundesweit rund 2.000 Jugendliche zwischen 14 und 17 Jahren.

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Bösartige Nachrichten auf WhatsApp und Instagram

Am häufigsten findet Cybermobbing der Studie zufolge auf WhatsApp statt: 50 Prozent der Befragten geben an, dort damit konfrontiert gewesen zu sein. Dahinter folgen TikTok und Instagram mit 43 beziehungsweise 38 Prozent. Die Aggressionen äußern sich dabei auf verschiedene Weise: Mehrheitlich sind die Betroffenen bösartigen Kommentaren und Textnachrichten ausgesetzt – in der Barmer Jugendstudie berichten davon 74 Prozent. Die Mobbenden verbreiten aber auch Gerüchte oder sorgen dafür, dass ihre Zielperson aus der Gruppe ausgeschlossen wird. Manchmal werden im Namen der Betroffenen Fake-Accounts erstellt, um diese zu diskreditieren. Sie werden bedroht oder sogar aufgefordert, sich umzubringen. Von den Studienteilnehmenden beklagten zudem 32 Prozent, dass andere peinliche Bilder oder Videos von ihnen veröffentlicht hätten. „Manchmal werden einfach unvorteilhafte Aufnahmen herumgeschickt. Es kommt aber auch vor, dass die Mobbenden auf der Schultoilette von oben in die Kabine fotografieren“, sagt Charlotte Baumann. Ein intimer Moment, der sich unendlich oft teilen und immer wieder hervorholen lässt.

Jugendliche beraten Jugendliche

Charlotte Baumann

Charlotte Baumann arbeitet ehrenamtlich für Juuuport e. V. (Credit Juuuport)

Charlotte Baumann arbeitet ehrenamtlich für Juuuport e. V.. Der gemeinnützige Verein unterstützt junge Menschen bei Cybermobbing und anderen Problemen im Netz. Anders als bei vielen anderen Anlaufstellen sind es bei Juuuport Jugendliche und junge Erwachsene, die Betroffene beraten: die sogenannten Juuuport-Scouts. Als solche ist Charlotte Baumann seit fünf Jahren aktiv. Ein- bis zweimal pro Woche sucht sie sich aus den Anfragen, die den Verein online erreichen, eine aus und antwortet der Verfasserin oder dem Verfasser. Meistens sind das Jugendliche zwischen 14 und 17 Jahren. „Manche schicken nur ein paar Sätze. Andere beschreiben ihre Situation sehr ausführlich. Aber fast alle brauchen schnell Hilfe“, sagt Baumann. „Die meisten schämen sich oder haben Angst, in die Schule zu gehen.“ Um Anfragen, in denen Suizidgedanken zur Sprache kommen, kümmern sich die erfahreneren Mentorinnen und Mentoren der Scouts.

Viele Varianten von Cybermobbing sind strafbar

Damit die jungen Scouts bestmöglich auf die Betroffenen eingehen können, werden sie regelmäßig geschult: „Wir bekommen Kurse zu den psychologischen Grundlagen sowie zu Urheber- aber auch Strafrecht“, so Baumann. Zwar ist Cybermobbing in Deutschland noch kein eigens definierter konkreter Straftatbestand. Das heißt, es gibt kein Gesetz, das explizit davor schützt. Viele Varianten von Cybermobbing können jedoch zivilrechtlich geahndet werden. Dazu zählt zum Beispiel Identitätsklau, also sich als jene Person auszugeben, die man schikanieren will. „Deswegen lautet einer unserer Ratschläge, die Nachrichten, Bilder und Videos, einfach alles, was einem angetan wird, zu dokumentieren.“ Ebenso wichtig: „Die Bullys – also Leute, die mobben – blockieren und nicht auf die Nachrichten reagieren. Zudem sollten sich Betroffene unbedingt Verbündete suchen, also mit Vertrauten über die Situation sprechen. Seien es die Eltern, Geschwister, Vertrauenslehrpersonen, Freunde oder die Lieblingstante. Niemand sollte so eine Situation mit sich ¬alleine ausmachen. Gemeinsam mit den Eltern und der Lehrerschaft gilt es dann auch zu entscheiden, ob die Polizei hinzugezogen werden sollte.“

Die Schuld liegt bei Täterinnen und Tätern

Junge Frau sitzt an ihrem Schreibtisch und schaut auf ihr Handy

Wer gemobbt wird, fühlt sich plötzlich als Zielscheibe. Umso notwendiger sei es für Betroffene, sich bewusst zu machen, dass sie keine Schuld an den Angriffen hätten, sagt Scout Charlotte Baumann. „Wenn andere anfangen, schlecht über einen zu reden, heißt das nicht, dass man etwas falsch gemacht hat. Das geht einzig von den Täterinnen oder Tätern aus – und es kann wirklich jeden treffen.“ Erstaunlicherweise lässt sich dies laut dem Barmer-Psychologen auch so ähnlich über die Bullys sagen. Dirk Weller: „Ein einheitliches Profil gibt es nicht. Theoretisch können sehr viele Heranwachsende mal in so eine Dynamik hineingeraten. In der Täterforschung zu Cybermobbing zeigen sich lediglich tendenzielle Risikofaktoren.“ Unter den in der Barmer Jugendstudie Befragten gaben 5,2 Prozent an, schon einmal jemanden im Internet gemobbt zu haben. Darunter waren mehr als doppelt so viele Jungen wie Mädchen und die 14- bis 15-Jährigen etwas häufiger vertreten als die Älteren. Dirk Weller betont jedoch, dass es sich hier um Selbstauskünfte handele. „Die eigentlichen Zahlen können anders aussehen.“

Niedrigschwellige Hilfsangebote der Barmer

Eine besorgniserregende Zahl, die aus der Studie hervorsticht: Der Anteil der Betroffenen, die laut eigener Aussage keinerlei Hilfe erhalten haben. Er ist gegenüber dem Vorjahr von 15 auf 25 Prozent gestiegen „So einen massiven Sprung sehen wir wirklich selten“, sagt Dirk Weller. Rückhalt zu erfahren, ist für Kinder und Jugendliche in dieser Situation jedoch immens wichtig. Mit dem Präventionsprogramm DURCHBLICKT! bietet die Barmer Informationen zu einem gesunden Umgang mit dem Internet: Dazu gehören Unterrichtsmaterialien, die Jugendliche und ihr Umfeld resilienter machen, Eltern-Webinare und Lehrerfortbildungen auch zu Cybermobbing. Gerade junge Menschen sind oft unsicher, wie sie mit Freunden in einer derartigen Krise umgehen sollen. Seit 2024 bietet die Barmer deswegen einen kostenfreien Kurs an, wie man Mentale Erste Hilfe leistet. Die sieben Videoeinheiten vermitteln grundlegendes Wissen und Fähigkeiten, die helfen, anderen in psychisch belastenden Phasen zur Seite zu stehen – sei es, weil diese gemobbt werden, mit Leistungsdruck in der Schule kämpfen oder eine depressive Episode erleben. Teilnehmende erfahren, wie man sensibel und wertschätzend über Belastungen spricht, aber auch, bei welchen Anlaufstellen es professionelle Unterstützung gibt.

Erwachsene sind gefragt

Ein Mädchen wird von einer jungen Frau getröstet

Obwohl es ein so weit verbreitetes Phänomen ist, wird Cybermobbing noch immer zu oft heruntergespielt. Mit „Dann geh doch einfach nicht mehr online“, ist Kindern und Jugendlichen nicht geholfen. Viele der Digital Natives, also jener Generation, die mit dem Internet aufgewachsen ist, können sich ein Leben ohne Smartphone und Soziale Medien nicht vorstellen. Sie chatten online mit ihren Freundinnen und Freunden, lernen neue kennen, verabreden sich zum Sport oder Ausgehen, teilen Fotos oder diskutieren Hausaufgaben. Und wie die Erwachsenen nutzen sie die Online-Angebote auch, um zwischendurch einfach mal den Alltag auszublenden. Umso wichtiger ist es, dass sie dort keine Angst haben müssen – und dass Eltern und Lehrpersonen für sie da sind, wenn es doch so ist. Das wünscht sich Charlotte Baumann: „Es ist enorm wichtig, dass Cybermobbing ernst genommen wird. Denn das, was für die einen nur ‚eine blöde kleine Nachricht‘ ist, kann für andere enorme Auswirkungen haben.“

Werden Kinder oder Jugendliche das Ziel von virtuellen Übergriffen, sind die Eltern gefragt. Hier einige Tipps, was Erwachsene tun können:

Darüber sprechen 
Sprechen Sie in der Familie offen über Cybermobbing. Machen Sie klar, dass die Opfer keine Schuld tragen. Erklären Sie Ihrem Kind, wie in so einer Situation vorzugehen ist (z. B. Beweise sichern, Erwachsene informieren).

Auf Warnsignale achten
Manche Kinder verschweigen, wenn sie gemobbt werden. Wenn diese
- bei Online-Aktivitäten gereizt oder traurig wirken
- deutlich mehr oder weniger online sind 
- ängstlich wirken oder sich aus dem Freundeskreis zurückziehen
- den Bildschirm wegklicken oder das Gerät ausschalten, wenn Erwachsene in der Nähe sind 
- Konzentrationsschwierigkeiten, Leistungsabfall oder ungewöhnliches Verhalten zeigen,
dann kann Cybermobbing die Ursache sein.

Dokumentieren und melden
Machen Sie Screenshots von Belästigungen, inklusive Profil der mobbenden Person und der Plattform. Häufig wissen die Betroffenen, wer sie attackiert. Suchen Sie ggf. das Gespräch mit den Eltern, damit diese die Übergriffe unterbinden. Melden Sie die Vorfälle der Schule und der jeweiligen Plattform und stellen Sie sicher, dass Ihr Kind die mobbende Person blockiert. Reagieren Plattform-Betreibende nicht, können Sie sich an eine Beschwerdehotline wie z. B. www.jugendschutz.net wenden.

Strafanzeige stellen
Bei massiven Beleidigungen, Drohungen und groben Persönlichkeitsrechtsverletzungen ist es möglich, Strafanzeige bei der Polizei zu erstellen.

Hilfsangebote nutzen
Kinder sollten wissen, an wen sie sich wenden können (z. B. Hilfetelefon, Online-Beratungsstellen). Auch Eltern finden Unterstützung bei spezialisierten Organisationen und Hotlines. Eine Liste von möglichen Anlaufstellen finden Sie hier.

 

 

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