Auffällig an der Untersuchung waren die großen Unterschiede zwischen Männern und Frauen. „Frauen sagen sehr viel häufiger als Männer, dass sie ein schlechtes Gewissen haben, weil sie nicht genug Zeit für ihre Familie haben“, berichtet Luck. Männer gaben dagegen öfter an, dass ein Fehlverhalten in der Beziehung, wie etwa Fremdgehen, oder ein allgemeines Fehlverhalten sie ins Grübeln bringe. „Es hat mich überrascht, wie stark sich hier die gesellschaftliche Rollenverteilung gezeigt hat“, so der Sozialwissenschaftler.
Auch bemerkenswert: Jüngere gaben bei der Befragung mehr Gründe für ein schlechtes Gewissen an als Ältere. Ob man im Alter milder mit sich selbst wird und deshalb seltener ein schlechtes Gewissen hat oder ob man schlicht stärker nach seinen Werten lebt, konnte die Untersuchung nicht klären. Was sie jedoch zeigte: Mit dem Alter verändern sich die Gründe, die einen ins Grübeln bringen: So bedauern Ältere häufiger rückblickend, dass sie nicht genug Zeit mit der Familie verbracht haben.
Letztlich bestätigten die Ergebnisse, was auch andere Umfragen herausfanden, erklärt Luck: „Menschen sagen häufig, dass das Wichtigste im Leben ist, Zeit mit den Menschen zu verbringen, die man liebt.“ Doch gerade in der Phase, in der Beruf und Familienzeit zusammenfallen, nehmen sich viele Menschen nicht so viel Zeit dafür. „Das schlechte Gewissen zeigt dieses Bedauern“, erklärt der Psychologe. „Das kann ein Motivator für Jüngere sein, darauf mehr zu achten – sonst bedauert man es später.“
Ist ein schlechtes Gewissen wirklich schlecht?
Auch, wenn es „schlechtes Gewissen“ heißt, würde Luck das Wörtchen „schlecht“ gern streichen: „Das schlechte Gewissen ist ein soziales Gefühl und diese sind sehr wichtig“, erklärt der Psychologe. „Es zeigt uns an, dass wir etwas tun, das nicht in Ordnung ist. Und es motiviert uns, das künftig anders zu machen.“ Wie ein Autopilot für unser soziales Verhalten schickt es uns wieder auf die Spur, wenn wir zu weit von den Regeln der Gemeinschaft oder unseren Prinzipien abweichen. So helfe das schlechte Gewissen, uns zu verbessern – auch wenn es sich erst einmal nicht gut anfühlt, erklärt Luck.
Warum habe ich ständig ein schlechtes Gewissen?
Aber warum haben wir auch dann ein schlechtes Gewissen, wenn wir etwa völlig berechtigt wegen einer Krankheit zu Hause bleiben, statt ins Büro zu gehen? Das ist sozial doch völlig akzeptiert. Oder wenn wir einer Freundin oder der eigenen Mutter ehrlich sagen, dass uns ein Verhalten stört, weil wir die Beziehung zu ihr verbessern wollen? Dies sei völlig normal, erklärt Luck: „In uns wirken verschiedene Bedürfnisse. Und manchmal sind diese auch widersprüchlich.“ Zum Beispiel der Wunsch ein guter Mitarbeiter zu sein – und der Wunsch, eine Erkrankung auszukurieren. Oder der Wunsch nach Harmonie einerseits und das Setzen von Grenzen andererseits. „Am Ende ist das schlechte Gewissen schlicht ein Zeichen dafür, dass mir beides wichtig ist“, erklärt der Psychologe.
Und er rät deshalb allen, die das schlechte Gewissen häufig plagt, sich mit dem eher unangenehmen Gefühl auszusöhnen: „Letztlich ist es eine gute und wichtige Fähigkeit, dass wir Menschen ein schlechtes Gewissen entwickeln können, denn es fordert uns auf, immer wieder abzuwägen, was gerade richtig ist.“