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Psychische Gesundheit

Schlechtes Gewissen: Warum es entsteht, wann es schadet und wie wir es loswerden

Lesedauer weniger als 8 Min

Redaktion:

Carola Kleinschmidt (Diplombiologin und Wissenschaftsjournalistin, Nerdpol – Redaktionsbüro für Medizin- und Wissenschaftsjournalismus)

Qualitätssicherung:

Viktoria Vida (Psychologin, Master of Science)

Schlechtes Gewissen: Drei Fakten zu den Gewissensbissen

Das Gute am schlechten Gewissen

Ein schlechtes Gewissen entsteht, wenn wir das Gefühl haben, gegen soziale Erwartungen verstoßen zu haben. So hilft es uns, unserem moralischen Kompass treu zu bleiben.

Schuldgefühle sind stärker

Das schlechte Gewissen gilt als das kleine Geschwister der Schuldgefühle. Es meldet sich bereits bei kleinsten Wertekonflikten. Schuldgefühle zeigen dagegen stärkeres Fehlverhalten an.

Schlechtes Gewissen loswerden

Im schlechten Gewissen steckt eine Botschaft und die Frage: Was ist wirklich wichtig? Wird die Botschaft entschlüsselt, lassen die nagenden Selbstzweifel nach.

Wann hatten Sie das letzte Mal ein schlechtes Gewissen? Viele Menschen grübeln, zweifeln oder fühlen sich mies, weil sie ihr Verhalten in Frage stellen. War ich wirklich krank genug, um zu Hause zu bleiben? Musste die Tafel Schokolade gestern Abend noch sein? Bin ich im Konflikt doch unfair gewesen? Ein schlechtes Gewissen entsteht oft, wenn wir gegen unsere eigenen Werte oder soziale Erwartungen verstoßen. Aus Sicht der Psychologie ist es deshalb ein sinnvolles Gefühl. Doch es kann auch zu viel werden – und auf Dauer sogar krank machen. 

Was ist ein schlechtes Gewissen?

„Ein schlechtes Gewissen zeigt uns, dass wir gegen unseren inneren Kompass verstoßen“, sagt Professor Tobias Luck, Psychologe und Sozialwissenschaftler an der Fachhochschule Erfurt. Er erklärt: „Im Kern kann der Unterschied zwischen unserem Anspruch an uns selbst und der Wirklichkeit Schuldgefühle oder auch ein schlechtes Gewissen auslösen.“ So kann es etwa sein, dass man ein schlechtes Gewissen hat, weil man schon wieder Schokolade gegessen hat, obwohl man doch weniger Süßigkeiten essen wollte.

Schlechtes Gewissen oder Schuldgefühle?

Während Schuldgefühle eher ein Hinweis auf einen heftigen Verstoß gegen unsere persönlichen Werte seien, melde sich das schlechte Gewissen schon bei kleineren Abweichungen, so Luck. „Das schlechte Gewissen ist das kleine Geschwister der Schuldgefühle.“

Ursachen für ein schlechtes Gewissen

Um herauszufinden, was Schuldgefühle auslöst, haben Luck und sein Team mehr als 600 Erwachsene online befragt. Die Teilnehmenden sollten die Gründe für ihre Schuldgefühle frei formulieren. Ganze 1.515 verschiedene Auslöser wurden genannt, im Schnitt 2,5 Gründe je befragter Person. Anschließend bündelten die Forschenden die genannten Auslöser in Kategorien. Die Studie gibt auch Hinweise darauf, welche Ursachen ein schlechtes Gewissen haben kann. Folgende Gründe waren besonders häufig: 

  1. Lügen beziehungsweise Wahrheit oder Informationen vorenthalten
  2. Keine oder nicht genug Zeit mit der Familie verbringen oder sich nicht (genug) um die Familie kümmern
  3. Sich gegenüber einer anderen Person falsch verhalten oder schlecht über sie denken
  4. Subjektiv Verantwortung für das Leben oder den Tod anderer empfinden beziehungsweise nicht helfen oder unterstützen können
  5. Jemanden vernachlässigen oder sich nicht (ausreichend) um eine Person kümmern
  6. Scheitern oder etwas nicht erreichen

„Meist beziehen sich die Gründe auf konkrete Anlässe wie Konflikte mit anderen Menschen oder Unzufriedenheit mit dem eigenen Verhalten oder der eigenen Leistung“, fasst Luck die Ergebnisse zusammen. 

Besonders häufig plagt uns das schlechte Gewissen, wenn wir zu wenig Zeit mit der Familie verbringen oder im Alltag zu kleinen Notlügen greifen.

Besonders häufig plagt uns das schlechte Gewissen, wenn wir zu wenig Zeit mit der Familie verbringen oder im Alltag zu kleinen Notlügen greifen.

Auffällig an der Untersuchung waren die großen Unterschiede zwischen Männern und Frauen. „Frauen sagen sehr viel häufiger als Männer, dass sie ein schlechtes Gewissen haben, weil sie nicht genug Zeit für ihre Familie haben“, berichtet Luck. Männer gaben dagegen öfter an, dass ein Fehlverhalten in der Beziehung, wie etwa Fremdgehen, oder ein allgemeines Fehlverhalten sie ins Grübeln bringe. „Es hat mich überrascht, wie stark sich hier die gesellschaftliche Rollenverteilung gezeigt hat“, so der Sozialwissenschaftler.

Auch bemerkenswert: Jüngere gaben bei der Befragung mehr Gründe für ein schlechtes Gewissen an als Ältere. Ob man im Alter milder mit sich selbst wird und deshalb seltener ein schlechtes Gewissen hat oder ob man schlicht stärker nach seinen Werten lebt, konnte die Untersuchung nicht klären. Was sie jedoch zeigte: Mit dem Alter verändern sich die Gründe, die einen ins Grübeln bringen: So bedauern Ältere häufiger rückblickend, dass sie nicht genug Zeit mit der Familie verbracht haben.

Letztlich bestätigten die Ergebnisse, was auch andere Umfragen herausfanden, erklärt Luck: „Menschen sagen häufig, dass das Wichtigste im Leben ist, Zeit mit den Menschen zu verbringen, die man liebt.“ Doch gerade in der Phase, in der Beruf und Familienzeit zusammenfallen, nehmen sich viele Menschen nicht so viel Zeit dafür. „Das schlechte Gewissen zeigt dieses Bedauern“, erklärt der Psychologe. „Das kann ein Motivator für Jüngere sein, darauf mehr zu achten – sonst bedauert man es später.“ 

Ist ein schlechtes Gewissen wirklich schlecht?

Auch, wenn es „schlechtes Gewissen“ heißt, würde Luck das Wörtchen „schlecht“ gern streichen: „Das schlechte Gewissen ist ein soziales Gefühl und diese sind sehr wichtig“, erklärt der Psychologe. „Es zeigt uns an, dass wir etwas tun, das nicht in Ordnung ist. Und es motiviert uns, das künftig anders zu machen.“ Wie ein Autopilot für unser soziales Verhalten schickt es uns wieder auf die Spur, wenn wir zu weit von den Regeln der Gemeinschaft oder unseren Prinzipien abweichen. So helfe das schlechte Gewissen, uns zu verbessern – auch wenn es sich erst einmal nicht gut anfühlt, erklärt Luck.

Warum habe ich ständig ein schlechtes Gewissen?

Aber warum haben wir auch dann ein schlechtes Gewissen, wenn wir etwa völlig berechtigt wegen einer Krankheit zu Hause bleiben, statt ins Büro zu gehen? Das ist sozial doch völlig akzeptiert. Oder wenn wir einer Freundin oder der eigenen Mutter ehrlich sagen, dass uns ein Verhalten stört, weil wir die Beziehung zu ihr verbessern wollen? Dies sei völlig normal, erklärt Luck: „In uns wirken verschiedene Bedürfnisse. Und manchmal sind diese auch widersprüchlich.“ Zum Beispiel der Wunsch ein guter Mitarbeiter zu sein – und der Wunsch, eine Erkrankung auszukurieren. Oder der Wunsch nach Harmonie einerseits und das Setzen von Grenzen andererseits. „Am Ende ist das schlechte Gewissen schlicht ein Zeichen dafür, dass mir beides wichtig ist“, erklärt der Psychologe.

Und er rät deshalb allen, die das schlechte Gewissen häufig plagt, sich mit dem eher unangenehmen Gefühl auszusöhnen: „Letztlich ist es eine gute und wichtige Fähigkeit, dass wir Menschen ein schlechtes Gewissen entwickeln können, denn es fordert uns auf, immer wieder abzuwägen, was gerade richtig ist.“

Umgang mit einem schlechten Gewissen: Wenn sich die Psyche wegduckt

Das Gewissen erleichtern

Nicht jeder kann gut mit Selbstreflexion umgehen. Viele versuchen deshalb, ihr schlechtes Gewissen auf Umwegen loszuwerden. Zum Beispiel mit einer Art „mentaler Buchführung“: Eine Studie zeigte, dass Menschen unethisch verdientes Geld eher für wohltätige Zwecke einsetzen. Dieser Effekt verschwindet jedoch, sobald das Geld zuvor „gewaschen“ oder mit ehrlich verdientem Geld vermischt wurde. 

Andere strenger beurteilen

Auch die Tendenz, das Handeln der Mitmenschen strenger als das eigene Tun zu beurteilen, ist eine psychologischer Strategie, um ein schlechtes Gewissen zu reduzieren. In einer Studie wurde dieser psychologische Winkelzug untersucht, der es uns trotz Fehlverhaltens ermöglicht, ein positives Selbstbild zu bewahren. Als Beispiel wird dort von einer Dekanin berichtet, die besonders hart durchgriff, wenn Studierende in ihren Unterlagen mit ihren Qualifikationen übertrieben hatten. Später stellte sich heraus, dass die Dekanin selbst in ihren Bewerbungsunterlagen Abschlüsse angegeben hatte, die sie nicht gemacht hatte. So entpuppte sich die Person, die besonders streng urteilte, selbst als wenig tugendhaft in dieser Sache.

Das schlechte Gewissen aussitzen

Manche sitzen das schlechte Gefühl einfach aus. Ihnen nutzt der „fading affect bias“ (deutsch: schwindender Affekt). Dieser Mechanismus der Psyche sorgt dafür, dass die Intensität von Emotionen, die mit negativen autobiografischen Erinnerungen verbunden sind, schneller nachlässt als jene von Emotionen, die mit positiven autobiografischen Erinnerungen verbunden sind. Das heißt: Umso länger man den Fehltritt einfach ignoriert, um so verlässlicher kann er in der Erinnerung verblassen.

Junger Mann sitzt aufrecht in seinem Bett und kann nicht schlafen

Ein schlechtes Gewissen kann uns den Schlaf rauben – besonders dann, wenn ungelöste Konflikte oder Schuldgefühle im Kopf kreisen. 

Wie äußert sich ein schlechtes Gewissen körperlich?

Ein schlechtes Gewissen kann wie andere psychische Belastungen körperliche Beschwerden hervorrufen, auch wenn die Symptome nicht klar definiert sind. Laut Luck sind Verspannungen typisch: Der Nacken zwickt, der Rücken schmerzt, der Kopf brummt. „Neben den Verspannungen grübeln die Menschen oft – vor allem nachts“, sagt der Psychologe. Das kann zu Schlafstörungen führen. Manchen schlage ein schlechtes Gewissen auch auf die Verdauung. „Die körperliche Reaktion ist eher unspezifisch“, fasst Luck zusammen. 

Tipps: Schlechtes Gewissen loswerden

Was man gegen ein schlechtes Gewissen tun kann, erklärt Psychologe Luck so: „Der erste Schritt ist, sich bewusst damit auseinanderzusetzen.“ Das schlechte Gewissen zu verdrängen oder zu ignorieren, weil man es unangenehm findet, sei hingegen nicht hilfreich, auch wenn dies viele Menschen tun.

Der zweite Punkt, der vielen laut Luck hilft: Mit jemandem reden. Wer beispielsweise mit einer Freundin oder einem Freund telefoniert, wenn das schlechte Gewissen plagt, weil man krank von der Arbeit zu Hause geblieben ist, hört dann vielleicht: alles richtig gemacht, die Gesundheit ist wichtiger. „Der wohlwollende Blick von außen kann sehr hilfreich sein, um für sich selbst Klarheit zu bekommen“, sagt Luck. Oft brauche es nicht mehr. Die Klarheit entzieht dem schlechten Gewissen den Boden.

Wenn sich das schlechte Gewissen auf konkrete Situationen mit Personen bezieht, kann ein klärendes Gespräch hilfreich sein. War ich wirklich zu hart im Konflikt? Hat das mein Gegenüber auch so empfunden? Oder beurteile ich mich selbst strenger als mein Gegenüber? Die Auseinandersetzung mit dem schlechten Gewissen könne sehr spannend sein, ermutigt Luck.

Wann ist eine Therapie sinnvoll?

Es gibt Personen, deren schlechtes Gewissen zu stark anspringt oder zu fein eingestellt ist: „Wenn Menschen über einen langen Zeitraum grübeln, die Schlafqualität sinkt, das Selbstwertgefühl angeknackst ist, weil sie etwas getan haben, dass dem eigenen moralischen Kompass oder dem allgemeinen Wertekompass widerspricht, dann ist es zu viel“, erklärt Luck. In solchen Fällen müsse man schauen: Sind meine Ansprüche vielleicht zu hoch? Ist hier ein ungesunder Perfektionismus am Werk? Oder steckt vielleicht eine Depression hinter der nicht enden wollenden Grübelei? Depressionen können häufig mit Schuldgefühlen einhergehen. 

Manche Menschen fühlen sich auch übermäßig stark für alles verantwortlich, gibt Luck zu bedenken. Dies führe fast automatisch zu einem Übermaß an schlechtem Gewissen bis hin zu starken Schuldgefühlen. Denn: Immer alle zufriedenzustellen ist nahezu unmöglich.

„Um zu beurteilen, ob mein schlechtes Gewissen ein hilfreiches soziales Gefühl ist oder zu stark ausgeprägt ist, muss man schauen, ob es mich zu lange oder zu sehr belastet“, so Luck. Wenn man alleine kein gutes Maß findet und zu dem Schluss kommt, dass einen das schlechte Gewissen übermäßig quält, dann brauche man eventuell auch therapeutische Unterstützung. Der erste Schritt führt dabei über die hausärztliche Praxis.

Literatur und weiterführende Informationen

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