Ein Mann und eine Frau rennen und springen vor einem zweifarbigen Hintergrund
Sexualität

Orgasm Gap: Wenn der weibliche Orgasmus zu kurz kommt

Lesedauer weniger als 5 Min

Redaktion:

Ulrike Schnyder (Medical Writer, Content Fleet GmbH)

Qualitätssicherung:

Annette Mittmann (Gynäkologin und medizinische Psychotherapeutin)

Orgasm Gap: Drei Dinge, die Sie gern früher gewusst hätten

Worum geht es?

Frauen haben bei Hetero-Sex in der Regel weniger Orgasmen als Männer. Dieses Phänomen wird Orgasm Gap oder Orgasmuslücke genannt.

Wie kommt es dazu?

Die Orgasmuslücke entsteht durch ein Zusammenspiel aus mehreren Faktoren, darunter Scham, falsche Bilder aus Filmen und Serien, Erwartungsdruck und fehlende Aufklärung.

Was lässt sich tun?

Frauen, die ihre sexuellen Bedürfnisse kennen und darüber sprechen, kommen eher zum Höhepunkt. Dafür braucht es Kommunikation, Wissen und ein Gespür für sich selbst – und all das ist erlernbar. 

Der Mann stöhnt, sinkt erschöpft ins Kissen, Ende der Sexszene. Der männliche Orgasmus ist in vielen Filmen selbstverständlich, weibliche Lust oft nur angedeutet. Auch im echten Leben kommt der weibliche Orgasmus zu kurz: Frauen kommen beim Hetero-Sex deutlich seltener als Männer. Diese Orgasmuslücke, auch Orgasm Gap oder Orgasmic Gap genannt, hat viele Gründe – doch sie lässt sich schließen.

Was ist der Orgasm Gap?

Orgasmuslücke oder Orgasm Gap beschreibt das Phänomen, dass Frauen bei Hetero-Sex weniger Orgasmen erleben als Männer. Das ist nicht nur ein Gefühl, sondern wissenschaftlich belegt. Eine Umfrage aus den USA beispielsweise zeigt, dass nur etwa 65 Prozent der heterosexuellen Frauen berichten, regelmäßig zum Höhepunkt zu kommen – gegenüber rund 95 Prozent der heterosexuellen Männer. 

In lesbischen Beziehungen und bei Selbstbefriedigung kommen Frauen deutlich häufiger. Sind also die Männer schuld? Nein, die Gründe für die Orgasmuslücke sind komplex und reichen von kulturellen Stereotypen über medizinische Ursachen bis zu psychischem Druck.

Welche Ursachen hat der Orgasm Gap

Für die Lücke beim Orgasmus gibt es nicht den einen Grund. Es handelt sich vielmehr um ein Zusammenspiel von mehreren Faktoren.

Medien vermitteln ein verzerrtes Bild von Sex

Filme, Serien und Pornografie vermitteln oft ein vereinfachtes und einseitiges Bild von Heterosexualität. Der Fokus liegt auf dem Mann, der weibliche Orgasmus spielt deutlich seltener eine Rolle. Und wenn er doch gezeigt wird, kommt die Frau in den meisten Fällen allein durch die Penetration, also das Eindringen des Penis in die Vagina, zum Höhepunkt. Solche Eindrücke verarbeiten wir in unserem Kopf zu einem Bild, wie Sex zu sein hat. Doch das kann unrealistische Erwartungen und Druck erzeugen. Denn was uns gefällt und Lust verschafft, kann etwas ganz anderes sein als das, was wir im Fernsehen, im Internet und in Zeitschriften sehen.

Scham hindert Frauen daran, ihre Sexualität zu erkunden und auszuleben

Lange Zeit war der weibliche Orgasmus, die weibliche Lust verpönt. Im christlichen Mittelalter etwa verbot die katholische Kirche Frauen eine aktive Rolle beim Geschlechtsverkehr. Lustbefriedigung galt sowieso als Sünde, Sex sollte nur zur Fortpflanzung dienen. Später wurde die Klitoris, ein Teil der weiblichen Genitalien, mit Krankheiten assoziiert und verdächtigt, Hysterie und Epilepsie zu verursachen. 

Heute wissen wir es zwar besser, doch die Scham scheint immer noch nicht ganz verschwunden zu sein. Vielen Frauen ist es peinlich, dass sie masturbieren. Und es fällt ihnen schwer, offen über Lust und Sex zu sprechen sowie ihre Wünsche zu äußern, die sie zum Orgasmus bringen könnten.

Dazu kommt: Frauen sind mit ihrem Aussehen und Gewicht meist unzufriedener als Männer. Das lenkt sie ab und schmälert die Lust auf Intimität.

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Körperliche Faktoren und Medikamente können einschränken

Neben gesellschaftlichen und psychischen Gründen gibt es auch medizinische Erklärungen, warum Frauen seltener Orgasmen haben. Frauen mit Endometriose beispielsweise haben häufig Schmerzen beim oder nach dem Sex. Kein Wunder, dass sie seltener zum Höhepunkt kommen. Zudem können Medikamente wie manche Antidepressiva und hormonelle Verhütungsmittel wie die Pille die Libido und Orgasmusfähigkeit mindern. Gleiches gilt für bestimmte hormonelle Veränderungen bei Frauen, etwa während der Wechseljahre.

Wie lässt sich der Orgasm Gap schließen?

Die gute Nachricht ist: Die Orgasmuslücke ist kein Naturgesetz. Ein besseres Wissen, eine ehrliche Kommunikation und Offenheit schaffen mehr Gleichberechtigung im Bett.

Die Klitoris nicht vergessen

Den meisten Frauen reicht Sex, bei dem nur der Penis in die Vagina eindringt, nicht aus, um zum Orgasmus zu kommen. Wenn aber ihr Partner oder sie selbst zusätzlich den Kitzler – den sichtbaren Teil der Klitoris am oberen Ende der inneren Vulvalippen – stimuliert, erhöht das die Chance auf einen weiblichen Orgasmus enorm. Das kann beispielsweise mit den Händen geschehen, mit Sexspielzeug oder per Oralsex. Bei manchen Sexstellungen bekommt die Klitoris auch automatisch etwas Reibung ab. Daher kann es sich lohnen, unterschiedliche Stellungen auszuprobieren.

Junge Frau liegt auf ihrem Bett und schaut sehr skeptisch auf ihr Smartphone

Vieles von dem, was wir zum weiblichen Orgasmus in Internet, Fernsehen und Zeitschriften sehen, hat mit der Realität nicht viel zu tun.

Lust braucht Kommunikation und Vertrauen

Frauen sollten über ihre Vorlieben, Bedürfnisse und Unsicherheiten offen sprechen, mit kurzzeitigen sexuellen Partnern genauso wie in ihrer Beziehung. Denn fühlt sich eine Frau mit ihrem Freund oder Mann zufrieden, lobt sie ihn für das, was er im Bett besonders gut macht, und lebt sie mit ihm sexuelle Fantasien aus, erlebt sie eher einen Orgasmus. Was auch helfen kann: für die richtige Stimmung sorgen. Warum nicht einmal den Raum besonders hübsch gestalten, ein paar Kerzen aufstellen und Musik anmachen?

Wissen und Übung schaffen mehr Möglichkeiten

Sex ist lernbar. Selbstbefriedigung etwa ist eine gute Möglichkeit, mehr über den eigenen Körper und die eigenen Vorlieben herauszufinden. Masturbations-Tipps finden sich mittlerweile in vielen Frauenzeitschriften oder auf Instagram-Kanälen von Sexologinnen und Sexologen. Selbstbefriedigung ist sogar gesund, fördert die Entspannung und einen guten Schlaf, stärkt zudem das Immunsystem.

Neben Übung hilft auch Wissen über Sexualität und Orgasmus. In diversen Podcasts sprechen Frauen und Männer über eigene Erfahrungen und Fachleute geben Tipps – ohne Tabus : Es geht beispielsweise um Kieferstarre beim Oralsex, wie sich sexuelle Fantasien ansprechen lassen oder wie auch ohne Orgasmus guter Sex möglich ist. Und bei konkreten Problemen können eine Sexualtherapie oder eine Paarberatung hilfreich sein, um Ängste oder Schamgefühle abzubauen.

Was ist noch wichtig zu wissen?

Bei allem Gerede über den Orgasmus: Er ist nicht das ultimative Ziel und erst recht kein Qualitätssiegel. Intimität und guter Sex können auch ohne Höhepunkt schön und erfüllend sein. Trotzdem hat jede Frau natürlich das Recht, ihre Lust ernst zu nehmen und auszuleben. Wer neugierig bleibt, selbstbewusst auf den eigenen Körper hört und sich mit ihm auseinandersetzt, kann viel entdecken: Was sich gut anfühlt, was Spaß macht und was nicht – und zwar ganz ohne Druck.

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