Ein Mann umarmt eine Frau während einer Gruppentherapie.
Krebs

Fatigue bei Krebs : Ursachen, Diagnose und Behandlung

Lesedauer unter 9 Minuten

Redaktion

  • Natalie Tutzer (Medical Writer, TAKEPART Media + Science GmbH)

Qualitätssicherung

  • Andrea Jakob-Pannier (Diplom-Sozialpädagogin/ Psychologin/ Psychoonkologin, Barmer)
  • Dr. med. Utta Petzold (Dermatologin, Allergologin, Phlebologin, Barmer)

Manche Menschen fühlen sich während oder nach einer Krebsbehandlung immer müde und erschöpft – egal, wie viel sie schlafen. Fast jeder zweite Krebspatient entwickelt eine sogenannte chronische Fatigue, die noch lange nach einer abgeschlossenen Krebstherapie anhalten kann. Doch das tumorbedingte Erschöpfungs- und Müdigkeitssyndrom kann überwunden werden: In diesem Beitrag erfahren Sie, woran man eine Fatigue erkennt und welche Wege zurück in einen gesunden Alltag führen können.

Fatigue – was ist das?

Das französische Wort „fatigue“ (gesprochen: Fatieg) bedeutet Müdigkeit oder Erschöpfung. Die tumorbedingte Fatigue unterscheidet sich deutlich von der allgemeinen Art der Müdigkeit. Hierbei handelt es sich um eine krankhafte andauernde Erschöpfung, die auch durch Ruhe und Schlaf nicht besser wird. Sie fühlt sich für Betroffene oft wie eine bleierne Schwere an und schränkt sie in ihrem Alltag enorm ein.

Tritt die Erschöpfung während oder nach einer Krebserkrankung auf, spricht man von einem tumorbedingten Fatigue-Syndrom (auch: tumorassoziierte Fatigue). Die Krebserkrankung selbst, aber auch die manchmal anstrengende Therapie können Patientinnen und Patienten sehr belasten. Fatigue, die durch eine Krebserkrankung ausgelöst wird, unterscheidet sich von der Chronischen Fatigue (Chronic Fatigue Syndrome, CFS), die andere Ursachen hat und auch anders behandelt wird.

Die Symptome der Fatigue äußern sich körperlich und seelisch. Zu den körperlichen Anzeichen gehört Kraftlosigkeit oder eine geringe Leistungsfähigkeit, die Glieder fühlen sich schwer an. Die erlebte Erschöpfung scheint in keinem Verhältnis zu vorangegangenen Anstrengungen zu stehen. Alltägliche Handlungen - morgens aufstehen, sich waschen, den Haushalt machen – werden zum unüberwindbaren Kraftakt. Betroffene möchten viel schlafen, fühlen sich dadurch aber nicht besser.

Die seelischen Symptome der Fatigue ähneln denen einer Depression. Manche Betroffene können sich nur noch schwer konzentrieren oder sind vergesslicher als früher. Sie fühlen sich häufig „neben der Spur“, antriebslos und haben Schwierigkeiten, sich zu motivieren. Patienten mit Fatigue können sich häufig irritiert, ängstlich, traurig oder zermürbt fühlen.

Bei der tumorbedingten Fatigue unterscheidet man, ob sie akut oder chronisch auftritt. Neun von zehn Krebspatientinnen und -patienten erleben während der Therapie eine akute Fatigue. Viele Betroffene erleben die Krebserkrankung und ihre Therapie als sehr kräftezehrend.

Die Erschöpfung muss jedoch kein Zeichen sein, dass die Therapie nicht erfolgreich ist. Manchmal macht sie es den Menschen allerdings schwer, sich aktiv in die Behandlung einzubringen und sich zu ergänzenden Aktivitäten zu motivieren, die ihre Lebensqualität erhöhen könnten, wie etwa zu Sport und gesunder Ernährung bei Krebs.

Bei zwei bis fünf von zehn Patienten hält die tumorbedingte Fatigue dauerhaft an. Dann spricht man von einem chronischen Müdigkeitssyndrom beziehungsweise chronischen Erschöpfungssyndrom. Diese Fatigue kann noch Monate oder sogar Jahre bestehen, nachdem der Krebs als geheilt gilt. Das führt bei Betroffenen häufig zu Frust, da sie eigentlich wieder als „gesund“ gelten, aber nicht so am Alltag teilnehmen können, wie sie es gerne möchten.

Was löst Fatigue aus?

Die tumorbedingte chronische Fatigue hat meistens nicht eine Ursache, sondern entsteht, wenn mehrere körperliche, seelische und soziale Faktoren zusammenspielen. Tumoren können den Hormon- oder Stoffwechselhaushalt eines Menschen beeinträchtigen und so zu einer Fatigue führen. 

Studien zeigen, dass Patienten mit Brustkrebs, Leukämien oder Lymphomen ein erhöhtes Risiko haben, eine Fatigue zu entwickeln. Bestimmte Behandlungen, beispielsweise zielgerichtete oder intensive Chemotherapien oder die Antihormontherapie können auch gesundes Gewebe schädigen und so eine Fatigue begünstigen. Es gibt jedoch keine Art Krebs oder Behandlung, bei der man die Entstehung einer Fatigue mit Sicherheit vorhersagen kann.

Auch körperliche Ursachen wie eine Blutarmut (medizinisch: Anämie) oder eine Unterfunktion der Schilddrüse können eine Rolle spielen. Fatigue ist auch als Nebenwirkung von manchen Medikamenten möglich, etwa bei bestimmten Antidepressiva. Verliert man während der Krebserkrankung stark an Gewicht und ist mangelernährt, hat man ebenfalls ein höheres Risiko, eine Fatigue zu entwickeln.

Psychische (Vor-)Erkrankungen, Depressionen, Ängste oder Schlafstörungen  können eine Fatigue ebenfalls begünstigen. Hierzu kann zusätzlich die psychische Belastung durch die Diagnose Krebs beitragen.

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Wie stellen Ärztinnen und Ärzte die Diagnose tumorbedingte Fatigue?

Wer das Gefühl hat, durch seine Erschöpfung seinen Alltag nicht mehr bewältigen zu können, muss das nicht einfach akzeptieren. Es gibt verschiedene Behandlungsmöglichkeiten, durch die viele Patienten mit tumorassoziierter Fatigue eine deutliche Verbesserung erleben. Die Diagnose ist der erste Schritt dorthin.

Müdigkeit ist subjektiv. Ärztinnen und Ärzte diagnostizieren eine tumorbedingte Fatigue, indem sie mit Patientinnen und Patienten sprechen und ihnen viele Fragen stellen. So erfahren sie, wie sich die Erschöpfung bei der betroffenen Person äußert und wie stark sie sie belastet. 

Wissenschaftliche Fragebögen, Checklisten und Skalen helfen Behandelnden dabei, die Fatigue von Erkrankungen abzugrenzen, die sich auf den ersten Blick ähneln, wie beispielsweise einer Depression. Diese genaue Unterscheidung heißt Differentialdiagnostik.

Was Ihre Ärzte für die Diagnose möglicherweise von Ihnen wissen möchten:

  • Seit wann fühlen Sie sich so erschöpft?
  • Wie fühlen Sie sich im Vergleich zum Leben vor der Krebserkrankung?
  • Sind Sie über den Tag hinweg gleichbleibend erschöpft oder gibt es bestimmte Zeiten oder Aktivitäten, die das Gefühl verstärken?
  • Wie fühlt sich die Erschöpfung im Körper an?
  • Wie ist Ihre Stimmung?
  • Gibt es Dinge, die Sie vor der Erkrankung mit Leichtigkeit, aber jetzt nicht mehr oder nur mit Mühe machen können?

Im nächsten Schritt ermitteln Ärzte die Ursachen der Fatigue. Es gibt keine Bluttests oder bildgebenden Verfahren, die sie „vorzeigen“ können. Trotzdem sind bestimmte Untersuchungen sinnvoll, um festzustellen, ob es körperliche Ursachen für die Müdigkeit gibt. Dafür werden beispielsweise Laborwerte aus der Zeit der Krebsbehandlung genutzt oder erneut Blut abgenommen.

Ist Fatigue heilbar?

Eine langanhaltende Fatigue muss nicht aussichtslos sein: Es gibt verschiedene Behandlungsmöglichkeiten, die die Symptome lindern können. Zu diesen gehören:

  1. Behandlung körperlicher Ursachen
  2. Aufklären und Verständnis schaffen
  3. Psychoonkologische Betreuung
  4. Bewegung und Sport 
  5. Rehabilitation nach Krebs

Körperliche Umstände, die die Fatigue beeinflussen, werden als erstes behandelt. Das kann zum Beispiel bedeuten, einen regelmäßigen Schlafrhythmus einzuführen, auf eine ausgewogene Ernährung zu achten, die Schilddrüsenfunktion mit Medikamenten zu unterstützen oder eine Anämie mit Bluttransfusionen zu behandeln.

Aufklärung und Verständnis

Vielen Patienten mit Fatigue fällt es nicht leicht, Worte für ihr Problem zu finden. Sie sprechen ihre Erschöpfung gegenüber ihren Ärzten manchmal nicht an, da sie denken, die Müdigkeit sei Teil der Therapie oder gar ein Zeichen dafür, dass der Krebs zurückkehrt. Gefühle von Scham und Schuld, sie würden wegen der Müdigkeit „nicht genug“ zu ihrer Genesung beitragen, führen ebenfalls dazu, dass das Problem verschwiegen wird.

Die Diagnose „tumorbedingte Fatigue“ ist daher oft eine große Erleichterung: Patienten lernen, dass ihr Problem „echt“ und sogar verhältnismäßig häufig ist. Einen Namen für das oft überwältigende Gefühl der Müdigkeit zu haben, ist bereits ein erster Schritt, um Hoffnung auf Besserung zu schöpfen.

Familie und Freunde von Patienten möchten oft wissen, wie sie helfen können. Die größte Hilfe ist es, verständnisvoll zu sein. Die Erschöpfung sollte auf jeden Fall ernst genommen werden. Haben Patienten den Wunsch nach einer Ruhepause, oder fühlen sich für manche Aktivitäten noch nicht bereit, sollte das respektiert werden.

Ist man als Angehöriger unsicher, wie bestimmtes Verhalten zu deuten ist, ist es das Beste, das offene Gespräch zu suchen. Inzwischen bieten verschiedene Beratungsstellen und Selbsthilfegruppen konkrete Hilfe für Angehörige von Krebspatienten an.

Psychoonkologische Betreuung

Viele Menschen mit Fatigue profitieren von psychoonkologischer Betreuung. Die Psychoonkologie befasst sich mit psychischen, sozialen und sozialrechtlichen Bedingungen, Folgen und Begleiterscheinungen einer Krebserkrankung. 

Als Psychoonkologen werden in der Regel Fachleute bezeichnet, die eine spezielle Fort- oder Weiterbildung haben. Das sind meist Ärzte, Psychologen oder Sozialpädagogen. Sie können dabei helfen, die schwierige Erfahrung der Krebsdiagnose und die manchmal strapaziöse Zeit voller Unsicherheiten und Ängste aufzuarbeiten.

Manche Menschen fühlen sich noch lange, nachdem die Krankheit eigentlich überstanden ist, ängstlich oder unsicher. Mit der Unterstützung von Psychoonkologen können Sie daran arbeiten, neues Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein zu entwickeln – insbesondere dann, wenn man sich körperlich und geistig nicht mehr so belastbar fühlt wie vor der Erkrankung.

Ambulante Anlaufstellen sind beispielsweise psychoonkologische Ambulanzen. Diese sind an manche Kliniken oder Krebszentren angeschlossen und bieten Menschen mit Krebs, die nicht stationär behandelt werden, und deren Angehörigen psychoonkologische Hilfe.

Es gibt auch Schwerpunktpraxen, die auf die Behandlung von Menschen mit Krebs spezialisiert sind. Einige Praxen arbeiten mit Psychoonkologen zusammen und bieten bei Bedarf psychosoziale Unterstützung an.

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Bewegung und Sport bei Fatigue

Auch wenn der Körper das Zeichen gibt, dass er nur Ruhe möchte: vielen Patienten mit tumorbedingter Fatigue geht es durch Bewegung und Sport bei Krebs spürbar besser. Zu viel Ruhe und Schonung im Gegensatz verstärken die Fatigue: Denn werden Muskeln nicht benutzt, bilden sie sich zurück.

Dann wird jede Aktivität noch herausfordernder; es entsteht ein Teufelskreis, in dem Menschen sich zunehmend schwächer fühlen. Um dem entgegenzuwirken, brauchen Betroffene jedoch keine athletischen Höchstleistungen anzustreben. Moderate Bewegung im Alltag kann bereits einen merkbaren Unterschied in der Lebensqualität und Belastbarkeit ausmachen.

Besonders hilfreich kann Bewegung sein, die die Ausdauer fördert. Zügiges Gehen, Fahrrad fahren oder Gartenarbeit lassen sich leicht in den Alltag integrieren und können sich gleichzeitig positiv auf die körperliche Fitness auswirken. Wenn man sich etwas stärker fühlt, steigert man schrittweise die Häufigkeit und den Umfang der Bewegungseinheiten. Manche Menschen mit Fatigue fühlen sich außerdem durch Übungen der Meditation und Entspannung kraftvoller.

Am besten lassen sich Menschen mit Fatigue von Physiotherapeuten und Sportmedizinern beraten, um einen individuell angepassten Bewegungsplan entwickeln zu lassen. Die Bewegungstherapie sollte realistisch sein und Patientinnen und Patienten herausfordern, ohne sie zu überfordern.

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Rehabilitation nach Krebs

Nach einer schweren Erkrankung wie Krebs kann der Aufenthalt in einer Rehabilitationsklinik den Weg zurück in den Alltag vereinfachen. Die onkologische Rehabilitation kann etwa durch die sogenannte Anschlussheilbehandlung (AHB) erfolgen. Sie beginnt in der Regel innerhalb von 14 Tagen, nachdem die Krebsbehandlung selbst abgeschlossen ist. Sie kann ambulant, stationär oder teilstationär stattfinden und wird durch das Krankenhaus eingeleitet.

In der Zeit der Rehabilitation helfen regelmäßige Physio- und Bewegungstherapie, beispielsweise aber auch eine Tanztherapie, die körperliche Genesung zu unterstützen. Erlaubt ist alles, was Spaß macht und Menschen nicht überanstrengt.

Für die seelische Genesung werden in Einzel- oder Gruppengesprächen die Erfahrungen der Erkrankung und Behandlung aufgearbeitet und neuer Lebensmut geschöpft. Der Austausch in entsprechenden Selbsthilfe-Gruppen ist für viele Betroffene hilfreich, um sich weniger isoliert zu fühlen. Geschultes Fachpersonal in Rehabilitationskliniken berät auch zu konkreten Anliegen, etwa bei Fragen zur Rückkehr in den Beruf.

Aktivitätentagebuch

Manchen Menschen hilft es, ihre täglichen Aktivitäten aufzuschreiben. In einem Buch oder Heft können sie ihren Tagesablauf, ihren Energiepegel und ihre Stimmung festhalten. Das hilft dabei, Muster zu erkennen und beispielsweise Tageszeiten herauszufinden, in denen man sich etwas belastbarer fühlt. Bestimmte Aktivitäten und Erledigungen kann man dann in diese Zeitfenster legen und steigert so die Belastung schrittweise.

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Literatur

Weiterführende Informationen

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