Eine junge Frau steht in einem Tunnel, der von Pflanzen umrankt wird.
Transparenzbericht

Gesunde Ehrlichkeit

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Redaktion

  • Christin Kaufmann

„Ehrlich währt am längsten“ heißt es. Ehrlichkeit ist aber auch gesund. Das zeigen wissenschaftliche Studien. Ein Grund mehr für die Barmer, sich für mehr Ehrlichkeit und Transparenz im Gesundheitswesen einzusetzen.

Dreizehn Geheimnisse – so viele trägt der Durchschnittsmensch mit sich herum. Manche davon werden mit wenigen ausgewählten Personen geteilt, aber fünf davon sind so geheim, dass niemand sie erfährt. Zu diesem Ergebnis kam der Psychologe Michael Slepian von der New Yorker Columbia University, der sich in seiner Forschung schon lange mit diesem Thema beschäftigt und Tausende Menschen befragt hat. Manche dieser Geheimnisse sind harmlos – „Das Rezept für meinen viel gelobten Käsekuchen nehme ich mit ins Grab!“ Andere sind bedeutsamer: Schulden, sexuelle Orientierung, Beteiligung an einem Verbrechen oder eine ernste Erkrankung.

Und während es beim Käsekuchen keine gravierenden Auswirkungen hat, können schwerwiegende Geheimnisse durchaus belastend wirken. Oder umgekehrt: Ehrlichkeit ist tendenziell gut für uns und unsere Gesundheit.

Ein Portrait-Foto von Dirk Weller. Er ist Diplom-Psychologe bei der Barmer.

Dirk Weller, Diplom-Psychologe bei der Barmer

„Wenn wir Ehrlichkeit als respektvolle Aufrichtigkeit verstehen, bietet sie zahlreiche Vorteile“, sagt Dirk Weller, Diplom-Psychologe bei der Barmer. „Zum einen vermeidet man Stress: Wer authentisch handelt und Lügen und Geheimnisse vermeidet, muss keine falsche Fassade wahren, keine Widersprüche vermeiden.“ Eine erste Lüge zieht schließlich oft andere nach sich und schnell kann aus einer harmlosen Notlüge ein belastendes Geheimnis werden. „Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass es das Selbstbewusstsein stärkt, wenn man den Mut aufbringt, ehrlich zu sein – auch wenn das vielleicht kurzfristig schwerfällt. Wenn man aufrichtig und ehrlich ist, macht man sich dadurch berührbarer und manchmal auch verletzlicher. Dadurch erlebt man aber auch mehr Nähe und Verbundenheit mit anderen Menschen, was sich sehr positiv auf unser seelisches Wohlbefinden auswirkt.“

Beweglicher dank Ehrlichkeit

Ehrlichkeit könnte sogar die physische Gesundheit positiv beeinflussen. Zu diesem Ergebnis kam eine Studie der Harvard University. Dabei wurden die Gesundheitsdaten von 9.813 Seniorinnen und Senioren analysiert. Diejenigen, die bei einer Befragung höhere Werte im Bereich Ehrlichkeit und Integrität erzielten, litten seltener an Lungenerkrankungen, Depressionen, waren beweglicher und konnten ihren Alltag besser bewältigen. Diese Korrelationen sind noch kein Beweis für einen direkten Zusammenhang, waren aber unabhängig von demografischen Daten, sozioökonomischem Status und sonstigem Gesundheitsverhalten.

Ein Portrait-Foto von Elisabeth Raffauf. Sie ist Diplom-Psychologin.

Elisabeth Raffauf, Diplom-Psychologin

Unser individuelles Verhältnis zur Ehrlichkeit entwickelt sich dabei oft schon in der Kindheit, sagt die Diplom-Psychologin Elisabeth Raffauf: „Wenn wir als Kinder Unehrliches hören, also beispielsweise merken, dass unsere Eltern etwas sagen, das gar nicht stimmt, dann verwirrt uns das. Wir zweifeln an unserem eigenen Gefühl, wenn wir zum Beispiel unter etwas leiden und die Mutter, die ja erwachsen ist und der wir glauben, sagt, es sei doch gar nicht so schlimm“, so die Autorin zahlreicher psychologischer Bücher, gerade neu erschienen „Erzieht uns einfach“. „Das ist fatal und wirkt zuweilen bis ins hohe Alter nach, selbst, wenn Eltern so etwas in gutem Glauben tun, zum Beispiel, weil sie das Kind schützen wollen.“

Damit Jugendliche Autonomie und Privatsphäre entwickeln können, kann es durchaus wichtig sein, dass sie beginnend mit der Pubertät auch mal etwas vor ihren Eltern verheimlichen. Catrin Finkenauer, Professorin für Biologische Psychologie an der Universität Utrecht, konnte jedoch in einer Studie zeigen, dass zu viel Geheimniskrämerei das Verhältnis zu den Eltern belastet und Jugendliche umso wahrscheinlicher psychische Probleme entwickeln, je weniger sie ihren Eltern erzählen. In einer Studie der amerikanischen Universität von Notre Dame meldete eine Testgruppe, die über zehn Wochen hinweg ehrlicher war, weniger psychische Beschwerden wie Anspannung oder Niedergeschlagenheit als die Kontrollgruppe. Auch körperliche Beschwerden wie Halsschmerzen oder Kopfschmerzen wurden seltener, wenn die Teilnehmenden weniger logen. Sogar die kognitive Leistungsfähigkeit und die körperliche Kraft leidet offenbar, wenn wir bei uns wichtigen Dingen die Wahrheit verschweigen.

Das fanden Clayton Critcher von der University of California in Berkeley und Melissa Ferguson von der Cornell University in Ithaca heraus. Probanden, die ihre eigene sexuelle Orientierung in einem Interview verschwiegen, schnitten in einem anschließenden Test, der das räumliche Denken erfasste, um 17 Prozent schlechter ab als die Kontrollgruppe. Und als sie nach dem Gespräch einen Gegenstand möglichst lange mit der Hand zusammenpressen sollten, waren sie 20 Prozent schlechter als zuvor.

Ehrlich nach innen und nach außen

Ehrlichkeit beeinflusst die Gesundheit auf unterschiedliche Weise, schon allein, weil es unterschiedliche Adressatinnen und Adressaten dieser Ehrlichkeit gibt. Ehrlichkeit gegenüber sich selbst ist zum Beispiel wichtig, wenn es um Fragen eines gesunden Lebensstils geht: Wie viel Alkohol trinke ich? Wie oft treibe ich wirklich Sport und nehme es mir nicht nur vor? Wie vernünftig und ausgewogen ist meine Ernährung? „Die Barmer bietet auf ihrer Webseite zum einen immer mehr Selbsttests an, wie zum Beispiel Fragebogen zur Herzgesundheit oder zum Thema Stress“ sagt Dirk Weller. „Diese können ein gutes Hilfsmittel sein, um gesundheitlich ehrlich mit sich selbst zu sein. Aber auch viele unserer Gesundheitskurse setzen voraus, dass man sich eingesteht, dass man sich beispielsweise zu wenig bewegt oder häufiger depressive Verstimmungen hat als früher.“

Neben der Ehrlichkeit zu sich selbst ist natürlich auch die Ehrlichkeit zu anderen wichtig für die Gesundheit: Wer mit seinem Umfeld über Probleme spricht, die sie oder ihn belasten oder anderen von einer schweren Krankheit berichtet, erfährt leichter Unterstützung, als jemand, der alles mit sich selbst ausmacht. „Ob ich mich Freunden oder der Familie anvertraue, ist eigentlich nebensächlich“, sagt die Diplom-Psychologin Elisabeth Raffauf. „Wichtig ist, dass ich einen Ort habe, an dem ich mich öffnen kann. Das kann bei Krankheiten auch eine Selbsthilfegruppe sein.“ Neben der erhöhten Chance auf Beistand hat Ehrlichkeit aber auch noch weitere positive Effekte: Probleme oder Krankheiten können enttabuisiert werden, wenn man darüber spricht, was langfristig der gesamten Gesellschaft hilft. „Wenn jemand an Depressionen leidet und das klar benennt, dann kann das für andere Betroffene, die sich zu sehr geschämt haben, um darüber zu sprechen, enorm entlastend und befreiend wirken“, so Raffauf.

Eine Frau informiert sich gemeinsam mit ihrem Freund über einen Krankenkassenwechsel.

Diese Enttabuisierung ist auch wichtig, damit möglichst viele Menschen ehrlich zu ihren Behandelnden sind. Gerade gesundheitliche Probleme im Intim- oder Darmbereich, aber auch gesellschaftlich geächtete Suchtproblematiken können sehr stark schambehaftet sein. Manche Betroffene warten deshalb zu lange, bis sie sich ihrer Ärztin oder ihrem Arzt anvertrauen. Das birgt ein Risiko, weil beispielsweise eine späte Diagnose bei Krebserkrankungen die Heilungschancen drastisch verringern kann. Behandelnde müssen sich wiederum fragen, welche Patientin und welcher Patient wie viel Ehrlichkeit verträgt. Ein völlig empathieloses Überbringen schlechter Nachrichten im Namen der Ehrlichkeit ist dabei sicherlich ebenso fehl am Platz wie die Annahme, den Betroffenen die Wahrheit gar nicht zumuten zu können.

Auch wenn’s manchmal schwerfällt

Ehrlichkeit kann also auf unzählige Arten gesundheitsfördernd sein. Aus diesem Grund setzt sich auch die Barmer für mehr Ehrlichkeit und Transparenz ein – im Gesundheitswesen insgesamt und konkret gegenüber ihren Versicherten. „Wir sind überzeugt, dass sich das Gesundheitswesen in einer permanenten Entwicklung befindet und ständig besser werden muss“, sagt Dirk Weller. „Nur, wenn wir ehrlich auf unsere Stärken und Schwächen schauen, können wir wirklich etwas bewegen.“ Digitalangebote wie der Barmer Kompass sind Beispiele für diese gelebte Ehrlichkeit: Versicherte können im Kompass genau sehen, in welchem Bearbeitungsstand ihr Vorgang gerade ist. Eine andere Initiative ist die Changemaker Community. Diese Gruppe von Versicherten bewertet regelmäßig die Dienstleistungen der Barmer. Ihr Feedback fließt in die Weiterentwicklung der Angebote ein.

Auch die Barmer will unangenehme Wahrheiten nicht einfach verdrängen: „Uns wird beispielsweise immer mehr bewusst, dass Dinge, die wir als Krankenkasse nicht erstatten können, klar kommuniziert sein wollen“, so Dirk Weller. „Es nützt uns nichts, ein Thema auf der Webseite zu verstecken, nur weil wir hier nicht jedem Kundenwunsch entsprechen können. Besser, wir sprechen es offen und respektvoll an und zeigen gegebenenfalls aktiv Alternativen auf.“ Diese Art von erlebbarer Ehrlichkeit, sei es für Versicherte oder für Patientinnen und Patienten, ist die Basis für ein Grundvertrauen in das Gesundheitswesen. Und dieses Vertrauen ist wiederum wichtig, damit sich die Menschen einlassen auf Entscheidungen und Empfehlungen von Wissenschaftlerinnen, Ärzten und Gesundheitspolitikerinnen.

Der Immunologe Dr. Anthony Fauci – seit Ronald Reagan Berater aller US-Regierungen – musste in der Corona-Pandemie miterleben, wie wichtig Ehrlichkeit in einer solchen Ausnahmesituation ist. Aber auch wie schwierig sie sein kann, wenn man sich dabei mit dem mächtigsten Mann der Welt, damals Donald Trump, anlegen muss: „Als klar war, dass manche der Dinge, die er sagte, in direktem Widerspruch zu wissenschaftlichen Erkenntnissen standen (...) war meine einzige Option, das Risiko einzugehen und ihm zu widersprechen“, schreibt Fauci in seinem Buch „Expect the Unexpected“. „Zu schweigen hätte meine Prinzipien verletzt und meinen Posten aufzugeben hätte bedeutet, nichts Gutes mehr bewirken zu können.“ Also widersprach Fauci dem Präsidenten – mehr als einmal. „Ich sagte immer mal wieder etwas, das der Trump-Regierung nicht gefiel“, schreibt Fauci. „Dann wurde ich für eine Woche oder so von den Fernsehübertragungen ausgeschlossen. Aber ich kam immer wieder zurück.“

Literatur

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