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Skin Picking: Wenn das Knibbeln zum Zwang wird

Lesedauer unter 5 Minuten

Redaktion

  • Barmer Internetredaktion

Qualitätssicherung

  • Dr. med. Utta Petzold (Dermatologin, Allergologin, Phlebologin, Barmer)
  • Dirk Weller (Diplom-Psychologe)

Sicher, jeder kann mal ein Pickelchen im Gesicht nicht in Ruhe lassen oder kratzt an einer verkrusteten Wunde so lange herum, bis sie wieder blutet. Problematischer ist es aber, wenn das Knibbeln, Drücken und Bearbeiten zur Gewohnheit oder gar zum Zwang wird.

Manche denken dann erst ans Aufhören, wenn der Mitbewohner ans Bad klopft, eine Freundin anruft oder der Paketbote klingelt. Dann sind allerdings all die roten Flecken und blutenden Wunden im Gesicht oder am Körper bereits offensichtlich und nicht wenige Betroffene schämen sich dafür. Experten nennen das Verhalten medizinisch „Skin Picking Disorder“. Wir erklären, wann es behandlungsbedürftig ist, woher es kommt und welche Therapien Linderung bringen können.

Was ist Skin Picking?

Der Begriff Skin Picking Disorder kommt von skin „Haut“, to pick „kratzen“ und disorder „Störung“ - der lateinische Fachbegriff hingegen ist Dermatillomanie. Das Verhalten ist eine Erkrankung, bei der man einen unwiderstehlichen Drang verspürt, die Haut immer wieder zu berühren, zu quetschen oder aufzukratzen. Die Betroffenen können die Haut einfach nicht in Ruhe lassen. 

Das kann schwere Folgen haben, zum Beispiel Gewebeschäden. Die Hautveränderungen, die aus diesen Manipulationen entstehen, sind oft der erste Grund für einen Besuch beim Arzt. Das ist dann in der Regel zunächst die Dermatologin oder der Dermatologe.

Skin Picking als psychische Erkrankung

Skin Picking ist aber nicht nur ein gravierendes Hautproblem, das man mit Medikamenten oder Cremes behandeln kann oder muss – sondern auch eine psychische Erkrankung. Trotzdem ist es natürlich sinnvoll, beim Dermatologen oder der Dermatologin eine Hauterkrankung wie Akne oder Neurodermitis auszuschließen oder bestätigen zu lassen.

Denn manchmal entsteht der Drang, die Haut zu bearbeiten, anfangs tatsächlich durch eine klassische Hautkrankheit. Dann hilft es, diese Grunderkrankung dermatologisch zu behandeln und damit die „Rechtfertigung“ fürs Knibbeln zu beseitigen. Wenn die Haut ohne Grund dauernd gestört wird, können sich daraus auch behandlungsbedürftige Hautveränderungen entwickeln: Krusten, juckende Knötchen, Infektionen oder Narben.

Welchen Arzt oder welche Ärztin bei Skinpicking ansprechen?

Es ist gar nicht so leicht, sich einzugestehen, dass man sich die Hautveränderungen selbst zugefügt hat. Trotzdem sollte man sich unbedingt der Hautärztin oder dem Hautarzt anvertrauen. Denn nur dann, kann man auch die Hintergründe behandeln. Wahrscheinlich wird die Dermatologin oder der Dermatologe hierzu an eine psychotherapeutische Praxis überweisen, wo Sie Hinweise zu speziellen Therapien erhalten.

Seit 2013 wird Skin Picking oder „Dermatillomanie“ als Zwangsstörung bezeichnet, seit 2018 wird sie zudem den körperbezogenen repetitiven Verhaltensstörungen zugeordnet . Je nach Studie leiden geschätzt zwischen 1,4 und 5,2 Prozent der Deutschen, vor allem Frauen, einmal im Leben darunter. Meist beginnt der Leidensweg in der Jugend, manchmal aber auch erst in einem Alter zwischen 30 und 45 Jahren.

Skin Picking: Ein Problem offen eingestehen

Am besten sollte man zunächst sich selbst gegenüber wirklich ehrlich sein und das tatsächliche Ausmaß konkret benennen. Etwa, dass man es schon lange nicht schafft, die Haut im Gesicht, an den Fingern, Armen oder Beinen in Ruhe zu lassen, sobald man vor einem Spiegel steht, von der Arbeit nach Hause kommt oder sich abends bettfertig macht.

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Dass man sie stattdessen millimeterweise akribisch bearbeitet, womöglich nicht nur mit den Händen, sondern auch mit Pinzette, Nadel, Zähnen oder Hautschere und wie in Trance immer weitermachen muss. Wie sich dadurch seelische Spannung und innerer Druck abbaut. Welche Schmerzen das letztlich verursacht, vielleicht auch wie sehr man sich dafür schämt, Vorwürfe macht, sich auch sozial zurückzieht – und dass man es trotzdem nicht schafft, aufzuhören.

Diese Offenheit kostet womöglich Überwindung, aber wenn dieses Eingeständnis dem Spiegelbild gegenüber geschafft ist, fällt auch die Schilderung bei Ärztin oder Arzt leichter. Expertinnen und Experten sind genau dafür da – und haben schon ganz andere Dinge gehört. Sie brauchen alle Details, um eine exakte Diagnose zu stellen und um eine passende Therapie zu beginnen.

Wie werde ich untersucht, wenn ich an Skin Picking leide?

Die Dermatologin oder der Dermatologe wird die betroffenen Hautstellen untersuchen, um eine mögliche zugrundeliegende Hautkrankheit auszuschließen. Sensibilisierte und gut ausgebildete Fachärzte und Fachärztinnen erkennen am Hautbild und an gezielten Fragen zudem, ob es sich um eine Dermatillomanie handeln könnte – und helfen dann, auf einen Psychotherapeuten oder eine Psychotherapeutin zuzugehen.

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Um die richtige Diagnose stellen zu können, steht dort zunächst der vordergründige Leidensdruck im Fokus: Wie regelmäßig und wie lange finden die Hautmanipulationen statt? 

Wie tief sind Wunden, wie bleibend die Narben? Wie massiv sind die dadurch entstehenden negativen Gefühle? Welche Konsequenzen wie sozialer Rückzug oder berufliche Probleme hat das Knibbeln? Im Anschluss geht es dann darum herauszufinden, welche Ursachen den Episoden zugrunde liegen könnten.

Was hilft gegen Skin Picking?

Haben Sie sich professionelle Hilfe gesucht, also etwa eine Selbsthilfegruppe oder einen Arzt oder Therapeuten aufgesucht, ist der erste Schritt hin zu erfolgsversprechenden Skin-Picking-Therapien geschafft. Im Zentrum steht hier oft die kognitive Verhaltenstherapie, die unter anderem aus Selbstbeobachtung sowie Habit-Reversal-Training besteht: Dabei ersetzt man die Gewohnheit des Knibbelns durch etwas anderes - etwa indem man die Finger spreizt, zu Fäusten ballt oder sich auf die Hände setzt, um das Verhalten wieder zu verlernen.

Zudem erfahren Betroffene, wie sie ihre Emotionen anders regulieren, die Selbstakzeptanz stärken und mehr Selbstvertrauen entwickeln können. Das Knibbeln wird so deutlich verringert, der Drang dazu kann sogar ganz verschwinden.

Übrigens: Selten werden auch Antidepressiva verschrieben, sogenannte Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRIs). Sie sollen Zwangsgedanken und zwanghafte Verhaltensweisen reduzieren, haben bisher aber keinen Vorteil gegenüber einer Behandlung mit Placebos gezeigt.

Eine wirksame Ergänzung zur kognitiven Verhaltenstherapie sind dagegen Entspannungsverfahren, wie Autogenes Training oder progressive Muskelrelaxation nach Jacobsen. Sie helfen dabei, den Drang zum selbstverletzenden Verhalten abzubauen, damit die Haut wieder heilen kann.

Barmer-Versicherte haben die Möglichkeiten, die progressive Muskelrelaxation auszuprobieren – kostenfrei und online, mit dem Kurs PMR Mentale Balance von CyberHealth.

Tipps, um weniger zu knibbeln

Tracken

Notieren Sie, wann und wo die Episoden am häufigsten auftreten. Versuchen Sie daraufhin, entsprechende Situationen, die ein Zupfen und Rupfen an der Haut auslösen, zu vermeiden. 

Ersetzen

Wenn der Drang zum Knibbeln kommt: Beschäftigen Sie Ihre Hände, etwa mit einem Ball, einem Fidget Toy, mit dem Knallen von Luftpolsterfolie oder einer anderen Ersatzbefriedigung. 

Blockieren

Um die Finger am Suchen nach Unebenheiten zu hindern, helfen Handschuhe, Fingerlinge oder lange Kleidung. Auch Pflaster über den Fingerkuppen sind wirksame Tricks. 

Netzwerken

Es macht Mut und bietet viele neue Lösungsansätze, sich digital oder analog mit anderen Betroffenen auszutauschen, etwa in einer Skin-Picking-Selbsthilfe-Gruppe. 

Literatur und weiterführende Informationen

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