Eine junger Mann informiert sich über die Nebenwirkungen seiner Schmerzmittel
Depression

Antidepressiva: Vorteile und Nebenwirkungen

Lesedauer unter 6 Minuten

Redaktion

  • Viktoria Vida (Psychologin, Master of Science)

Qualitätssicherung

  • Dr. med. Susanne Zeigermann (Fachärztin für Psychosomatik und Psychotherapie)

Die Verschreibungen von Antidepressiva haben seit den 1990er-Jahren stetig zugenommen und sich seit der Jahrtausendwende sogar mehr als vervierfacht. Doch nicht jede von Depressionen betroffene Person erlebt durch die Medikamente eine Besserung ihrer Symptome. Es wird davon ausgegangen, dass etwa 50 bis 75 Prozent der Patientinnen und Patienten positiv auf Antidepressiva ansprechen. Gleichzeitig gibt es häufig Berichte über Nebenwirkungen. Es ist daher nachvollziehbar, wenn Betroffene Antidepressiva erst einmal skeptisch gegenüberstehen. 

Wie wirken Antidepressiva, und was sind ihre Nebenwirkungen? Was gilt es bei der Einnahme zu beachten?

Was sind Antidepressiva?

Antidepressiva gehören zu den sogenannten Psychopharmaka. Sie sind also Medikamente, die bei der Behandlung von psychischen Erkrankungen verwendet werden. Unter den Begriff Antidepressiva fallen verschiedene Wirkstoffe, die stimmungsaufhellend wirken. Entgegen manchen Befürchtungen machen die Medikamente weder süchtig noch gehören sie zu den Aufputsch- oder Beruhigungsmitteln. Auch haben sie keine persönlichkeitsverändernde Wirkung.

Wie wirken Antidepressiva?

Antidepressiva bezeichnen verschiedene Arzneimittel, die sich in ihrem Wirkmechanismus unterscheiden können. Im Detail weiß die Medizin noch nicht, wie genau die Präparate ihre Wirkung entfalten. Grundlegend beruht die Wirkung aller Antidepressiva aber auf der Beeinflussung von biochemischen Botenstoffen im Gehirn – den sogenannten Neurotransmittern. Sie sind maßgeblich an der Reizübertragung zwischen Nervenzellen beteiligt. Ein bekanntes Beispiel ist das Serotonin: Es wirkt auf zahlreiche neurologische Prozesse und hat unter anderem Auswirkungen auf den Schlaf, das Schmerzempfinden, Emotionen und die allgemeine Stimmung.

In Deutschland sind etwa 30 Wirkstoffe aus der Medikamentengruppe der Antidepressiva zugelassen, die als Tabletten oder Tropfen verfügbar sind. Anhand ihrer pharmakologischen und neurochemischen Charakteristika werden die Antidepressiva in verschiedene Kategorien – sogenannte Substanzklassen – unterteilt.

Häufig zur Behandlung von Depressionen verwendete Substanzklassen und dazugehörige Wirkstoffe sind:

  • Selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Inhibitoren (SSRI) mit den Wirkstoffen Citalopram, Escitalopram, Fluoxetin, Fluvoxamin, Paroxetin, Sertralin 
  • Selektive Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahme-Inhibitoren (SSNRI) mit den Wirkstoffen Venlafaxin, Duloxetin, Milnacipran
  • Alpha-2-Rezeptor-Antagonisten mit den Wirkstoffen Mirtazapin und Mianserin
  • Nicht selektive Monoamin-Wiederaufnahme-Inhibitoren (NSMRI), auch tri- oder tetrazyklische Antidepressiva (TZA) genannt, mit den Wirkstoffen Amitriptylin, Clomipramin, Doxepin, Imipramin, Nortriptylin, Trimipramin 
  • Monoaminooxidase-Inhibitoren (MAO-Hemmer) mit den zwei in Deutschland zugelassenen Wirkstoffen Moclobemid und Tranylcypromin 
  • Medikamente anderer Gruppen, zum Beispiel Bupropion, Agomelatin und Trazodon

Pflanzliches Medikament als Antidepressivum: Hilft Johanniskraut?

Manche Menschen mit Depressionen möchten pflanzliche Mittel ausprobieren, bevor sie ein synthetisch hergestelltes Antidepressivum in Erwägung ziehen. In diesem Kontext wird häufig die Einnahme von Johanniskraut empfohlen, bei dem es sich um ein stimmungsaufhellendes pflanzliches Arzneimittel handelt, das frei erhältlich ist. Welche der in Johanniskrautextrakt enthaltenen Substanzen für diese Wirkung verantwortlich ist, ist nicht abschließend geklärt. Studien weisen aber darauf hin, dass Johanniskraut bei leichten und mittelschweren depressiven Symptomen besser wirkt als ein Scheinmedikament (Placebo).

Mögliche Nebenwirkungen bei der Einnahme von Johanniskraut sind unter anderem eine Empfindlichkeit auf Sonnenlicht, Magen-Darm-Probleme, Müdigkeit und Unruhe. Darüber hinaus sind Wechselwirkungen mit einer Vielzahl anderer Wirkstoffe möglich. So kann die Einnahme von Johanniskraut beispielsweise die Wirksamkeit oraler Verhütungsmittel vermindern. Darüber hinaus können Wechselwirkungen mit verschiedenen Medikamenten bestehen, die bei der Behandlung von Krebs oder HIV zum Einsatz kommen.

Fragen Sie Ihre Ärztin oder Ihren Arzt, ob in Ihrem Fall die Einnahme empfehlenswert ist und ob sich das Mittel gegebenenfalls mit der Einnahme weiterer Medikamente verträgt. 

In welchen Fällen zeigen Antidepressiva die stärkste Wirkung?

Ärztinnen und Ärzte verschreiben Antidepressiva insbesondere bei mittelschweren und schweren Depressionen. Die stärkste Wirkung zeigen Antidepressiva laut Studien bei schweren Depressionen.

Darüber hinaus werden Antidepressiva auch zur Behandlung der Dysthymie eingesetzt – einer milden, aber chronisch verlaufenden Form der Depression. Die betroffenen Personen erleben kein episodenhaftes Auftreten der Symptome (wie bei einer leichten Depression), sondern einen dauerhaften Zustand milder depressiver Symptome. Bei dieser Form der depressiven Störung wird häufig zu einer Behandlung mit Antidepressiva geraten, da Forschungsergebnisse auf positive Effekte von Antidepressiva bei chronischen Depressionen hinweisen.

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Nicht nur bei Depressionen können Antidepressiva helfen. Sie werden gegebenenfalls auch zur Behandlung von Panik-, Angst- und Zwangsstörungen sowie posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS), chronischen Schlafstörungen und chronischen chronischen Schmerzsyndromen eingesetzt.

Welche Nebenwirkungen haben Antidepressiva?

Die Nebenwirkungen können je nach Antidepressivum sehr unterschiedlich ausfallen. Am häufigsten betreffen sie das Herz-Kreislauf-System, das Nervensystem und die Sexualität. 

Ein Mann guckt skeptisch auf zwei Medikamentendosen im Badezimmer

Bei der Verschreibung eines Antidepressivums werden verschiedene Faktoren abgewogen, zum Beispiel die möglichen Nebenwirkungen.

Welche Nebenwirkungen bei den verschiedenen Substanzklassen häufig auftreten können, zeigt der folgende Überblick.

Selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Inhibitoren (SSRI) und Selektive Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahme-Inhibitoren (SSNRI)

  • Übelkeit
  • Unruhe und gesteigerter Antrieb
  • Schlafstörungen
  • sexuelle Funktionsstörungen 
  • Schwitzen (vor allem nachts)
  • Tremor (unwillkürliche, rhythmische, zitternde Bewegung eines Körperteils)

Alpha-2-Rezeptor-Antagonisten

  • Sedierung (Abnahme der Atemfrequenz, des Blutdrucks, der Körpertemperatur oder der Darmtätigkeit, vermehrtes Schwitzen)
  • Appetit- und Gewichtszunahme
  • Dysorthostase (Schwindel, Herzrasen, Störung der Sehfunktion, Schwächegefühl im Stehen; Symptome vermindern sich im Sitzen oder Liegen wieder)
  • Alpträume

Nicht selektive Monoamin-Wiederaufnahme-Inhibitoren (NSMRI) sowie ri- und tetrazyklische Antidepressiva (TZA) 

  • anticholinerge Effekte (Mundtrockenheit, Sehstörungen, Verstopfung, Harnverhalt, Gedächtnisprobleme)
  • Sedierung
  • Appetit- und Gewichtszunahme
  • kardiale Überleitungsstörungen, Herzrhythmusstörungen
  • Dysorthostase
  • Hypotonie (niedriger Blutdruck)
  • Akkommodationsstörungen (verschwommenes, unscharfes Sehen im Nah- oder Fernbereich)

Monoaminooxidase-Inhibitoren (MAO-Hemmer)

  • Schlafstörungen
  • Mundtrockenheit
  • Dysorthostase
  • Bei der Einnahme von Tranylcypromin: hypertensive Krisen (Atemnot, Brustschmerzen, Seh- und Sprachstörungen)

Diese Nebenwirkungen können, müssen aber nicht bei der Einnahme von Antidepressiva auftreten. Für gewöhnlich werden zu Beginn der Behandlung geringere Dosen des Medikaments eingesetzt (Anfangsdosis). In dieser Phase ist eine engmaschige ärztliche Betreuung von besonderer Bedeutung. So können eventuelle Nebenwirkungen festgestellt werden und die Medikation lässt sich gegebenenfalls frühzeitig anpassen. 

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Sofern die Patientin oder der Patient das Medikament verträgt, wird die Dosis entsprechend auf die empfohlene Standarddosis angehoben. In diesem Zusammenhang sprechen Medizinerinnen und Mediziner von der sogenannten Aufdosierungsphase. Hierbei gilt: Verändern Sie niemals eigenmächtig die Dosis oder setzen ein Antidepressivum ganz ab, ohne Rücksprache mit Ihrer Ärztin oder Ihrem Arzt gehalten zu haben.

Antidepressiva: Welches Medikament ist das richtige für mich?

Verschiedene Antidepressiva unterscheiden sich zum Teil in ihrer Wirksamkeit und ihrem Nebenwirkungsprofil. Es gilt individuell abzuwägen, welches Antidepressivum bei der jeweiligen Patientin oder dem jeweiligen Patienten am besten geeignet ist. 

Manche Menschen mit Depressionen sind beispielsweise dazu bereit, ein Antidepressivum mit schlaffördernder Wirkung einzunehmen, da sie unter Schlafstörungen leiden. Andere Betroffene fühlen sich sowieso schon permanent müde und möchten kein Medikament mit einer solchen Nebenwirkung einnehmen. 

Besprechen Sie daher gemeinsam mit Ihrer Ärztin oder Ihrem Arzt, welche Substanz am besten mit Ihrer aktuellen psychischen und körperlichen Situation vereinbar ist und welche Nebenwirkungen Sie am ehesten akzeptieren können. Hierbei ist es wichtig, mögliche Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten zu berücksichtigen, die Sie vielleicht zu sich nehmen.

Infografik: Verschiedene Kriterien spielen bei der Auswahl des passenden Antidepressivums eine Rolle, zum Beispiel, ob noch andere Medikamente eingenommen werden.

Verschiedene Kriterien spielen bei der Auswahl des passenden Antidepressivums eine Rolle, zum Beispiel, ob noch andere Medikamente eingenommen werden.

Wie schnell wirken Antidepressiva?

Antidepressiva entfalten ihre Wirkung nicht unmittelbar nach der ersten Einnahme. Es vergehen häufig etwa drei bis vier Wochen, bis Betroffene eine Veränderung ihrer depressiven Symptome bemerken. Bis ein Antidepressivum seine volle Wirkung entfaltet, dauert es in den meisten Fällen zwei bis sechs Wochen. Ist nach drei bis vier Wochen noch keinerlei Besserung der depressiven Symptome eingetreten, sollte ärztlich abgeklärt werden, ob der Umstieg auf ein anderes Antidepressivum sinnvoll ist.

Bemerken Betroffene eine positive Wirkung des Antidepressivums, sollten sie es keinesfalls direkt wieder absetzen, da zu Beginn ein hohes Rückfallrisiko besteht. Es wird empfohlen, nach Abklingen der depressiven Symptome das Antidepressivum für mindestens sechs Monate weiter einzunehmen, um das Rückfallrisiko zu senken (Erhaltungstherapie). Doch auch hier gilt: Jede betroffene Person ist individuell zu betrachten und bedarf einer ärztlichen Beratung zur Einnahme und zum Absetzen des Antidepressivums.

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