Der Ukraine-Krieg, die COVID-19-Pandemie, der Klimawandel: Schlechte Nachrichten dominieren Informationsportale und die Newsfeeds der sozialen Netzwerke. Darin verliert man sich leicht und klickt und klickt und klickt immer weiter – mit negativen Folgen für die eigene Psyche. Was es mit Doomscrolling auf sich hat und was sich dagegen unternehmen lässt.
Ausgebombte Häuser, brennende Panzer, weinende Menschen. Allein die Bilder und Videos, die die Nachrichtenportale zum Ukraine-Krieg zeigen, lassen uns erschaudern. Noch schlimmer sind die Social-Media-Posts von Anwohnern und Soldaten, die den Krieg direkt erleben müssen. Beim Betrachten lösen sie eine Vielzahl schwieriger Emotionen aus: Kriegsangst, Trauer, Wut, Entsetzen, all das wirbelt in Kopf und Körper durcheinander. Trotzdem können wir es oft nicht lassen, weiter durch die Beiträge zu scrollen. Bis zum eigenen Verderben, wie es das Schlagwort „Doomscrolling“ verheißt.
Nur: warum eigentlich? Warum sind wir so gefesselt von negativen Nachrichten, warum können wir den Blick nicht abwenden, wenn etwas Schreckliches passiert? Und was macht das mit uns, wenn wir uns immer und immer weiter mit dem Negativen beschäftigen?
Doomscrolling: Was ist das eigentlich?
Tatsächlich hat das Phänomen, sich exzessiv mit schlechten Nachrichten zu beschäftigen, einen eigenen Namen: Doomscrolling. Der Begriff setzt sich zusammen aus „Doom“ – dem englischen Wort für Untergang oder Verderben – und „scrolling“, der Abwärtsbewegung auf dem Bildschirm. Hin und wieder ist auch vom Doomsurfing die Rede – „surfing“, wie das Surfen im Internet.
Weil der Begriff noch sehr neu ist und sich zunächst auf Twitter verbreitet hat, gibt es bislang keine wissenschaftliche Definition des Phänomens. Trotzdem machte das Schlagwort eine steile Karriere, schließlich gab es genug Anlass in Form von schlechten Nachrichten: der Tod des US-Amerikaners George Floyd und die daraus entstandenen Proteste, die COVID-19-Pandemie oder nun eben der Ukraine-Krieg. Die Macher des englischen Wörterbuchs Merriam-Webster prüfen sogar, ob man Doomscrolling künftig in den Wörterkatalog aufnehmen sollte, und definieren es als „neue Begrifflichkeit, die sich auf die Tendenz bezieht, weiterhin durch schlechte Nachrichten zu surfen oder zu scrollen, auch wenn diese Nachrichten traurig, entmutigend oder deprimierend sind.“
Neu ist der Begriff vermutlich auch, weil Menschen noch nicht lange die Möglichkeit haben, sich schier endlos mit (negativen) Nachrichten zu beschäftigen. War früher die Tageszeitung irgendwann ausgelesen und musste eine Stunde verstreichen, bis die nächste Nachrichtensendung im Radio lief, sind die Informationskanäle heute unerschöpflich. So befragten zwei norwegische Forscher der Universität Bergen 550 Menschen zu ihrem Nachrichtenkonsum in der Anfangszeit der COVID-19-Pandemie und kamen zu dem folgenden Fazit: „Die 24/7-Nachrichtenströme des Live-Fernsehens, die Online-Nachrichtenseiten und die Aktualisierungen in den sozialen Medien stellen für die Nutzer eine ständige Möglichkeit dar, Nachrichten zu verfolgen, die besonders dann zugänglich sind, wenn der Lockdown die normalen Arbeitszeiten und den Rhythmus der täglichen Aktivitäten auflöst.“ Gleichzeitig habe die Dringlichkeit der sich entwickelnden COVID-19-Situation dazu geführt, dass die Nutzer in einen Informationssog geraten seien, aus dem es schwierig war, wieder auszubrechen. „Wir stellen fest, dass die Menschen sowohl der Informationsüberlastung als auch der emotionalen Erschöpfung entgegenwirken mussten, wobei wir betonen, dass die Menge der Pandemienachrichten starke emotionale Reaktionen hervorrief“, so das Resümee der Wissenschaftler.
Warum Doomscrolling belastend ist
Nun dürften die schlechten Nachrichten der COVID-19-Pandemie und des Ukraine-Kriegs das Doomscrolling zwar befeuert haben. Doch das dahintersteckende Phänomen – die Beschäftigung mit schlechten Nachrichten – ist altbekannt. Menschen interessieren sich grundsätzlich eher für das Negative. Das hat evolutionäre Gründe, denn den angreifenden Bären zu entdecken war überlebenswichtiger als den schönen Sonnenaufgang zu betrachten. So kommt es, dass schlechte Nachrichten in den sozialen Medien häufiger angeklickt werden und in der Folge durch die Algorithmen häufiger angezeigt werden.
Ein Teufelskreis, der letztlich die Psyche der Nutzerinnen und Nutzer belasten kann. Denn zu viel Zeit in den Newsfeeds der sozialen Netzwerke – und insbesondere per Doomscrolling verbrachte Zeit – hat negative Folgen für die mentale Gesundheit. In verschiedenen Studien haben Forscherinnen und Forscher gezeigt, dass doomscrollen die eigene Angst steigert und Menschen etwas depressiver macht. Es verstärkt negative Gedanken und Gefühle, erhöht die Sorgen, stört den Schlaf und führt dazu, dass der Körper Stresshormone ausschüttet. Insbesondere bei Menschen, deren Psyche schon belastet ist oder die eventuell sogar eine psychische Erkrankung haben, sind die negativen Effekte des Doomscrollings ausgeprägt.

Doomscrolling: Je häufiger negative News-Meldungen konsumiert werden, desto stärker werden Angstsymptome.
Wie sich Doomscrolling vermeiden lässt
Es lohnt sich also in jedem Fall, ein Auge darauf zu haben, ob der eigene Konsum negativer Nachrichten belastend wirkt. Ist das der Fall – und man würde gerne weniger klicken und lesen, schafft es aber nicht – kann der ein oder andere Tipp zur Cyberhygiene hilfreich sein :
- Limits festlegen. Bevor man sich in den Newsfeed oder auf die Webseite begibt, setzt man sich eine fixe Lesezeit, die man nicht überschreiten möchte. Das macht es leichter, ein Ende zu finden. Wer Gefahr läuft, das Limit zu vergessen, kann einen Timer am Handy stellen.
- Achtsam bleiben. Beim Scrollen kann man darauf achten, welche Gefühle, beim Lesen oder Betrachten entstehen. Das hilft dabei, zu verstehen, welche Informationen welche Emotionen auslösen. Und das wiederum hilft dabei, das Ausmaß der negativen Reaktionen unter Kontrolle zu behalten.
- Keine Technik im Schlafzimmer. Geht es am Abend ins Bett, sind Smartphones und Fernseher tabu. So kann man dem allabendlichen Zu-Bett-geh-Scrollen vorbeugen und negative Gedanken kurz vorm Schlafen verhindern. Diese sogenannte Schlafhygiene erhöht die Chance auf eine ruhige Nacht ohne aufwühlende Träume oder kraftraubende Grübelphasen.
- Das Positive suchen. Um nicht nur Negatives zu lesen, kann man gezielt positive Seiten und Kanäle aufsuchen. Was gibt’s Neues vom Lieblingsverein und sind da nicht vielleicht irgendwo süße Katzenvideos?
- Digital Detox. Wer merkt, dass ihn das Doomscrolling sehr belastet und es einfach nicht in den Griff bekommt, dem hilft vielleicht eine digitale Fastenkur. Je nach Ursache kann das Fasten unterschiedlich ausfallen: kein Internet, kein Social Media oder keine Nachrichtenkanäle.
- Kontroll-Apps. Es gibt einige Apps und Software-Lösungen, die nach einer vorher eingestellten Zeit den Zugang zu Twitter, Facebook und Co. sperren und so das Doomscrolling unterbrechen.
Exkurs: Studie zum Thema Kriegsangst
Derzeit dominiert der Kriegsschock die Medien und die Gefühlslage vieler Menschen. Eine aktuelle rheingold-Studie zeigt sechs typische Reaktionstendenzen. Aus diesen lassen sich Anregungen ableiten, wie wir jetzt gut auf uns achten können.
- Permanentes Updaten oder Doomscrolling: Tipps zum Konsum schlechter Nachrichten finden Sie im Abschnitt Doomscrolling vermeiden.
- Normalität und Ablenkungen leben: Seine Alltagsstruktur aufrechtzuerhalten, auch wenn man aufgewühlt ist, ist durchaus wertvoll: So bleiben wir im Handeln, schaffen Stabilität und emotionale Erleichterung. Daraus sollte nur keine zwanghafte Verdrängung werden: Wenn Gedanken und Emotionen zur Krise aufkommen wollen, kann man ihnen bewusst einen begrenzten Raum geben und sich dann wieder seinen Aufgaben und seinem Alltag zuwenden.
- Solidarität bekunden: Wie schon zu Beginn der COVID-Krise erleben sehr viele Menschen einen starken Impuls, einem intensivierten Verbundenheitsgefühl Ausdruck zu verleihen. Dies ist eine tief in uns verankerte, wertvolle soziale Stressreaktion. Gespräche, Austausch, Kümmern und Solidarisieren sind wohltuend und bestärkend. Positiver Nebeneffekt ist, dass wir aufeinander achten, wenn wir zum Beispiel Verwandte und Freunde anrufen und uns dafür interessieren, wie es ihnen geht.
- Hilfsbereitschaft zeigen: Die Hilfsbereitschaft gegenüber direkt Betroffenen ist derzeit groß und hilft tatsächlich beiden Seiten. Den Gebenden gibt es das Gefühl, aus der Ohnmacht zu entkommen.
- Fluchtgedanken hegen: Es kann entlastend sein, sich auch für negative Entwicklungen einen nächsten Schritt zurechtzulegen. Das muss kein perfekt gepackter Notfallkoffer sein, es kann auch einfach die Überlegung sein, mit wem man im Fall der Fälle sprechen und weiterplanen wird.
- Auf höheren Beistand hoffen: Auch das kann vielen gut tun: Hoffnungen auf mögliche gute Wendungen gedanklich verfolgen und unser Urvertrauen bestmöglich zu nähren und zu pflegen.
Meditations- und Achtsamkeitsübungen verschaffen in schwierigen Zeiten eine Pause vom Gedankenkarussell und helfen dabei, das Gefühlschaos zu sortieren – zum Beispiel mit der App 7Mind. Barmer-Versicherte können sie kostenfrei nutzen und mit mehr als 500 Übungen gezielt den Schlaf verbessern, die Konzentration stärken oder den Stress abbauen.