Ein kurzer Video-Clip aus dem Jahr 2022 beschäftigt die Arbeitswelt bis heute. Darin spricht ein TikToker über eine bestimmte Haltung zur Arbeit, die er als Quiet Quitting bezeichnet. Man müsse im Job nicht über sich hinauswachsen. Man könne auch einfach nur das tun, was der Arbeitsvertrag von einem verlange – nicht mehr. Wie kommt es zu Quiet Quitting und wie können Arbeitgeber der „stillen Kündigung“ vorbeugen?
Quiet Quitting: Was steckt hinter der „stillen Kündigung“?
Redaktion:
Carola Kleinschmidt (Diplombiologin und Wissenschaftsjournalistin, Nerdpol – Redaktionsbüro für Medizin- und Wissenschaftsjournalismus)Qualitätssicherung:
Viktoria Vida (Psychologin, Master of Science)Was ist Quiet Quitting?
Quiet Quitting beschreibt das Verhalten von Beschäftigten, die sich nicht mehr als nötig im Job engagieren. Auf Deutsch bedeutet der Begriff „stille Kündigung“. Dabei geht es jedoch nicht um das Beenden des Arbeitsverhältnisses. Es ist eine Idee von Arbeit, die man als Gegenentwurf zum bestehenden Leistungsideal sehen kann. Die klar abgegrenzte Haltung der Quiet Quitter zur Arbeit zeigt sich so:
- Quiet Quitter erledigen ihre Arbeit und kümmern sich um die Tätigkeiten, die per Arbeitsvertrag vereinbart sind. Mehr aber nicht.
- Sie machen keine Zusatzprojekte im Job.
- Sie leisten keine Überstunden und machen pünktlich Feierabend.
- Quiet Quitter ziehen eine klare Grenze zwischen Arbeit und Privatleben.
Quiet Quitter haben also prinzipiell nichts gegen das Arbeiten – sie verausgaben sich nur nicht im Job. Damit unterscheiden sie sich von Beschäftigten, die innerlich gekündigt haben und nur mangels Alternativen beim derzeitigen Arbeitgeber bleiben.
Beim Quiet Quitting werden nur noch die vertraglich vereinbarten Aufgaben erledigt. Durch eine starke Abgrenzung zur Arbeit schützen die Betroffenen ihr Privatleben.
Ist Quiet Quitting neu?
Die COVID-19-Pandemie hat die Einstellung zur Arbeit und zum Leben verändert. Doch auch wenn der Begriff Quiet Quitting erst im Jahr 2022 publik wurde, ist das Phänomen dahinter nicht neu, erklärt Nicole Mayer-Ahuja, Arbeitssoziologin an der Georg-August-Universität Göttingen: Schon immer haben sich Beschäftigte gegen schlechte Arbeitsbedingungen gewehrt, indem sie langsamer gearbeitet haben. Auch der wesentlich ältere Begriff des „Dienstes nach Vorschrift“ beschreibt, dass Beschäftigte nur das tun, wozu sie explizit angewiesen sind, ohne Eigeninitiative oder Extraanstrengung.
„Oft nutzte man diese Haltung sogar als Arbeitskampfmaßnahme“, sagt Mayer-Ahuja. Belegschaften verlangsamten die Produktion in Fabriken oder die Abläufe in Behörden absichtlich, um die Führungsriege aufzurütteln. „Kollektive Leistungszurückhaltung galt als wirkungsvolle Maßnahme, um Unternehmen unter Druck zu setzen und Forderungen Nachdruck zu verleihen.“
Barmer Doc Sebastian: Woran erkenne ich Quiet Quitting im Job?
Barmer Doc Sebastian erklärt, was es mit der stillen Kündigung auf sich hat und welche Erkrankungen dahinter stecken können.
Ursachen für Quiet Quitting
Quiet Quitting statt Kündigung
Die Gründe für Quiet Quitting können vielfältig sein. Vermutet wird beispielsweise, dass Quiet Quitting die Reaktion auf eine Übergriffigkeit des Arbeitgebers ist. „Wenn immer mehr gefordert wird, ohne etwas dafür zu geben, wenn unbezahlte Mehrarbeit nicht die Ausnahme, sondern zu einer Selbstverständlichkeit wird, kann Quiet Quitting als eine Art Rettungsanker dienen“, schreibt Professor Uwe Kanning, Wirtschaftspsychologe an der Hochschule Osnabrück, in einem Kommentar zu diesem Thema. Mit der „stillen Kündigung“ zeigen Beschäftigte dem Unternehmen in gewisser Weise die rote Karte, so Kanning.
Unternehmenskultur
Manche Beschäftigte reagieren mit Quiet Quitting, wenn die Unternehmenskultur die Identifizierung mit dem Unternehmen zu sehr forciere, vermutet Wirtschaftspsychologe Kanning in seinem Kommentar. Als Beispiele listet er eine aufgezwungene Duz-Kultur auf oder die unausgesprochene Erwartung, dass man auf After-Work-Partys und im firmeneigenen Fitness-Center erscheinen solle. „Eine solche Einschränkung der individuellen Freiheit ruft bei vielen Gegenwehr hervor“, schreibt er.
In einem Bericht der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) wird zudem ein Ungleichgewicht zwischen den Anforderungen bei der Arbeit und der erhaltenen Wertschätzung als Grund für Quiet Quitting diskutiert. Ein weiterer zentraler Faktor ist der Schutz der eigenen physischen und psychischen Gesundheit. So ist Quiet Quitting dem Bericht zufolge oft das Ergebnis von ungünstigen Arbeitsbedingungen, wie etwa übermäßigem Leistungsdruck, schlechter Kommunikation oder unfairer Behandlung.
Work-Life-Balance
Manchmal führen Veränderungen im Privatleben dazu, dass Beschäftigte zu Quiet Quittern werden, schreibt Kanning. Die Geburt eines Kindes oder eine Erkrankung können dazu führen, dass man nicht mehr all seine Zeit und Energie in den Job stecken möchte oder kann. Die persönliche Work-Life-Balance wird wichtiger.
Der Wunsch, dass der Beruf seine Grenzen hat und das Privatleben nicht zu sehr beeinträchtigt, zeichnet sich auch in Umfragen ab: In der Arbeitszeitbefragung der BAuA (Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin) im Jahr 2021 gaben 76 Prozent der Beschäftigten an, dass es ihnen wichtig sei, Arbeit und Privatleben zu trennen. Sie wollten neben dem Job auch ausreichend Zeit für Hobbys, Familie und Freunde haben. Laut einer Studie befürworten drei Viertel der Beschäftigten eine Vier-Tage-Woche. Viele würden zudem gerne in Teilzeit arbeiten. Dieser Trend zeigt sich bei Jüngeren deutlicher als bei Älteren.
Wie verbreitet ist Quiet Quitting?
Auch wenn die Medien derzeit viel über das Phänomen Quiet Quitting berichten, so können Forschende bislang keinen deutlichen Trend erkennen, der auf ein sinkendes Engagement der Beschäftigten hindeutet. Die BAuA stellt fest, dass 90 Prozent der Beschäftigten zufrieden oder sogar sehr zufrieden mit ihrer Arbeit sind. Nur knapp ein Viertel denkt darüber nach, den Arbeitgeber zu wechseln. Diese Zahlen haben sich seit 2015 kaum verändert. Die aktuelle Umfrage einer Unternehmensberatung, an der 2000 Beschäftigte teilnahmen, zeigt, dass sich 72 Prozent als motiviert bezeichnen, wohingegen 28 Prozent höchstens „Dienst nach Vorschrift“ machen.
Für einzelne Beschäftigte kann Quiet Quitting durchaus Vorteile haben, vielleicht ist es sogar ein wirksamer Schutz vor Stress und Überlastung. Dennoch wird es vermutlich nicht zum Massenphänomen werden, auch wenn der Mangel an Arbeitskräften die Machtverhältnisse künftig verschieben könnte. Zum einen setzt Quiet Quitting voraus, dass das Beschäftigungsverhältnis sicher ist. Und zum anderen muss man es sich auch leisten können: „Quiet Quitting durch reduzierte Arbeitszeit funktioniert nur bei Stundenlöhnen, die es ermöglichen, die Arbeitszeit auf eigene Kosten zu verkürzen“, erklärt Arbeitssoziologin Mayer-Ahuja. Und die Gruppe, die sich dafür entscheidet, sei so klein, dass sich das Phänomen statistisch kaum abbilden lässt.
Im Moment zeige sich bei vielen Beschäftigten ein gegenteiliger Trend, weiß Mayer-Ahuja. Überstunden in Vollzeitstellen seien immer noch Gang und Gäbe. Und gerade in weniger gut bezahlten Jobs arbeiten viele Menschen tendenziell immer mehr: „Wir beobachten einen starken Anstieg von Mehrfachbeschäftigung im Niedriglohnbereich“, sagt Mayer-Ahuja. Der Grund: Der schlecht bezahlte Hauptjob reicht oft nicht zum Leben aus. Ein Mini-Job muss die Haushaltskasse aufbessern – und schnell überschreitet die wöchentliche Gesamtarbeitszeit 40 Stunden.
Auswirkungen von Quiet Quitting
Quiet Quitting wird häufig so interpretiert, als sei die junge Generation weniger belastbar und nicht mehr leistungsbereit, beobachtet Soziologin Mayer-Ahuja. Doch dieser Rückschluss ist falsch, sagt sie. Eine reduzierte Arbeitszeit könnte dem Unternehmen am Ende sogar nützen. „Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass die Arbeitsintensität bei Teilzeitstellen besonders hoch ist“, sagt Mayer-Ahuja. Das heißt: Viele Teilzeitkräfte arbeiten besonders fokussiert – ohne Kaffeepausen und Flurfunk. Nicht selten schaffen sie im Rahmen einer Halbtagsstelle drei Viertel dessen, was Vollzeitbeschäftigte leisten.
Unbestritten ist jedoch, dass Quiet Quitting in der Teamarbeit Probleme machen kann. Schließlich kann Arbeit liegen bleiben, wenn jeder streng auf seine Grenzen achtet. Die Umfrage eines Karriereportals zeigt, dass insbesondere sogenannte High-Performer, also überdurchschnittlich engagierte und leistungsstarke Mitarbeitende, verärgert reagieren, wenn sie die Arbeit von weniger engagierten Teamkolleginnen und -kollegen mittragen müssen. Schließlich sagen die Kolleginnen und Kollegen schlicht „Nein“, wenn die Führungskraft eine Extra-Aufgabe verteilen möchte. Und wenn ein Projekt länger dauert als geplant, zucken Quiet Quitter mit den Schultern, während andere im Team eben doch Überstunden machen, um die Deadline zu halten.
Beim Quiet Quitting können einzelne Beschäftigte profitieren, weil sie Stress und Leistungsdruck abbauen. Bei der Teamarbeit kommt es allerdings häufiger zu Konflikten, wenn die Arbeitslast unfair verteilt wird.
Wie lässt sich Quiet Quitting vorbeugen?
Für Unternehmen, die Quiet Quitting vorbeugen möchten, nennt die BAuA in ihrer Kurzanalyse diese präventiven Maßnahmen:
- Gut gestaltete Arbeitsbedingungen
- Individuell abgestimmtes Maß an Flexibilität und Autonomie, etwa Gleitzeit, sofern möglich
- Konstruktives Führungsverhalten
- Gute organisationale Rahmenbedingungen, etwa Mitbestimmungsmöglichkeiten und transparente Prozesse, auch als Zeichen der Wertschätzung
Firmen, die verhindern möchten, dass ihre Beschäftigten zu Quiet Quittern werden, haben durchaus Handlungsspielraum, sagt auch Mayer-Ahuja. Ihre Empfehlung: „Arbeitsbedingungen, die eine gute Work-Life-Balance ermöglichen.“
Literatur und weiterführende Informationen
- EY (Abruf vom 23.07.2025): Arbeitsstudie: Mehr als jeder Vierte macht nur „Dienst nach Vorschrift“
- Georgia Papadopoulou und Fotios Vouzas (Abruf vom 24.07.2025): Exploring quiet quitting in the organizational context: A systematic literature review and a theoretical framework
- HDI (Abruf vom 22.07.2025): HDI Berufe-Studie 2022
- Nils Backhaus und Kai Klasmeier (Abruf vom 22.07.2025): Quiet Quitting: Gibt es einen Trend zur „stillen Kündigung“ in Deutschland?
- Roschan Monsef et al. (Abruf 22.07.2025): Der Trend zur Zweitbeschäftigung – Nur eine Frage des Geldes?
- Sandro Formica und Sfodera Fabiola (Abruf vom 22.07.2025): The great resignation and quiet quitting paradigm shifts: An overview of current situation and future research directions
- Uwe Kanning (Abruf vom 22.07.2025): Quiet Quitting ist keine innere Kündigung
- Yasemin Boy und Mahmut Sürmeli (Abruf vom 24.07.2025): Quiet quitting: A significant risk for global healthcare
- Zhong Xueyun et al. (Abruf vom 23.07.2025): Modelling the significance of organizational conditions on quiet quitting intention among Gen Z workforce in an emerging economy