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Zukunft des Gesundheitswesens

Telemedizin: Hürden abbauen, Patientennutzen steigern

Lesedauer unter 5 Minuten

Autor

  • Prof. Dr. Christoph Straub (Vorstandsvorsitzender der Barmer)

Videosprechstunden könnten besonders in ländlichen Regionen die Versorgungsqualität verbessern und unnötige Wege und Wartezeiten für Patientinnen und Patienten reduzieren. Bisher bieten aber nur sehr wenige Arztpraxen Fernbehandlungen an. Mit dem Teledoktor möchte die Barmer einen Impuls für die Stärkung der Telemedizin setzen und die patientenzentrierte Weiterentwicklung von Fernbehandlungsangeboten fördern. Damit sich die Videosprechstunde besser und schneller in der Versorgung etabliert, müssen jedoch regulatorische Hürden abgebaut werden.

Berlin, Oktober 2022 – Bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens und dem Ausbau der Telemedizin ist Deutschland noch lange nicht dort angelangt, wo es stehen könnte und sollte. Diese unbefriedigende Situation hat mehrere Ursachen: Beharrungskräfte in einem komplexen Gesundheitssystem, ungeklärte Datenschutzfragen und eine teils unzureichende digitale Infrastruktur in einigen Regionen. Die Weiterentwicklung der Telemedizin wird aber auch von unnötigen regulatorischen Hürden ausgebremst. 

Die Videosprechstunde verbessert die Versorgungsqualität

Der Ausbau telemedizinischer Angebote, insbesondere der ärztlichen und psychotherapeutischen Videosprechstunde, hat großes Potenzial, die Versorgung zu verbessern und Patientinnen und Patienten den Zugang zum Gesundheitswesen zu erleichtern. Das gilt besonders für strukturschwache, unterversorgte Regionen, wo die Wege zur nächsten Praxis weit sind und es mitunter lange dauert, einen Termin zu bekommen.

Ein Frau hält ein Tablet in der Hand, auf dem ein Arzt zu sehen ist.

Videosprechstunde nutzen, lange Anfahrtswege und Wartezeiten einsparen


Ärztinnen und Ärzte sowie Psychotherapeutinnen und -therapeuten lassen sich bevorzugt in den Ballungszentren nieder. Dort ist das Angebot teilweise höher als der Bedarf, während wir im ländlichen Raum schon heute eine Unterversorgung sehen, die sich in den nächsten Jahren verschärfen wird. Mit der Videosprechstunde hätten wir die Möglichkeit, Versorgungsangebote räumlich vom Standort der Praxis zu entkoppeln und mit den Kapazitäten aus überversorgten Regionen die angespannte Situation in unterversorgten Gebieten zu entschärfen. 

Die Videosprechstunde kann nicht nur dabei helfen, systematische Versorgungsengpässe zu beseitigen, sie hat auch unmittelbare Vorteile für Patientinnen und Patienten: Anfahrtswege und Wartezeiten in der Praxis entfallen und man bekommt schneller einen Termin zu erweiterten Öffnungszeiten. 

„Die Videosprechstunde spielt eine wesentliche Rolle auf dem Weg zu einem nachhaltigen und effizienten Gesundheitswesen. Sie kann die Versorgungsqualität steigern, bietet erweiterte Öffnungszeiten, ermöglicht schnellere Terminvergaben und erspart Patientinnen und Patienten Wege und Wartezeiten. Wir sollten dieses Potenzial in Deutschland viel stärker nutzen, als wir es bisher tun.“

Wir sehen auch, dass einige Menschen einen Praxisbesuch scheuen, aber durchaus bereit sind, Fernbehandlungsangebote zu nutzen. Das gilt insbesondere bei psychischen Leiden, bei denen manche auch heute noch eine Stigmatisierung fürchten. So erreichen telemedizinische Angebote teilweise Menschen, die Hilfe benötigen, aus persönlichen Gründen aber bisher keine Hilfsangebote genutzt haben.

Viel zu wenige Arztpraxen bieten eine Fernbehandlung an

Trotz der Potenziale telemedizinischer Angebote wird die Videosprechstunde in Deutschland viel zu selten eingesetzt. In den letzten drei Jahren ist das Angebot bedingt durch die Corona-Pandemie durchaus gewachsen. Noch 2019 kamen Videosprechstunden praktisch überhaupt nicht zum Einsatz. Bei der Barmer wurden damals ganze 250 Videosprechstunden in einem Jahr abgerechnet – bei fast 9 Millionen Barmer-Versicherten. 
Im vergangenen Jahr 2021 lagen wir bereits im sechsstelligen Bereich. Und trotzdem ist das viel zu wenig: Videosprechstunden machen noch immer weniger als ein Prozent aller bei der Barmer abgerechneten Sprechstunden aus. 

Professor Dr. Christoph Straub ist Vorstandsvorsitzender der Barmer.

Prof. Dr. Christoph Straub ist Vorstandsvorsitzender der Barmer.

Die Fernbehandlung ist kein Allheilmittel und nur für bestimmte Behandlungskontexte sinnvoll. Verschiedene Studien gehen auf Basis der Einschätzung von Ärztinnen und Ärzte davon aus, dass dennoch bis zu 20 Prozent aller Arzt-Patienten-Kontakte digital stattfinden könnten. Davon sind wir sehr weit entfernt. Deutschlandweit bieten heute nur 6,5 Prozent aller Vertragsärztinnen und -ärzte Videosprechstunden an. 

Besser sieht die Situation in der Psychotherapie aus: Fast die Hälfte der Therapeutinnen und Therapeuten bietet bereits Videosprechstunden an. Allerdings dürfen bestimmte psychotherapeutische Leistungen generell nicht digital erbracht werden, das gilt etwa für die sogenannte Probatorik, also die erste Sitzung, bei der die Beschwerden abgefragt werden.

Der Teledoktor: Familiensprechstunde und Hautarzt per Video

Seit fast 20 Jahren bietet die Barmer mit dem Teledoktor ein ärztliches Beratungsangebot per Telefon und Video an. 2018 wurde beim Bundesärztetag das bis dahin geltende Fernbehandlungsverbot für Ärztinnen und Ärzte aufgehoben. Seither umfasst der Teledoktor neben der Beratung auch die tatsächliche ärztliche Behandlung in der Videosprechstunde.

Ein Vater lässt sich im Rahmen der Familienbehandlung in der Videosprechstunde beraten.

Familiensprechstunde entlastet berufstätige Eltern


Wir möchten mit diesem Angebot einen Impuls setzen, um die Videosprechstunde stärker in der Versorgungslandschaft zu verankern und an den Bedürfnissen von Patientinnen und Patienten auszurichten. Deshalb entwickeln wir den Teledoktor auf Basis des Feedbacks unserer Versicherten kontinuierlich weiter. Zwei aktuelle Beispiele sind die Familiensprechstunde und die dermatologische Videosprechstunde. 

Die telemedizinische Familiensprechstunde entlastet insbesondere berufstätige Eltern im Fall einer leichten Erkrankung des Kindes. Alle Fragen und Anliegen bis hin zur Auszahlung des Kinderkrankengeldes können in einem Online-Termin geklärt werden. Der Teledoktor ist auch außerhalb der üblichen Praxisöffnungszeiten erreichbar, beispielsweise am Mittwochnachmittag und am Wochenende.

„Mit dem Teledoktor engagiert sich die Barmer dafür, die Videosprechstunde in der Versorgung zu etablieren und konsequent an den Bedürfnissen der Patientinnen und Patienten auszurichten. Für solche Angebote benötigen Krankenkassen mehr Spielräume. Zugleich müssen generell regulatorische Hürden abgebaut werden, die eine Ausweitung der Fernbehandlung in Deutschland bisher behindern.“

Bei einem akuten Hautproblem hilft die dermatologische Sprechstunde, denn oft ist es schwierig, kurzfristig einen Termin in einer Hautarztpraxis zu bekommen. Über den Teledoktor ist die ärztliche Beurteilung einer Hautveränderung in der Regel innerhalb von maximal 48 Stunden möglich. 

Die Barmer arbeitet beim Teledoktor mit Vertragsärztinnen und -ärzten zusammen, die Videosprechstunden neben dem regulären Praxisbetrieb durchführen. Das Angebot ist für Barmer-Versicherte deutschlandweit verfügbar und wird auf Basis des Versichertenfeedbacks und aktueller Marktentwicklungen ständig weiterentwickelt.

Regulatorische Hürden für die Videosprechstunde abbauen

Mit dem Teledoktor engagiert sich die Barmer dafür, die Videosprechstunde in der Versorgung zu etablieren und konsequent an den Bedürfnissen der Patientinnen und Patienten auszurichten. Für solche Angebote benötigen Krankenkassen mehr Spielräume. Zugleich müssen generell regulatorische Hürden abgebaut werden, die eine Ausweitung der Fernbehandlung in Deutschland bisher behindern.

Derzeit gilt eine Beschränkung der Videotermine auf 30 Prozent der Kapazität einer Praxis. Das ist viel zu eng gefasst. Deshalb setzen wir uns dafür ein, dass Ärztinnen und Ärzte sowie Psychotherapeutinnen und -therapeuten mindestens die Hälfte ihrer Kapazität für Videosprechstunden nutzen dürfen. 

Um flächendeckend mehr Flexibilität in der Fernbehandlung zu ermöglichen, sollten bestehende Begrenzungen in ärztlichen Berufsordnungen aufgehoben werden und in der Psychotherapie über die Therapie hinaus sowohl die Sprechstunde als auch die Probatorik per Video angeboten werden dürfen. Zudem sollte im Sozialgesetzbuch (SGB V) die Möglichkeit befristeter Ermächtigungen insbesondere auch für Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten im Rahmen überregionaler, selektivvertraglicher Videotherapieangebote geschaffen werden. 

Die Videosprechstunde spielt eine wesentliche Rolle auf dem Weg zu einem nachhaltigen und effizienten Gesundheitswesen. Sie kann die Versorgungsqualität steigern, bietet erweiterte Öffnungszeiten, ermöglicht schnellere Terminvergaben und erspart Patientinnen und Patienten Wege und Wartezeiten. Wir sollten dieses Potenzial in Deutschland viel stärker nutzen, als wir es bisher tun, und bei der Weiterentwicklung von Fernbehandlungsangeboten die Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten in den Mittelpunkt stellen.

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