Ein Schüler hört beim Lernen Musik.
Hören

Hilft Musik hören beim Lernen?

Lesedauer unter 6 Minuten

Redaktion

  • Barmer Internetredaktion

Qualitätssicherung

  • Dirk Weller (Diplom-Psychologe)

Kann man mit Musik konzentrierter arbeiten und pauken? Welche Stücke funktionieren dabei am besten? Über Mythen, Musiktipps und den Mozart-Effekt.

Wer sich konzentrieren will, der braucht Ruhe. Kein Gequatsche von anderen Menschen, kein Großraumbüro, keinen Verkehrslärm oder singende, streitende und sich versöhnende Nachbarn. Und erst recht keine Musik, die nur vom Lernstoff ablenkt. Halt, Stopp.

Die ersten Beispiele mögen vielleicht stimmen. Aber die These, dass Musik die Konzentration stört und Lernen mit Musik unproduktiv sei, ist eine weit verbreitete These, zu der Forscherinnen und Forscher in den letzten Jahren gezeigt haben, dass es der Zusammenhang durchaus komplexer ist. Denn: Tatsächlich kann Musikhören beim Lernen helfen.

Hilft Musik beim Lernen und konzentrierten Arbeiten?

Ein Musikwissenschaftler, der diese Frage untersucht hat, ist Günther Rötter. Er studierte einst Schulmusik und Erziehungswissenschaft, promovierte, habilitierte und ist heute Professor für Musikwissenschaft an der Technischen Universität Dortmund. „Die landläufige Meinung ist ja, dass Kinder bei Schularbeiten keine Musik hören dürfen, weil sie das ablenkt und sie sich nicht konzentrieren können“, sagt Rötter. „Wir haben das untersucht und konnten zeigen, dass das so nicht stimmt.“

Vor knapp zehn Jahren hat Rötter mit Kollegen dazu der zehnten Klasse einer Gesamtschule einen Konzentrationstest vorgelegt. Während die Kinder die Aufgaben lösten, hörten sie ihre selbst mitgebrachte Lieblingsmusik. Die Lautstärke durften sie dabei selbst bestimmen. Laut Studienbeschreibung entschieden sich die meisten Kinder für eine „erhebliche“ Lautstärke, sodass „die Musik der meisten Jugendlichen während der Versuchsdurchführung im Klassenraum außerhalb des Kopfhörers wahrzunehmen“ war.

Und trotzdem schnitten die Kinder im Test nicht schlechter ab als eine andere Gruppe, die dieselben Aufgaben löste, ohne dabei Musik zu hören. 84 bis 87 Prozent der Kinder gaben außerdem in einer Eingangsbefragung an, dass sie beim Erledigen der Hausaufgaben auch zuhause regelmäßig Musik hörten.

„Wir hatten nicht erwartet, dass Kinder mit Musik genauso gut abschnitten“, sagt Rötter heute. „Wir hatten gedacht, dass das nicht sein kann und haben die Studie insgesamt vier Mal wiederholt, bevor wir irgendwas dazu veröffentlicht haben.“ Tatsächlich habe es daraufhin einige empörte Meldungen von Erziehungsverbänden und besorgten Eltern gegeben, die meinten, dass das doch nicht sein könne. „Es war aber so“, sagt Rötter. „Wenn sich ein Schüler also wohler fühlt, wenn er beim Lernen Musik hört, dann soll er das auch machen.“

Was ist der Mozart-Effekt?

Dass Musik einen Einfluss auf die kognitive Leistung haben kann, wird schon länger diskutiert. Vor allem klassische Stücke und insbesondere Mozarts Sonate für zwei Klaviere in D-Dur standen lange unter Verdacht einen förderlichen Effekt zu haben. Im Jahr 1993 zeigte eine Studie, dass jene Studenten in einem Intelligenztest besser abschnitten, die vor dem Test zehn Minuten lang Mozarts Sonate lauschten, als solche, die Entspannungsmusik oder gar nichts hörten.

Die Studienergebnisse wurden zu „Mozart hören macht intelligent“ verknappt und erlangten binnen kürzester Zeit weltweite Berühmtheit als Mozart-Effekt. Die Umsätze für Schallplattenkäufe des österreichischen Komponisten stiegen rasant an.

„Dann aber haben Forscher versucht, die Ergebnisse zu wiederholen und es hat mehrfach nicht geklappt“, sagt Rötter. „Trotzdem hatte der Mozart-Effekt auch eine Reihe bildungspolitischer Folgen. Überall in den Bildungsministerien wurde daran gearbeitet, den Musikunterricht zu stärken. Das war schon eine gute Sache.“ In Nordrhein-Westfalen sei daraus etwa die Initiative „Jedem Kind ein Instrument“ entstanden, deren Ziel es ist, dass jedes Kind im Laufe der Grundschule ein Instrument seiner Wahl lernen kann.

„Diese vielen positiven musikpädagogischen Folgen haben vielleicht auch dazu beigetragen, dass viele Wissenschaftler den Mozart-Effekt gar nicht so laut kritisiert haben, wie sie es ohne seine Auswirkungen getan hätten“, sagt Rötter. „Und die positiven Effekte von Musikunterricht gibt es auch unabhängig vom Mozart-Effekt. Da verbessert sich zum Beispiel das Sozialverhalten in Klassen.“

Der Song, der stark macht 

Unterstützt durch die Barmer und auf der Basis einer wissenschaftlichen Formel hat die Sängerin Loi einen Song geschrieben, der Stärke verleiht: „Gold“. 

Mehr erfahren

Das Single-Cover zum Song, der stark macht: Gold.

Wann Musik hören und wann lieber Stille?

Günther Rötters Experimente mit Schulkindern haben gezeigt, dass Musik nicht zwangsläufig den Lernerfolg und die Chance auf ein konzentriertes Arbeitsklima verschlechtert. Sie haben aber auch nicht gezeigt, dass Musik die Konzentration verbessert. Ob das der Fall sein kann, dazu gibt es noch nicht viel seriöse Forschung.

Der Streamingdienst Spotify sorgte einst mit einer Studie für Aufsehen, die angeblich gezeigt haben soll, welche Musik die Leistung in verschiedenen Schulfächern zuverlässig verbessere. Es gab Kritik, mittlerweile ist die Studie beim Musikanbieter nicht mehr online abrufbar.

Trotzdem gibt es Theorien dazu, wie Musik die kognitive Leistung verbessern könnte. Einerseits kann Musik – vermutlich vor allem die eigene Lieblingsmusik – die Laune verbessern und positive Emotionen wecken. Und wer gute Laune hat, lernt schneller und besser. Andererseits kann sich Musik hören und Musik machen positiv auf das Arbeitsgedächtnis auswirken – was wiederum das Lernen und die Konzentration erleichtert.

Doch es gibt auch Studien, die zeigen, dass Musikhören zum Beispiel bei sprachlichen Aufgaben wie dem Finden von Wörtern eher hinderlich ist und die Stille die beste Geräuschkulisse darstellt. „Was noch nicht ausreichend erforscht ist, ist die Art der Aufgabe, die während des Musikhörens bewältigt werden soll“, sagt auch Rötter. „Es ist durchaus denkbar, dass der Effekt von Musik bei Routineaufgaben zum Beispiel anders ausfällt als wenn es darum geht, etwas Kreatives zu erschaffen.“

Auf diesen Endgeräten hören wir Musik beim Lernen und Arbeiten

Über die Hälfte der Befragten lassen beim Lernen und Arbeiten das Radio im Hintergrund laufen. 

Welche Art von Musik ist die richtige?

Bleibt die Frage, welche Musik nun die richtige Lernmusik oder Konzentrationsmusik darstellt. Hängt das von der Aufgabe ab? Ist es immer die Lieblingsmusik? Oder sind es vielleicht doch klassische Stücke, sogar von Mozart? Zu dieser Frage fällt Rötters Antwort ziemlich klar aus: „Es ist vieles ausprobiert worden, aber der Aspekt, ob ich ein Stück mag und es mir persönlich gefällt, der übertrifft alle anderen Aspekte.“

Die idealen Klänge für verschiedene Aufgaben, Tätigkeiten oder Schulfächer – nur ein Mythos? Schließlich finden sich ja unzählige verschiedene Lern-, Hausaufgaben- oder Konzentrations-Playlists im Angebot der Musikstreaming-Dienste. „Reine Werbung“, sagt Rötter dazu, „das gehört in den großen und größer werdenden Bereich der musikpsychologischen Quacksalberei.“

Und wie ist das mit monotonen Hintergrundgeräuschen? Schließlich gibt es 24-stündige Videos, die nichts als ein knackendes Kaminfeuer oder auf Pflanzen tröpfelnden Regen zeigen. Auch da gebe es, so Rötter, keine richtigen Studien zur Wirksamkeit. „Gerade zur Beruhigung von Babys gibt es da einen riesigen Markt. Das mag für den ein oder anderen auch funktionieren. Aber wissenschaftlich ist die Wirkung von solchen Hintergrundgeräuschen noch nicht ausreichend erforscht.“ 

Wie finde ich meine beste Konzentrationsmusik?

Musik ist also immer eine individuelle Sache. Viele Effekte zeigen sich am stärksten bei der persönlichen Lieblingsmusik. Doch auch die besteht ja aus einem – je nach Neigung – kleineren oder größeren Sammelsurium verschiedenster Interpreten und Lieder. Wie findet man in seiner ganz persönlichen Musiksammlung nun die richtige Konzentrationsmusik?

Ausprobieren, rät Günther Rötter. „Man kann da ja selbst ein paar Experimente machen, welches Tempo oder welche Lautstärke für welche Aufgabe am besten funktionieren“, so der Musikpsychologe. „Wenn man einen vielfältigen Musikgeschmack hat, kann man auch mal verschiedene Stile durchprobieren und bei sich selbst schauen, wie man sich dabei fühlt und wie sich die Musik auf die Leistung auswirkt.“

Als Wissenschaftler könne man viele verschiedene Laborversuche zu Musikarten, Tempo, Lautstärke und so weiter machen, meint Rötter. „Aber der Alltag sieht ja ohnehin anders aus. Da setzt man sich den Kopfhörer auf und hört seine Musik. Und am Ende fährt man sicher am besten damit, wenn man die Musik auswählt, auf die man gerade Lust hat, und sie in der Lautstärke anmacht, in der man sie gerade hören möchte.“

Literatur und weiterführende Informationen

  • Jan Reinhardt und Günther Rötter: Musikpsychologischer Zugang zur Jugend-Musik-Sozialisation (2012)
  • Online Lexikon für Psychologie und Pädagogik (Abruf vom 11.08.2022): Mozart-Effekt 
  • Unicross (Abruf vom 11.08.2022): Wie Musikhören beim Lernen hilft 
  • Emma Threadgold, John E. Marsh, Neil McLatchie und Linden J. Ball: Background music stints creativity: Evidence from compound remote associate tasks (2019)
  • Günther Rötter: Handbuch Funktionale Musik (2017)

Zertifizierung

Auf unsere Informationen können Sie sich verlassen. Sie sind hochwertig und zertifiziert.