Zwei Frauen streiten sich
Psychische Gesundheit

Passiv-aggressiv: So können Sie die versteckte Wut erkennen und kontern

Lesedauer unter 8 Minuten

Redaktion

  • Barmer Internetredaktion

Qualitätssicherung

  • Dr. med. Martin Waitz (Arzt, medproduction GmbH)

Passiv-aggressive Kommunikation ist Gift für Beziehungen. Warum manche Menschen sich so verhalten, wie man das problematische Muster erkennt und was man dagegen tun kann.

„Na klar, Schatz, ganz wie du willst“, sagt er, hat eigentlich gar keine Lust und beschwert sich später stundenlang im Freundeskreis über seine Partnerin. „Nein, nein, es ist nichts, alles gut“, entgegnet sie und ist innerlich stinksauer. „Klar, mache ich gerne“, stöhnt der fast schon in den Feierabend entwischte Kollege. Und liefert dann aus Rache eine schlampige Arbeit ab.

So ein Verhalten ist Gift für zwischenmenschliche Beziehungen, Psychologinnen und Psychologen bezeichnen es als passiv-aggressive Kommunikation.

Den Begriff soll ein der US-amerikanische Arzt und Psychiater Colonel William Menninger im Zweiten Weltkrieg geprägt haben, als er sah, wie Soldaten Befehle indirekt verweigerten, indem sie so taten, als hätten sie sie nicht verstanden oder vergessen. Stattdessen äußerten sie Ironie oder Sarkasmus und lästerten über die Vorgesetzten, wenn diese das nicht mitbekamen. Sie widersetzten sich also dem Verhalten, das von ihnen erwartet wurde. Das kommunizierten sie allerdings nicht offen, sondern kämpften hinterrücks dagegen an.

Was der Militärpsychologe bei den Soldaten beobachtete, beschränkt sich bei Weitem nicht auf die Kommunikation zwischen Vorgesetzten und Soldaten. Passiv-aggressives Verhalten findet in allerlei Beziehungen statt und kann für Stress und Spannungen sorgen: in Partnerschaften, in Freundschaften, in Teams bei der Arbeit oder gegenüber Familienmitgliedern, Bekannten oder Nachbarn, bei Frauen und bei Männern, weiß Guy Bodenmann.

Der Professor für Klinische Psychologie mit Schwerpunkt Kinder/Jugendliche und Paare/Familien an der Universität Zürich arbeitet auch als Paartherapeut und Buchautor. Fragt man ihn nach seiner Definition von passiv-aggressivem Verhalten, ist seine Antwort: „Passive Aggression ist eine Form der verdeckten Aggression, welche häufig auf den ersten Blick nicht unmittelbar erkennbar ist, da widersprüchliche Botschaften gesendet werden.“ 

Wie äußert sich passiv-aggressives Verhalten?

Verdeckt, schwer zu erkennen, widersprüchliche Botschaften – im Alltag kann sich passiv-aggressives Verhalten in ganz vielen verschiedenen Formen zeigen. Was alle gemein haben: „Es handelt sich um verschiedene Verhaltensweisen, die darauf abzielen, dem anderen zu schaden“, sagt Bodenmann. Darunter fallen etwa das Verbreiten von Gerüchten, hinter dem Rücken anderer Person schlecht über diese zu reden, Intrigen zu planen, wichtige Termine oder Angelegenheiten scheinbar zufällig zu vergessen und subtile oder beiläufige Bloßstellungen einer Person vor anderen.

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Aber auch scheinbar unbeabsichtigt Gegenstände zu verlieren oder zu zerstören, die einer anderen Person wichtig sind, zählt dazu. „Die passiv-aggressive Person stellt sich dabei dumm, tut so, als ob sie es ja nur gut gemeint hätte oder verweigert sich“, sagt Bodenmann. „Oft kommt auch Pseudohumor vor, wonach eine deplatzierte oder verletzende Bemerkung anschließend als Spaß dargestellt wird.“

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Eine Zeit lang werteten Psychologen ein solches Verhalten in extremer Form als eine psychische Erkrankung – die passiv-aggressive Persönlichkeitsstörung –, die als solche auch in den beiden Krankheits-Klassifikationssystemen DSM und ICD zu finden war, anhand derer Ärztinnen und Ärzte Diagnosen stellen können. Die Diagnose gibt es in den neuesten Versionen der beiden Werke so nicht mehr.

Einige Expertinnen und Experten sehen passiv-aggressives Verhalten zwar weiterhin als einen Teil von Persönlichkeitsstörungen und Verhaltensstörungen an, jedoch nicht mehr als eigenständige Erkrankung. Andere hingegen sehen solches Verhalten eher als Charakterzug oder eine Art Mechanismus zum Selbstschutz. Die Forschung zum Thema hat also weiterhin Bestand.

Passiv-aggressive „Strategien“ 

Meist greifen Menschen auf eine Handvoll „Strategien“ oder „Taktiken“ zurück, wenn sie sich passiv-aggressiv verhalten. Dazu gehören zum Beispiel:

  • Sich dumm stellen: Jemand gibt vor, sich nicht an eine Absprache zu erinnern, oder entgegnet, dass etwas so gar nicht abgemacht gewesen sei.
  • Pseudohumor: Man stellt eine eigentlich verletzende Aussage als Spaß und das Gegenüber als Spielverderber dar, wenn er oder sie das nicht witzig findet.
  • Hinter dem Rücken lästern: Ohne dass eine Person das mitbekommt, spricht jemand schlecht über sie.
  • Jemanden bloßstellen: Jemand bringt eine andere Person vor Dritten in eine peinliche Situation.
  • Den Spieß umdrehen: Wird man auf die eigene Sabotage angesprochen, verkehrt man das Bild und schiebt die Schuld auf den anderen.

Wieso verhalten sich Menschen passiv-aggressiv?

Einer, der viel zum aktuellen Forschungsstand rund um passiv-aggressive Kommunikation beigetragen hat, ist der Psychologe Rainer Sachse. Er leitet das Bochumer Institut für Psychologische Psychotherapie (IPP) und hat zahlreiche Studien und Bücher zu Persönlichkeitsstörungen und deren Therapie veröffentlicht.

In einem dieser Bücher beschreibt er das Krankheitsbild der passiv-aggressiven Persönlichkeitsstörung, das sich demnach durch zwei wesentliche Aspekte auszeichnet: erstens durch das passive Sabotieren, bei dem sich jemand augenscheinlich sehr entgegenkommend äußert, sich dann aber ganz entgegengesetzt verhält und Aktivitäten sabotiert. Zweitens durch eine als „Negativismus“ bezeichnete kritische bis feindselige Einstellung gegenüber anderen. 

Doch wie kommt es soweit? Sachse macht drei zentrale Motive aus, die das Handeln und Denken von Menschen lenken, wenn sie sich passiv-aggressiv verhalten: die Unverletzlichkeit der eigenen Grenzen, die Autonomie und die Anerkennung. 

  • Unverletzlichkeit der eigenen Grenzen: Die Erfahrung, dass andere die eigenen Grenzen nicht respektieren und überschreiten, führt zu der Annahme, dass die eigenen Grenzen streng geschützt werden müssen.
  • Autonomie: Erfahrungen von Kontrolle, Überwachung, Bevormundung, Entmündigung, Verboten oder Einschränkungen, gegen die man sich nicht wehren konnte, können in dem Glauben münden, die Kontrolle über das eigene Leben vollständig in der eigenen Hand haben zu müssen.
  • Anerkennung: Widerfahrene Grenzüberschreitungen werden als Abwertung wahrgenommen, woraus ein starkes Bedürfnis entsteht, anerkannt und respektiert zu werden.

Menschen, die glauben sich vor Übergriffen anderer schützen zu müssen, können zu passiv-aggressivem Verhalten neigen.

Menschen, die glauben sich vor Übergriffen anderer schützen zu müssen, können zu passiv-aggressivem Verhalten neigen.

Sachse zufolge liegt die Motivation für das Verhalten passiv-aggressiver Menschen also in der Annahme, sich selbst vor den Übergriffen ihres Gegenübers zu schützen. Nun wäre es zwar naheliegend, diese Befürchtungen offen anzusprechen, wenn sie in einer Situation aufkommen. Laut Sachse machen viele Menschen, die passiv-aggressiv kommunizieren, jedoch die Erfahrung, dass eine solche direkte Verteidigung zu Auseinandersetzung, Ärger oder Strafe führt. Zum Beispiel besteht die (womöglich unbegründete) Befürchtung, dass Partner, Vorgesetzte, Eltern oder Nachbarn dadurch enttäuscht werden.

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Hier knüpft auch Guy Bodenmanns Erklärung dafür an, warum Menschen passiv-aggressives Verhalten zeigen: „Häufig ist es das Gefühl, dass man sich offene Kritik oder Aggression nicht leisten kann, weil man sich als schwächer und verletzlich wahrnimmt. „Passive Aggression ist die Strategie des sich unterlegen Glaubenden.“ Eine solche „Strategie“ finde man auch bei Personen mit Neigung zu Narzissmus, da diese niemanden offenkundig kritisieren oder angreifen möchten. „Gleichzeitig schafft es Genugtuung, den anderen getroffen zu haben und sich überlegen fühlen zu können“, sagt Bodenmann. 

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Wie umgehen mit passiv-aggressiver Kommunikation?

Es ist natürlich ein Trugschluss, dass solches Verhalten am Ende nicht doch auffällt. Passiv-aggressive Menschen vermeiden zwar den direkten Konflikt, doch merken diejenigen, die die Aggression dann eben passiv abbekommen, das natürlich irgendwann. Vielleicht können sie nicht direkt zuordnen, dass es sich nun um passiv-aggressives Verhalten gehandelt hat. Aber sie erkennen, dass man sich auf die andere Person nicht verlassen oder ihr vertrauen kann.

Bleibt die Frage, wie man damit umgehen kann, wenn man merkt, dass sich jemand im Freundes-, Bekannten- oder Familienkreis, der eigene Mann, die eigene Frau passiv-aggressiv verhält. „Die meisten reagieren darauf zuerst mit Verunsicherung, dann mit Kritik und Vorwürfen. Sie laufen jedoch ins Leere, da man für die das Verhalten motivierende Feindseligkeit keine Beweise hat“, sagt Bodenmann.

„Es kommt daher zu unergiebigen Diskussionen, Rechtfertigungen und am Schluss einem beleidigten Abgang, da man es ja nur gut gemeint habe und nun für etwas kritisiert werde, was unfair sei. Damit stellt sich die passiv-aggressive Person gerne als Opfer dar und erschwert so ein konstruktives Gespräch über die effektiven Beweggründe.“

Für seine Therapiestunden hält Bodenmann es deswegen für hilfreich, Interaktionen auf Video aufzuzeichnen, den Frauen und Männern die entsprechenden Aussagen und das eigene Verhalten vorzuspielen und sie dann gemeinsam zu analysieren. „Im Privaten ist es sinnvoll, sich nicht in Diskussion zu verstricken, sondern sein Dilemma anzusprechen und die passiv-aggressiv agierende Person aufzufordern, kundzutun, was sie stört und wie man den Missstand beheben kann“, sagt Bodenmann.
Weitere Tipps, die im Umgang mit passiv-aggressivem Verhalten helfen können:

  • Gehen Sie nicht auf das Verhalten ein: Negative Reaktionen Ihrerseits bestärken und ermutigen das Gegenüber.
  • Beschuldigen Sie nicht: Suchen Sie lieber nach neuen Lösungswegen, statt sich dem negativen Hin und Her hinzugeben.
  • Konkret und einfühlsam agieren: Formulieren Sie Ihren Standpunkt konkret, aber ohne Vorwürfe.
  • Im Notfall entfernen: Haben Sie das Gefühl, dass keiner Ihrer Versuche hilft und die Interaktion Sie stark belastet, dann reduzieren Sie den Umgang auf ein Minimum. 

Womöglich merken manche Menschen sogar selbst, dass sie sich hier und da manchmal passiv-aggressiv verhalten. Ihnen rät Bodenmann, sich zu überlegen, weshalb sie zu diesem Mittel greifen und warum sie die eigentlich darin steckende Kritik nicht offen äußern können. „Es gilt, die eigenen Gefühle wahrzunehmen und diese einordnen zu lernen“, sagt Bodenmann. Warum wird man wütend? Wie kann man diese Wut auch anders äußern oder sogar produktiv nutzen, auf nicht passiv-aggressive Weise? Welche Ziele möchte man eigentlich erreichen? „Es geht darum“, so Bodenmann, „sich besser spüren und Emotionen passend ausdrücken zu lernen.“

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Literatur und weiterführende Informationen

  • Sachse, R. und Sachse, M.: Klärungsorientierte Psychotherapie der schizoiden, passiv-aggressiven und paranoiden Persönlichkeitsstörung (2017)
  • Barnow, S.: Persönlichkeitsstörungen: Ursachen und Behandlung (2008)
  • Fiedler, P.: Persönlichkeitsstörungen (2007)
  • PsychCentral (Abruf vom 22.06.2022): Helping to Understand the Passive-Aggressive Personality Trait
  • Mayo Clinic (Abruf vom 22.06.2022): What is passive-aggressive behavior? What are some of the signs?
  • Verywellmind (Abruf vom 22.06.2022): What Is Passive-Aggressive Behavior?
  • Clark, Lee Anna et al.: The Brave New World of Personality Disorder-Trait Specified: Effects of Additional Definitions on Coverage, Prevalence, and Comorbidity (2015)
  • ICD -10- GM Version 2021, Systematisches Verzeichnis, Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (2022)
     


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