Zwei fröhliche junge Frauen an einem Laptop in einem Cafe
Psychische Gesundheit

Extrovertiert, introvertiert: Was bedeutet das?

Lesedauer unter 10 Minuten

Redaktion

  • Barmer Internetredaktion

Qualitätssicherung

  • Dr. med. Martin Waitz (Arzt, medproduction GmbH)

Was bedeutet es eigentlich, extrovertiert zu sein? Und wann ist jemand eher introvertiert? In der Psychologie ist die Extraversion eine von fünf Grunddimensionen der menschlichen Persönlichkeit. Wir klären auf, was sich hinter den Begriffen Extraversion und Introversion verbirgt und gehen der Frage nach, ob wir die eigene Persönlichkeit ändern können.

Extraversion und Introversion sind zwei entgegengesetzte Ausprägungen eines Persönlichkeitsmerkmals, das unser Verhalten im sozialen Umfeld bestimmt. Beide Wörter haben ihren Ursprung im Lateinischen. Extraversion setzt sich aus den lateinischen Wörtern „extra“ (außen) und „vertere“ (wenden) zusammen, Introversion aus „intro“ (hinein) und „vertere“ (wenden). Diese Wortbedeutungen lassen erahnen, dass tendenziell introvertierte und extrovertierte Menschen unterschiedliche Verhaltensweisen und Eigenschaften haben.

Ein junger Mann und eine extrovertierte, junge Frau sitzen lachend auf einem rollenden Skateboard.

Extrovertiert zu sein bedeutet unter anderem, gern aus sich herauszugehen, gesellig und unterhaltsam zu sein.

Was bedeutet extrovertiert sein?    

Extrovertierte Personen sind typischerweise aktiv, gesellig und gern unter Menschen. Sie lieben Gesellschaft, ob bei der Arbeit oder im Privatleben. Ein Meeting reiht sich an das nächste, und es stehen mehrere Teamprojekte an? Kein Problem. 

Zwischendurch ein Plausch in der Kaffeeküche und nach Feierabend etwas Geselliges mit Freunden unternehmen – bei so viel Trubel blühen Extrovertierte richtig auf. Zudem sind sie zumeist herzlich, fröhlich und generell recht abenteuerlustig. Extrovertierte haben oft auch eine eher dominante Seite, die für sie besonders in der Arbeitswelt häufig von Vorteil ist. Sie setzen sich in der Regel gut durch, übernehmen gern die Führung und bestimmen, was zu tun ist.

Extraversion oder Extroversion?

Wie heißt es eigentlich richtig: Extraversion oder Extroversion? Klare Antwort: Laut Duden ist nur Extraversion richtig – entsprechend der Herkunft des Worts. Aber aufgepasst: Neben extravertiert kennt der Duden auch extrovertiert. Und diese Form hat sich umgangssprachlich sogar durchgesetzt. Einfacher sieht es bei Introversion und introvertiert aus: Der Duden listet nur diese beiden Wörter auf, keine anderen Schreibweisen.

Was bedeutet introvertiert sein?

Im Gegensatz zu Extrovertierten wirken introvertierte Menschen eher ruhig, bedacht und ernst. Im Job arbeiten sie lieber konzentriert und für sich allein. Statt sich in den Mittelpunkt zu stellen, nehmen introvertierte Menschen in größeren Gruppen zudem oft die Beobachterrolle ein. 

Diese eher zurückhaltende Art wirkt auf viele distanziert oder sogar schüchtern. Auch nach Feierabend lassen es viele Introvertierte ruhiger angehen. Sie tanken neue Kraft im Alleinsein oder bei tiefen, ausführlichen Gesprächen mit vertrauten Menschen. Zahlreiche Introvertierte reagieren zudem auf äußere Einflüsse besonders empfindsam. Sie gehen direkten Konflikten oftmals eher aus dem Weg oder geben schneller nach.

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Ist introvertiert das Gleiche wie schüchtern?

Viele setzen Introversion mit Schüchternheit gleich. Das ist aber nicht ganz richtig. Schüchtern zu sein ist ein erlerntes Verhalten, kein Persönlichkeitsmerkmal wie Introversion. Wer schüchtern ist, verspürt in der Interaktion mit anderen Menschen ein gewisses Unwohlsein, bis hin zu Angst. Natürlich gibt es Introvertierte, die schüchtern sind. Aber auch extrovertierte Menschen können in bestimmten Situationen Schüchternheit zeigen.

Extraversion: Eine von fünf Persönlichkeitsdimensionen

Um die Persönlichkeit zu beschreiben, kommt in der Psychologie häufig das sogenannte Fünf-Faktoren-Modell zum Einsatz. Das Modell haben US-Forscher vor fast 100 Jahren entwickelt. Die Extraversion ist eine der verschiedenen Persönlichkeitsdimensionen im Fünf-Faktoren-Modell und geht als psychologisches Konzept ursprünglich auf den Psychoanalytiker C. G. Jung zurück. Die Introversion ist in dem Modell der Gegenpol zum Faktor Extraversion. 

Neben der Extraversion umfasst das Big-Five-Modell weitere folgende vier Persönlichkeitsfaktoren:

  • Offenheit für Erfahrungen: Wie einfallsreich und neugierig ist jemand? Wie gern mag sie oder er Abwechslung?
  • Gewissenhaftigkeit: Wie zielstrebig, genau und pflichtbewusst ist jemand?
  • Verträglichkeit: Wie rücksichtsvoll, kooperativ und empathisch ist jemand?
  • Neurotizismus: Wie emotional labil und verletzlich ist jemand?

Extrovertiert, introvertiert – oder beides?

Wer im Fünf-Faktoren-Modell besonders niedrige Werte auf der Extraversions-Skala aufweist, hat automatisch einen hohen Introversionswert – ist also stark introvertiert. Die meisten Menschen liegen eher im mittleren Bereich. Sie sind weder besonders extrovertiert noch auffallend introvertiert und können sich situationsbedingt gut anpassen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sprechen hier von der Ambiversion, das heißt, dass bei fast jedem Charakter sowohl Elemente der Introversion, als auch der Extroversion vertreten sind. 

Gene und Umwelteinflüsse prägen die Persönlichkeit

Ob jemand eher extrovertiert oder introvertiert ist, wird laut wissenschaftlichen Schätzungen etwa zur Hälfte genetisch und zur anderen Hälfte von Umwelteinflüssen bestimmt. Zu den Umwelteinflüssen zählen all die Erfahrungen, die wir im Leben machen. Doch Gene und Umwelt beeinflussen sich auch gegenseitig, weiß Wiebke Bleidorn, Professorin für Differenzielle Psychologie an der Universität Zürich. „Solche Gen-Umwelt-Interaktionen spielen bei der Extraversion eine große Rolle. Zum Beispiel hängt die Umwelt einer Person oft mit den Genen zusammen.“ 

Extrovertierte Eltern = extrovertierte Kinder?

Die genetische Veranlagung zur Extraversion kommt von den Eltern. Extrovertiert veranlagte Eltern sind nach außen gekehrter als andere. Sie verreisen vielleicht öfter, gehen gern aus oder laden häufig Freundinnen und Freunde ein. Ihre Kinder wachsen somit in einer Umwelt auf, die die Extraversion fördert. Es handelt sich dann also um Umwelteinflüsse, die aber durch die Gene der Eltern mitbestimmt sind.

Außenwelt verstärkt extrovertiertes Verhalten

„Dazu kommt, dass man Extraversion gut im Gesicht ablesen kann. Wenn jemand ohnehin schon extravertiert ist, viel lächelt und gern offen auf andere zugeht, dann reagieren die anderen auch viel positiver auf ihn, was das Verhalten wiederum verstärkt“, sagt Bleidorn. „Auch hier sind der initiale Auslöser die Gene. Aber die Umwelt wirkt dann zusammen mit den Genen.“ Über die Zeit wüchsen sich der Gen-Umwelt-Mix und die dynamischen Interaktionen, die sich daraus ergeben, zu einer Extraversion aus, die die Leute dann haben.

Haben extrovertierte Menschen Vorteile?

Stimmt es, dass Extrovertierte in unserer Gesellschaft besser zurechtkommen? „Wir sind in der Tat eine Gesellschaft, die eher auf Extravertierte fliegt. In den USA ist das noch ein bisschen stärker ausgeprägt, in manchen asiatischen Kulturen etwas weniger“, sagt Eva Asselmann, die Professorin für Persönlichkeitspsychologie an der Health and Medical University in Potsdam ist. „Aus sich herauszugehen, gesprächig und gesellig, witzig und unterhaltsam zu sein, gern im Mittelpunkt zu stehen, sich gut verkaufen zu können – das sind alles Eigenschaften, die in unserer Gesellschaft sozial sehr erwünscht sind.“

Extraversion fördert positive Emotionen

Studien belegen, dass sich Extraversion positiv auf viele Bereiche im Leben auswirkt. Im Beruf verkaufen sich Extrovertierte im Allgemeinen besser, sie treten selbstbewusster auf und haben kein Problem damit, vor größeren Gruppen zu sprechen. Viele von Ihnen haben mehr Freunde, die ihnen auch mal zur Hilfe eilen können. Auch finden sie oft leichter eine Partnerin oder einen Partner

Ein Merkmal der Extraversion ist zudem der positive Affekt. Das bedeutet, dass Extrovertierte häufiger und stärker schöne Gefühle erleben, insgesamt zufriedener sind und sich gesünder fühlen. Dieser Zusammenhang von Lebenszufriedenheit und Extraversion hängt allerdings auch von kulturellen Faktoren ab, also davon wie zugetan eine Gesellschaft extrovertierten Menschen ist.

Übrigens: Jeder, egal ob introvertiert oder extrovertiert, kann lernen, positiver und gelassener in die Zukunft zu blicken und die eigene psychische Widerstandskraft zu stärken. Das Zauberwort heißt: Resilienz.

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Vorzüge von Introversion

Introvertierte Menschen stehen besonders in der Arbeitswelt oft im Schatten extrovertierter Kolleginnen und Kollegen. Doch Psychologin Asselmann mahnt zum Augenmaß: „Es ist aber auch nicht so, dass Introversion etwas Schlechtes ist und man als introvertierter Mensch besonders mies dasteht. Es kommt immer auf die Situation an.“ 

Die Introversion kann ihre Vorteile haben. Nehmen wir an, in einem Team sind viele aktive Personen, die ständig Ideen haben und Vorschläge machen. Dann ist es für das Ergebnis besser, wenn die Führungskraft eher introvertiert ist und sich stärker zurückhält. Überhaupt fördern und unterstützen introvertierte Vorgesetzte ihre Mitarbeitenden stärker.

Introvertierte junge Frau hat sich mit Kopfhörern auf dem Sofa zurückgezogen, auf ihrem Schoß liegt ein aufgeklappter Laptop.

Introvertiert zu sein bedeutet oft, im Alleinsein Kraft tanken zu können.

Es zeigt sich zudem, dass Introvertierte generell im Studium besser abschneiden als Extrovertierte. Und jüngst haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Leipzig herausgefunden, dass Introvertierte die coronabedingten Lockdown-Einschränkungen besser weggesteckt haben. Es kommt also, wie Asselmann sagt, immer auf die Situation an. Die Gesellschaft mag Extraversion bevorzugen. Das heißt aber nicht, dass es nicht ausreichend Möglichkeiten für Introvertierte gäbe, ihre Fähigkeiten einzusetzen und zu glänzen.

Kann man seine Persönlichkeit verändern?

Der Einfluss von Genen und Umwelteinflüssen auf unsere Persönlichkeit ist stark. Ist es dann überhaupt möglich, selbst Einfluss darauf zu nehmen, wie extrovertiert oder introvertiert wir sind? Können wir unsere Persönlichkeit verändern und auf der Extraversions-Skala um den einen oder anderen Punkt in Richtung Extra- oder Introversion wandern?

Lange Zeit gingen Psychologinnen und Psychologen davon aus, dass dies nicht möglich ist. Dass sich die Persönlichkeit über die Kindheit hinweg noch ein wenig einpendelt und dann für den Rest des Lebens stabil bleibt. Doch seit ein paar Jahren gerät dieser Glaube zunehmend ins Wanken. Inzwischen sind immer mehr Fachleute davon überzeugt, dass sich Persönlichkeit über das ganze Leben hinweg von allein verändert. Andere der fünf Dimensionen wie Gewissenhaftigkeit und emotionale Stabilität variieren noch stärker als die Extraversion. 

Ein Schub an Extraversion in den Zwanzigern

Vor allem im Alter von Mitte, Ende 20 tut sich etwas – in diesem Zeitraum werden die Menschen im Durchschnitt etwas extrovertierter. „Wir nennen das das soziale Investitionsprinzip“, erklärt Forscherin Eva Asselmann. „Als junger Erwachsener meistert man besonders viele Lebensereignisse, nimmt neue soziale Rollen ein. Und diese Rollen gehen mit bestimmten Anforderungen einher, die die Persönlichkeit reifen lassen.“ 

Zum Beispiel läuft es so: Man zieht von zu Hause aus, steigt ins Berufsleben ein und hat vielleicht einen Partner oder eine Partnerin, heiratet, bekommt ein Kind. Im Beruf muss man mal einen Vortrag halten, sich gegenüber den Teammitgliedern, Kundinnen und Kunden oder Dienstleistern angemessen präsentieren. Man muss lernen, sich durchzusetzen – und das macht einen extrovertierter. Haben wir diese Lebensphase mit ihren vielen Veränderungen hinter uns gelassen, tut sich im Durchschnitt nicht mehr so viel bei der Extraversion.

Lässt sich extrovertiertes Verhalten lernen?

Es gibt mittlerweile mehr und mehr Studien, in denen Forscherinnen und Forscher untersucht haben, ob wir selbst aktiv unsere Persönlichkeit verändern können – vor allem hin zu mehr Extraversion. So unter anderem das Team um Wiebke Bleidorn an der Züricher Universität. Es hat dazu ein digitales Programm entwickelt. 

In einer Studie testeten etwas mehr als 1.500 Personen die App über drei Monate. In dieser Zeit gab das Programm immer wieder Aufgaben vor, die die Teilnehmenden absolvieren mussten. Wer seine Extraversion erhöhen wollte, musste zum Beispiel an einem Tag einen Fremden ansprechen oder am nächsten Tag jemanden einladen.

Extraversion als etwas Gutes kennenlernen

„Das sind verhaltensorientierte Übungen“, erklärt Psychologieprofessorin Bleidorn. „Die Annahme ist, dass sich das vorgegebene Verhalten – in diesem Fall extrovertiertes Verhalten – über die Zeit hinweg immer natürlicher anfühlt und man sich dann auch zunehmend häufiger so verhält, weil man denkt, dass es eine gute Erfahrung war – und nicht nur, weil es im Aufgabenheft steht.“ Nach und nach verinnerliche man das Verhalten, so die Idee, und nehme sich selbst als extrovertierter wahr. 

Und es funktionierte: Die Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer, die extrovertierter werden wollten, steigerten ihren Wert im Schnitt um 0,3 Punkte auf der von 0 bis 5 reichenden Skala. Was allerdings noch unklar ist: Ob der Effekt langfristig anhält oder die Teilnehmenden bereits nach einem Jahr wieder so introvertiert wie zuvor sind.

Und was ist mit mehr Introversion?

In der allgemeinen Bevölkerung sind die allermeisten Menschen recht zufrieden mit ihrer Extraversions-Ausprägung. Wenn der Wunsch zu persönlichen Veränderungen besteht, dann eher in die Richtung, extrovertierter zu sein. Dass jemand gern introvertierter werden möchte, gibt es laut einem internationalen Forschungsteam nur ganz selten: 24,6 Prozent der Teilnehmenden wollten gern etwas extrovertierter werden. Introvertierter zu sein wünschten sich hingegen nur 0,2 Prozent.

Mit Selbstakzeptanz zur starken Persönlichkeit

Die Frage, ob wir uns langfristig ein extrovertiertes Verhalten aneignen können, wenn wir das möchten, werden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vermutlich erst in einigen Jahren und nach weiteren Studien mit Sicherheit beantworten können. Bis dahin sollten sich all jene, die an ihrer Persönlichkeit schrauben wollen, fragen: Warum wollen sie das eigentlich? Und ist es nicht vielleicht angenehmer, das eigene Leben an der Persönlichkeit auszurichten als umgekehrt?

Manchmal ist es auch gar nicht der Grad an Introversion oder Extraversion an sich, der den Wunsch nach Veränderungen im Leben entfacht. Mehr Ruhe, Achtsamkeit, Gelassenheit und ein Fokus auf das Jetzt und Hier: Das sind Fähigkeiten und Gewohnheiten, die sich viele Menschen ganz unabhängig davon wünschen, ob sie extrovertiert oder introvertiert sind. Die gute Nachricht: Diese lassen sich sehr gut trainieren.

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