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Tourette-Syndrom (Gilles de la Tourette Syndrom): Ursachen, Symptome und Behandlung

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Redaktion

  • Prof. Münchau
  • Gesine Sallandt

Qualitätssicherung

  • Dr. med. Utta Petzold

Beim Tourette-Syndrom denken viele Menschen an laut fluchende oder unkontrollierbar zuckende Menschen. Das muss jedoch nicht immer der Fall sein. Das Tourette-Syndrom ist eine sogenannte Spektrum-Erkrankung und zeigt sich bei jedem Betroffenen sehr unterschiedlich. Wichtig ist die Unterscheidung von anderen Krankheiten, was manchmal schwierig ist, aber unerlässlich, um den Betroffenen auf die richtige Art und Weise zu helfen.

Das Wichtigste über „Tourette“ auf einen Blick

Das Tourette-Syndrom ist eine Erkrankung, bei der die Betroffenen immer wieder kurze, schnelle Bewegungen oder Laute machen, die sie nur bedingt kontrollieren können. Diese werden Tics genannt. Meist handelt es sich um kleine Bewegungen wie übermäßiges Augenblinzeln oder Bewegungen mit dem Mund, aber es können auch größere Bewegungen oder Geräusche vorkommen. Vor allem in der Öffentlichkeit sind Betroffene damit oft ohne es zu wollen im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Die Ursachen des Tourette-Syndroms sind noch nicht vollständig erforscht, allerdings ist klargeworden, dass genetischen Faktoren eine große Bedeutung zukommt. Manchen Menschen mit Tourette-Syndrom hilft eine Verhaltenstherapie, um besser mit den Bewegungen umzugehen. Anderen helfen Medikamente, die die Entstehung des Bewegungsimpulses unterdrücken sollen.

Welche Symptome können beim Tourette-Syndrom auftreten?

Menschen mit dem Tourette-Syndrom haben als Symptome sogenannte Tics. Das sind plötzlich auftretende Bewegungen, die die Betroffenen nur herauszögern oder unterdrücken können, und die nicht zu dem passen, was gerade passiert. Diese Bewegungen sind oft Nachahmungen oder Wiederholungen von ganz normalen Bewegungen aus dem Alltag. Ganz häufig sind Augenblinzeln, Augendrehen, Naserümpfen oder Grimassieren. Dies nennt man motorische Tics.

Manchmal sind das auch Bewegungen des Stimmapparates, bei denen die Betroffenen Geräusche machen, zum Beispiel ein Räuspern, Hüsteln oder auch Schreie. Das nennt man dann vokale Tics. Selten kommt es als Symptom vor, dass Menschen mit Tourette-Syndrom ohne es zu wollen Wörter nachsprechen oder Schimpfwörter sagen.

Typisch ist, dass ein Tic unpassend wirkt und beim Miteinandersprechen Verwirrung stiften kann. Tics sind nämlich zufällig und haben keinen Zweck. Zum Beispiel kann ein plötzliches Aufreißen der Augen (als Tic) ein Erstaunen vermitteln, obwohl es gar nicht so gemeint ist.

Jugendliche oder Erwachsene mit dem Tourette-Syndrom haben als weiteres Symptom manchmal ein Vorgefühl, ähnlich einem inneren Druck oder Wärmegefühl, das im Körper an der Stelle gespürt wird, an der der Tic wenig später dann auftritt. Nach dem Tic ist dieses Gefühl typischerweise für eine kurze Zeit weniger und wird dann wieder stärker, bis der Betroffene erneut den Tic hat. Bei einer Unterdrückung eines Tics kommt es auch zu einer Zunahme des Vorgefühls. Bei Kindern tritt dieses Vorgefühl im Vergleich zu älteren Patienten eher selten auf.

Das Tourette-Syndrom tritt häufig gemeinsam mit anderen Erkrankungen auf wie zum Beispiel der Aufmerksamkeitsdefizits- und Hyperaktivitätsstörung (ADHS) oder einer Zwangsstörung.

Welche Ursache hat das Tourette-Syndrom?

Leider weiß man noch nicht genau, welche Ursache Gilles de la Tourette genau hat. Forscher vermuten derzeit, dass es sich um eine Bewegungsstörung handelt, bei der die Unterdrückung überschüssiger Bewegungsimpulse im Gehirn nicht richtig abläuft. Erbliche Faktoren spielen offensichtlich eine Rolle, denn es gibt viele Familien, in denen mehrere Familienmitglieder Tics haben. Das ist aber nicht bei allen Patienten so, weshalb es weitere Faktoren geben muss und weiter nach diesen geforscht wird.

Im Vergleich: Tourette-Syndrom vs. funktionelle Tic-Störungen

Häufig wird das Tourette-Syndrom verwechselt mit sogenannten funktionellen Tics bzw. der Funktionellen Tic-Störung.

 Gilles de la Tourette SyndromFunktionelle Tic-Störung
Erkrankungsalter:GrundschulalterJugendlich/junger Erwachsener
Beginn:schleichendabrupt
Wechsel der Symptome:JaNein
Am meisten betroffene Körperareale:Kopf und HalsRumpf, Beine und Arme
Kontextbezogen:NeinJa
Mehr Tics wenn:AlleineIn Gesellschaft
Weniger Tics wenn: In GesellschaftAlleine
Behandlung:Psychotherapie, AntipsychotikaPsychotherapie, Physiotherapie, Stressreduktion

Wer ist vom Tourette-Syndrom betroffen?

Patienten mit einem Tourette-Syndrom haben Tics typischerweise schon als Kinder. Jungen sind etwa dreimal häufiger betroffen als Mädchen. Bei Erwachsenen sind Frauen genauso oft betroffen wie Männer. Insgesamt wird geschätzt, dass etwa jeder hundertste bis dreihundertste Mensch in Deutschland ein Tourette-Syndrom hat.

Wie ist beim Tourette-Syndrom der Krankheitsverlauf?

Oft beginnt Tourette schon im Grundschulalter mit einfachen kleinen Bewegungen. Geräusche kommen meistens erst einige Jahre später dazu. Typischerweise verändern sich die Symptome der Patienten immerzu und bleiben nie ein Jahr komplett gleich. Bei den meisten Menschen hören die Tics irgendwann auf, manche haben sie aber das ganze Leben lang.

Welche Folgen der Krankheit können bei Tourette auftreten?

Das Tourette-Syndrom ist zum Glück nur selten gefährlich. Sehr selten haben Betroffene zum Beispiel einen motorischen Tic, bei dem sie sich selbst verletzen und sich beispielsweise immer wieder selbst hauen oder Haare ausreißen, was gefährlich werden kann.

Die meisten Menschen mit Tourette-Syndrom haben aber Probleme, weil sie im Alltag ohne es zu wollen die Aufmerksamkeit von fremden Menschen auf sich lenken. Das kann sehr unangenehm sein. Manche Menschen entwickeln deshalb eine Depression oder auch Störungen des Selbstwertgefühls.

Wie wird die Diagnose von Tourette gestellt?

Die Diagnose wird klinisch, also durch die Einschätzung einer erfahrenen Ärztin oder eines erfahrenen Arztes, gestellt. Eine zusätzliche Diagnostik, wie zum Beispiel eine Schichtaufnahme des Gehirns, wird nicht benötigt. Von einem Tourette-Syndrom spricht man dann, wenn Betroffene vor dem 18. Geburtstag für mindestens ein Jahr lang mehrere unterschiedliche motorische und vokale Tics haben. Wenn nur motorische Tics oder nur vokale Tics für mehr als ein Jahr bestehen, nennt man dies chronische (motorische oder vokale) Tic-Störung.

Wie wird ein Tourette-Syndrom behandelt?

Am wichtigsten ist, dass der oder die Betroffene der Erkrankung sowie Menschen im Familien- und Freundeskreis über die Erkrankung aufgeklärt werden. Oft ist es auch gut, zum Beispiel Lehrer*innen oder Trainer*innen über die Tic-Störungen aufzuklären. Den meisten Patienten mit Tourette-Syndrom hilft das schon sehr gut.

Für Patienten, die aber immer noch leiden, gibt es unterschiedliche Behandlungsmöglichkeiten. Zum Beispiel Verhaltenstherapieverfahren wie ein „Habit Reversal Training (HRT)“, „Comprehensive Behavorial Intervention for Tics (CBIT)“ oder „Exposure and Response Prevention (ERP)". Das Habit Reversal Training, auf deutsch Training zur Umkehr der Gewohnheit, zielt darauf ab, das Vorgefühl eines Tics mit einer anderen Reaktion zu verknüpfen. Das CBIT-Verfahren geht darüber hinaus und setzt auf tiefergehende Einsichten und Fähigkeiten, es beinhaltet zusätzlich eine ausführliche Aufklärung, ein gezieltes Achtsamkeitstraining zur Wahrnehmung der Tics und der Vorgefühle, eine Analyse typischer Tic-Situationen und das Erlernen von Entspannungsverfahren. Beim Exposure an Response Prevention Verfahren üben die Patienten, das Vorgefühl vor den Tics immer länger auszuhalten, ohne es zur Tic-Reaktion kommen zu lassen.

Manchen Menschen helfen auch Medikamente gut. Zur Therapie des Tourette-Syndroms werden vor allem Medikamente angewandt, die im Gehirn die Konzentration von Botenstoffen verändern, sogenannte Antipsychotika.

Wichtig ist auch, dass andere Erkrankungen, die die Betroffenen auch haben können, wie zum Beispiel Depressionen oder eine Zwangserkrankung auch behandelt werden. Dadurch treten meist auch schon weniger Tics auf.

Wie verändert sich durch das Tourette-Syndrom der Alltag?

Für die meisten Menschen verändert sich der Alltag insofern, dass sie sich in öffentlichen Situationen manchmal unwohl fühlen. Die Betroffenen haben oft Angst davor, unpassende Geräusche oder Bewegungen zu machen, was sie im Alltag sehr belasten kann. Manchmal werden daher auch bestimmte Situationen vermieden. Außerdem haben Menschen mit Tourette-Syndrom häufig andere Erkrankungen, wie AD(H)S also eine Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung (ADHS), oder Zwänge, die sie auch oder manchmal sogar noch mehr im Alltag einschränken.

Was ist zu tun, wenn bei einem Kind Tics auftreten?

Viele Kinder haben in ihrer Kindheit irgendwann einmal Tics, welche nach einigen Monaten jedoch wieder weggehen. Der Arzt sollte dann erst aufgesucht werden, wenn es für die Betroffenen einen Leidensdruck gibt. Die hausärztliche oder kinderärztliche Praxis  sind hier die ersten Ansprechpartner. Die Betroffenen können dann bei Verdacht auf ein Tourette-Syndrom zu einem erfahrenen Neurologen, Kinderneurologen oder Kinder- und Jugendpsychiater überwiesen werden, oder sich auch direkt an diese wenden.

Literatur und weiterführende Informationen

  • Deutsches Ärzteblatt – Tourette-Syndrom und andere Tic-Störungen in Kindheit, Jugend und Erwachsenenalter (Abruf vom 15.03.2022): https://www.aerzteblatt.de/archiv/132918/Tourette-Syndrom-und-andere-Tic-Stoerungen-in-Kindheit-Jugend-und-Erwachsenenalter
  • M. Kleimaker, A. Kleimaker, C. Beste, A. M. Münchau. Pathophysiologie des Gilles-de-la-Tourette-Syndroms. Nervenheilkunde 2020; 39(05): 291-299 DOI: 10.1055/a-1095-5146
  • Kleimaker M, Takacs A, Conte G, Onken R, Verrel J, Bäumer T, Münchau A, Beste C. Increased perception-action binding in Tourette syndrome. Brain 2020;143:1934-1945.
  • Beste C, Münchau A. Tics and Tourette syndrome – surplus of action rather than disorder? Mov Disord 2018 Feb;33:238-242
  • TICS – MIT TOURETTE NACH LAPPLAND - Dokumentarfilm 2022 von und mit Prof. Dr. Münchau; Hrsg: Salzgeber - Rainville/Oswald 

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