Lieferengpässe bei Arzneimitteln wie kürzlich etwa Fiebersäfte für Kinder sind in Deutschland zuletzt immer wieder in den Schlagzeilen gewesen. Dieser Ratgeber klärt auf, welche Ursachen eine Arzneimittelknappheit in der Versorgung haben kann und welche Lösungen es für Patientinnen und Patienten in solchen Fällen gibt. Zudem erfahren Leserinnen und Leser, was es in diesem Zusammenhang mit Rabatt-Arzneimitteln auf sich hat und welche Behörden über mögliche Lieferengpässe bei Pillen, Tabletten, Tropfen und Salben informieren.
„Ursachen für Lieferengpässe sind vielschichtig und liegen unter anderem in den Strukturen einer stark globalisierten und spezialisierten Arzneimittelherstellung. Vor allem die Schritte zu Beginn der Arzneimittelherstellung, die Wirk- und Hilfsstoffproduktion, finden hauptsächlich in Asien statt, etwa in China und Indien“, sagt Dr. André Breddemann, Arzneimittel-Experte bei der BARMER.
Ursachen für Lieferengpässe
Trotz der Bemühungen aller Beteiligten kann es zu Lieferproblemen bei Arzneimitteln kommen. „Für manche Wirkstoffe gibt es weltweit nur noch wenige Hersteller. Produktionsausfälle oder Qualitätsprobleme in einer einzelnen Anlage können dann bereits ausreichen, um die Versorgung in Europa zu stören“, erläutert Breddemann. Folgende Beispiele verdeutlichen das Problem:
- Verspätete Lieferungen von Zulieferern: Ein Wirkstoff oder Grundstoff für ein Medikament wird nicht rechtzeitig geliefert.
- Knappheit an Hilfsstoffen oder Packmitteln: Dies kann die Produktion ins Stocken bringen, auch wenn eigentlich genügend Wirkstoff vorhanden ist.
- Technische Störungen: Größere technische Probleme auf dem Firmengelände können die Produktion verzögern.
- Stilllegung von Werken: Ausbau-, Umbau- oder Reparaturmaßnahmen sowie Produktionsverlagerungen können zu Engpässen führen.
- Produktionsmängel: Eine fehlerhafte Charge eines Medikaments muss eventuell zurückgerufen werden, und die Nachproduktion erfordert Zeit.
- Unerwarteter Bedarfsanstieg: Eine Krankheitswelle oder der Ausfall eines anderen Herstellers kann zu plötzlichem Mehrbedarf bei einem bestimmten Präparat führen.
- Neue gesetzliche Vorgaben: Diese können Änderungen in der Produktion erfordern und zu Verzögerungen bei der Genehmigung führen.
Individuelle Lösungen statt Standardmaßnahmen
„Jede Ursache für eine temporäre oder längerfristige Arzneimittelknappheit verlangt individuelle Lösungen, die dann gegebenenfalls in enger Abstimmung mit den Zulassungsbehörden umgesetzt werden müssen“, sagt Breddemann. „Ein Hersteller etwa, der von einem Zulieferer nicht beliefert wird, muss erst neue Bezugsquellen finden.“ Vor dem Einsatz neuer Lieferanten ist jedoch zunächst eine umfassende Qualitätssicherung des Produkts notwendig.
Langfristig weitere strukturelle Änderungen für stärkere Versorgungssicherheit
Trotz zahlreicher politischer Initiativen in den letzten Jahren kommt es immer wieder zu Lieferschwierigkeiten auch bei versorgungsrelevanten Medikamenten. Um die Versorgungssicherheit vor dem Hintergrund zunehmender geopolitischer Risiken zu erhöhen, bedarf es weitergehender Maßnahmen. Dazu ist vor allem mehr Transparenz in der Arzneimittelversorgung notwendig. Ebenso nötig ist auch die Stärkung der Produktion insbesondere für versorgungskritische Medikamente, die Diversifizierung der Lieferketten sowie ein einheitlicher Rahmen für die Einfuhr und Zulassung von Arzneimitteln aus Drittstaaten.
Ausweichmöglichkeiten für Patientinnen und Patienten
Ein Lieferengpass bei einem Medikament ist nicht zwangsläufig gleichzusetzten mit einem echten Versorgungsengpass. „Häufig sind nur bestimmte Wirkstärken, Packungsgrößen oder Darreichungsformen betroffen. In vielen Fällen kann auf andere Varianten des Präparats ausgewichen werden“, erläutert Breddemann. Bei Medikamenten mit abgelaufenem Patentschutz steht häufig ein anderes wirkstoffgleiches Arzneimittel zur Verfügung. „Patientinnen und Patienten sollten sich in solchen Fällen an ihre Arztpraxis oder ihre Apotheke wenden, um sich eingehend beraten zu lassen“, sagt Breddemann.
Alternative Rabattvertrags-Arzneimittel
Krankenkassen schließen für etliche Wirkstoffe ganz bewusst Rabattverträge mit unterschiedlichen Herstellern ab. „Wenn dann mal ein Vertrags-Arzneimittel nicht lieferbar ist, stehen in aller Regel Alternativen direkt zur Verfügung“, sagt Breddemann. Sollte kein Vertrags-Arzneimittel lieferbar sein, dann könne die Apotheke auch ein wirkstoffgleiches Medikament eines anderen Herstellers zu Lasten der jeweiligen Kasse aushändigen, um die individuelle Versorgung zu gewährleisten.
Besonderheiten bei Impfstoffen im Zusammenhang mit Lieferengpässen
Insbesondere die Herstellung von Impfstoffen ist komplex und zeitaufwendig. „Verzögerungen im Produktionsprozess können z.B. bei der Vermehrung der erforderlichen Erreger auftreten. Die Herstellung eines Kombinationsimpfstoffs kann daher bis zu 26 Monate dauern“, erläutert Breddemann. Influenzaviren verändern sich ständig. Grippeimpfstoffe müssen daher jedes Jahr neu an die voraussichtlich zirkulierenden Virenstämme angepasst werden. Verzögerungen in der Produktion könnten dann dazu führen, dass nicht alle geplanten Mengen rechtzeitig geliefert würden.
Informationen von zuständigen Behörden beachten
Die zuständigen Behörden, wie etwa das Paul-Ehrlich-Institut für Impfstoffe, informieren auf ihren Webseiten über Lieferengpässe und geben Empfehlungen zu Alternativen. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte bietet Übersichten zu Lieferengpässen von Humanarzneimitteln, insbesondere für Medikamente zur Behandlung lebensbedrohlicher oder schwerwiegender Erkrankungen, für die keine oder nur wenige Alternativen verfügbar sind. Die Übersichten werden ständig aktualisiert. Diese Informationen können Krankenhäusern und Apotheken helfen, sich auf mögliche Engpässe rechtzeitig vorzubereiten.