Zu sehen auf dieser Illustration ist eine Frau, die erstaunt in die Kamera blickt. Über ihren Kopf: eine Hand die auf einem Smartphone kommt und ihren Kopf, ihre Gedanken manipuliert.
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Cortisol Face: Unnötige Aufregung um natürliches Hormon

Lesedauer unter 5 Minuten

Gesundheitsthemen erfreuen sich im Internet großer Beliebtheit. Zusätzlich befeuert wird sie, wenn Influencer mit Tipps aufwarten oder vor Gefahren warnen. Und nicht selten haben sie die Lösung für das vermeintliche Problem parat. So auch beim Thema Cortisol Face, das auf TikTok einen Run erlebte.

Gesundheit ist ein vielschichtiges Thema. Nur selten ist es einfach zu erklären, was in unserem Körper passiert. Das gilt für ganze Krankheitsbilder, aber genauso auch für einzelne Laborwerte wie etwa den Cortisol-Spiegel. Welche Ursachen, Zusammenhänge und Konsequenzen für die Lebensqualität sind dann für unsere Gesundheit wichtig? Ein Beispiel dafür, wie schnell bei medizinischen Themen ein falsches Bild entstehen kann, ist das Cortisol Face. Der Ausdruck beschreibt ein rundes Gesicht, oft auch Mondgesicht genannt. Verursacht würde es durch einen dauerhaft erhöhten Cortisol-Spiegel. Das rundliche Gesicht entsteht tatsächlich durch Fetteinlagerungen. Der Grund dafür kann zu viel Cortisol im Blut sein, wie es bei dem sehr seltenen Cushing-Syndrom oder durch die Einnahme von so genannten Glukokortikoiden bei bestimmten chronischen Erkrankungen. Außerdem kann auch Adipositas als Ursache in Frage kommen. Zudem kann die Einnahme von zum Aufbau von Muskelmasse eingesetzten Anabolika ein Mondgesicht verursachen.

Fragwürdige Berühmtheit

Das Mondgesicht erlangte in den sozialen Medien eine fragwürdige Berühmtheit, als Influencer auf TikTok anfingen, über das als Cortisol Face bezeichnete Phänomen und seine Ursachen zu mutmaßen. Und damit nicht genug, auch „hartnäckiges Bauchfett“ oder scheinbar unbegründetes nächtliches Aufwachen hätten angeblich die gleiche Ursache.

Einseitige Empfehlungen

„Problematisch wird es, wenn zu medizinischen Fragen einseitige Empfehlungen ausgesprochen werden und dabei ein unvollständiges Bild entsteht. Denn das ist dann häufig einfach falsch“, betont Dr. Utta Petzold, Ärztin bei der BARMER. Gemeint ist damit vor allem die „Empfehlung“, man solle seinen Cortisol-Spiegel zu Hause testen und sich bei zu hohen Werten einem Cortisol-Detox unterziehen. Also gewissermaßen von Cortisol entgiften. „Cortisol ist ein für uns lebenswichtiges Hormon. Es regelt viele wichtige Vorgänge im menschlichen Körper. Zugleich schwankt der Cortisol-Spiegel im Tagesverlauf und ist zum Beispiel davon abhängig, ob wir gerade Stress ausgesetzt sind“, erläutert die Medizinerin. Kritisch sieht sie es vor allem, wenn Menschen mit selbst ermittelten Testergebnissen und den Konsequenzen daraus allein gelassen werden. Als geradezu fahrlässig erachtet ihr die Ableitung von seltenen und schwerwiegenden Erkrankungen aus diesen Messwerten. „Die Diagnose des Cushing-Syndroms gehört unbedingt in ärztliche Hände. Die Erkrankung ist so selten, dass selbst viele Hausärztinnen und Hausärzte ihr fast nie begegnen. Das macht eine korrekte Diagnose sehr schwierig. Nicht umsonst haben verschiedene Universitätskliniken dafür spezielle Ambulanzen eingerichtet“, so Petzold. Ähnlich verhält es sich mit dem Einfluss des Cortisols auf unseren Schlaf. Als Stresshormon ist es dazu prädestiniert, uns aufzuwecken und mit morgendlicher Energie zu versehen. Und des Nachts einmal aufzuwachen, kann viele Ursachen haben. Da reicht es schon, wenn man am Vorabend geringe Mengen Alkohol getrunken hat oder sich die Sorgen des vorangegangenen Tages wieder melden.

Ursachen ärztlich abklären lassen

Ein über lange Zeit zu hoher oder zu niedriger Cortisol-Spiegel kann dabei durchaus negative gesundheitliche Folgen haben. Umso wichtiger ist es, die Ursachen dafür abzuklären, empfiehlt Petzold. Diese können jedoch ganz unterschiedlich sein. Chronischer Stress durch zu wenig Schlaf und dauerndem Termindruck kommen für einen erhöhten Cortisol-Spiegel ebenso in Frage wie Medikamente mit dem Wirkstoff Kortison, einer Vorstufe von Cortisol, die die gleiche Wirkung entfaltet wie Cortisol. Auch ein Tumor kann den Cortisol-Spiegel massiv erhöhen. In den meisten Fällen handelt es sich dabei um einen gutartigen Tumor an der Hirnanhangsdrüse, die die Cortisol-Produktion steuert. Nicht zuletzt kommen auch einige Erkrankungen oder eine Schwangerschaft als Ursache in Betracht. Stark erniedrigte Cortisol-Spiegel gehen mit einer ungewollten Bronzefärbung der Haut einher und können, wenn der Stoffwechsel entgleist, lebensbedrohlich werden. „Es ist auf jeden Fall sinnvoll, Symptome medizinisch abzuklären, die auf einen dauerhaft zu hohen oder zu niedrigen Cortisol-Spiegel hinweisen“, rät Petzold. Um herauszubekommen, wie es mit dem eigenen Cortisol-Spiegel aussieht, sind Hausärztin und Hausarzt die beste erste Anlaufstelle. Bei Bedarf können sie zu Endokrinologen, Spezialisten für hormonell bedingte Erkrankungen, überweisen.

Tipps bei erhöhtem Cortisol-Spiegel

Von dem Versuch, sich einer „Entgiftung“ von Cortisol zu unterziehen, hält Petzold nichts. Dafür sei das Hormon als natürlicher Bestandteil unseres Organismus viel zu wichtig. Wenn Stress die Ursache für eine ärztlich nachgewiesene übermäßige Cortisol-Produktion ist, helfen die Pflege sozialer Kontakte ebenso wie eine ausgewogene Ernährung oder guter, erholsamer und ausreichender Schlaf, das allgemeine Stresslevel zu senken. All das könne zusammen mit dem Verzicht auf das Rauchen dazu beitragen, zumindest leicht erhöhte Cortisol-Werte wieder in den Normalbereich zu bringen. Um stark erhöhte Cortisol-Spiegel in den Griff zu bekommen, braucht es auf jeden Fall ärztliche Hilfe.
 

Cortisol, das Stresshormon
Cortisol ist neben Adrenalin und Noradrenalin eines der wichtigen Stresshormone im menschlichen Körper. Sie werden bei körperlichem oder psychischem Stress ausgeschüttet und setzen die Energie frei, die wir brauchen, um eine Herausforderung zu meistern. Über den Blutkreislauf verteilt, hat Cortisol im Körper vielerlei zu erledigen. Es erhöht Blutdruck und Blutzucker und hemmt Entzündungen, damit der Körper abwehrbereit ist. Cortisol beeinflusst zudem verschiedene Stoffwechselprozesse und nicht zuletzt auch unseren Rhythmus von Schlafen und Wachen. Cortisol gehört also ganz natürlich zu uns!

Cushing-Syndrom: Beispiel für seltene Erkrankungen
Unter seltenen Erkrankungen werden lebensbedrohliche oder chronische Krankheiten verstanden, von denen unter 10.000 Menschen maximal fünf betroffen sind. Zu mehr als 80 Prozent genetisch bedingt, beginnen sie meist im Kindesalter und sind nur selten heilbar. Betroffene müssen oft sehr lange auf eine klare Diagnose warten. Das Cushing-Syndrom ist ein Beispiel für seltene Erkrankungen. Daran erkranken pro Jahr von 100.000 Menschen höchstens ein bis zwei. Zu den typischen Hinweisen gehören Fettablagerungen an den Schulterblättern, ein rundliches Gesicht, das oft auch als Mondgesicht bezeichnet wird, ein stämmiger Körper, wobei Arme und Beine zugleich sehr schlank sind. Außerdem können auch eine schlechte Wundheilung, Akne oder Dehnungsstreifen auf der Haut auf das Syndrom hinweisen. Wer ein Cushing-Syndrom bei sich vermutet, sollte dies unbedingt ärztlich abklären lassen.