Auf dieser bunten Illustration zu sehen ist ein Mann, gekleidet in Anzugshose und mit blauem Hemd. Seine Krawatte leuchtet rot. An der Stelle, wo sein Kopf sein sollte, zucken Blitze und bilden sich Kritzelwolken, die die Reize der Umgebung symbolisieren und hier ungefiltert Eingang in seine Welt finden.
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Reizoffenheit verstehen: Warum manche mehr wahrnehmen als andere

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Geräusche, Stimmungen, Details, manche Menschen nehmen mehr wahr als andere. Diese „Reizoffenheit“ kann kreativ und empathisch machen, aber auch anstrengend sein. Psychologin Andrea Jakob-Pannier erklärt, warum die inneren Filter bei manchen durchlässiger sind, und wie man im Alltag besser mit der Reizflut umgeht.

Wer sich im Café oder der Bahn von den Gesprächen der anderen Menschen ablenken lässt oder nach einem Stadtbummel völlig erschöpft ist, kennt das. Zu viele Eindrücke, zu wenig Filter. Reizoffene Menschen nehmen mehr Details, Geräusche und Emotionen wahr als andere. „Ihr Gehirn sortiert Informationen weniger streng aus. Dadurch gelangen mehr Reize ins Bewusstsein, das kann inspirierend, aber auch überwältigend sein“, erklärt Andrea Jakob-Pannier, Psychologin der BARMER. 

Woher kommt Reizoffenheit?

Reizoffenheit hat viele Facetten. Ein Teil ist biologisch bedingt. Genetische Faktoren können beeinflussen, wie sensibel unser Nervensystem auf Reize reagiert. Menschen mit einer hohen neuronalen Aktivierung nehmen Geräusche, Gerüche oder visuelle Eindrücke intensiver wahr. Ebenso betroffen können Menschen mit einer Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung und hochsensible Menschen sein. Doch auch Erfahrungen und Lebensumstände spielen eine Rolle. Wer in einer Umgebung aufgewachsen ist, in der man besonders aufmerksam oder vorsichtig sein musste, entwickelt oft feinere Wahrnehmungsantennen. „Unser Gehirn lernt früh, worauf es achten muss und behält diese Muster dann bei“, so Jakob-Pannier. 
Die Reizoffenheit kann zudem durch psychische oder körperliche Erschöpfung zusätzlich verstärkt werden. Schlafmangel, Stress oder digitale Dauerpräsenz führen dazu, dass die natürlichen Filter schwächer arbeiten. „Dann rauscht einfach zu viel gleichzeitig ins Bewusstsein, und das kann schnell überfordern“, sagt die Psychologin.

Bleibt das ein Leben lang so?

Reizoffenheit ist kein starres Temperamentsmerkmal. Sie kann sich im Laufe des Lebens verändern oder regulieren lassen. Menschen, die lernen, mit Stress besser umzugehen oder ihre Aufmerksamkeit bewusst zu lenken, berichten oft, dass sie mit der Zeit gelassener werden. „Es gibt Phasen, in denen die Reizempfindlichkeit stärker ausgeprägt ist, etwa in Krisenzeiten, während hormoneller Umstellungen oder bei beruflicher Überlastung“, erklärt Andrea Jakob-Pannier. „Ebenso kann sie in ruhigeren Lebensphasen wieder abnehmen.“ Manche entwickeln mit der Zeit ein gutes Gespür dafür, was ihnen guttut, und was zu viel ist. Das bedeutet, Reizoffenheit lässt sich nicht ‚heilen‘, aber durch bewusste Strategien und Selbstfürsorge sehr wohl gestalten.
„Reizoffenheit ist kein Defizit und gilt auch nicht als Erkrankung, es ist eine besondere Art, die Welt zu erleben“, betont Jakob-Pannier. „Wer lernt, mit dieser Sensibilität achtsam umzugehen, kann sie als Ressource nutzen, statt sie als Belastung zu empfinden“, ergänzt sie. 
 

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