Barmer-Landesgeschäftsführerin Birgit Dziuk mit Mikrofon.
STANDORTinfo Sachsen-Anhalt

Sneak Peek: Forderungspapier der Barmer zur Landtagswahl 2026

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Vor ungefähr einem Monat haben wir einigen Landtagsabgeordneten aus Sachsen-Anhalt einen kleinen Vorgeschmack auf das Forderungspapier der Barmer zur Landtagswahl 2026 gegeben. Im Zentrum stand dabei die Weiterentwicklung der Krankenhauslandschaft mit Perspektiven für den Rettungsdienst. In beiden Bereichen kann Sachsen-Anhalt die Versorgung aktiv gestalten, denn sowohl in der Krankenhausplanung als auch im Rettungsdienst liegt die Planungshoheit bei den Ländern. Gleichzeitig gibt es in beiden Bereichen Bundesgesetzgebungen, die den Länderplanungen einen Rahmen geben bzw. geben werden. Wir richten unseren Fokus auf das Thema Krankenhaus, denn es wird richtungsweisend für das kommende Jahr sein.

Ein Zielbild formulieren

Wir haben in Sachsen-Anhalt zur Zeit 44 Krankenhausstandorte. Das Ziel ist, diese Häuser so zu spezialisieren, dass ein Netz einander ergänzender Kliniken entsteht. Der aktuelle vertikale Wettbewerb von Krankenhäusern unterschiedlicher Versorgungsstufen muss sich dabei in einen horizontalen Wettbewerb der Krankenhäuser mit vergleichbaren Schwerpunkten und Strukturvoraussetzungen bei Personal und Ausstattung drehen. Wir brauchen auch künftig alle Standorte. Was uns aktuell allerdings fehlt, ist ein Zielbild. Wir plädieren dafür, dringend eine Vorstellung zu entwickeln, wie eine bedarfsgerechte und langfristig stabile und finanzierbare Versorgungslandschaft in Sachsen-Anhalt künftig aussehen könnte. Wir lassen uns aktuell vielmehr von den Entwicklungen einzelner Träger treiben. Zuletzt beobachteten wir vor allem, dass private Krankenhausbetreiber ihre Häuser umstrukturieren, Stationen verlegen und Standorte schließen möchten. Die Bedarfe der Versicherten haben sich geändert. Darauf wird nachvollziehbar im Einzelfall vor Ort reagiert. Für ein Zielbild regen wir an, die Regionen von Sachsen-Anhalt in einer prospektiven Gesamtschau zu betrachten.

Die Bevölkerung mitnehmen

Für falsch erachten wir es, angesichts der Entwicklungen reflexartig Versprechungen zum Erhalt ganzer Krankenhäuser zu machen. Vielmehr müssen wir ehrlich miteinander ins Gespräch kommen. Wir müssen den Bürgerinnen und Bürgern erklären, dass der Verlust eines Krankenhausstandortes nicht bedeutet, dass Menschen „abgehängt“ sind. Die medizinische Versorgung hängt nicht allein an der Anzahl der Häuser, sondern am Bedarf und an der Qualität der Leistungen, die dort erbracht werden. Ein Krankenhaus ist dann bedarfsgerecht, wenn es über ausreichende tatsächlich stationär zu behandelnde Fallzahlen, genug erfahrene Fachkräfte, eine moderne Ausstattung und klare Spezialisierungen verfügt – nicht, wenn es einfach nur „vor Ort“ ist. „Vor Ort“ muss aber die stationäre und ambulante Grundversorgung mit dem Start der nachfolgenden Versorgungs- und Verlegungsketten stimmen.

Ohne Ausnahmen arbeiten

Damit einher geht auch, dass die Qualitätsvorgaben der Leistungsgruppen für Krankenhäuser in Sachsen-Anhalt konsequent umgesetzt werden müssen. Nur so kann eine bundeseinheitliche Behandlungsqualität versprochen und de facto gewährleistet werden. Die Patientinnen und Patienten in Sachsen-Anhalt müssen sich darauf verlassen können, dass sie hierzulande genauso gut versorgt werden wie die Bevölkerung in Hamburg, Bayern oder Brandenburg. Die Krankenhausreform verfolgte ursprünglich genau dieses Ziel: effizientere Strukturen durch Konzentrationen, Spezialisierung und damit insgesamt mehr Qualität. Wir haben Sorge, dass mit dem Krankenhausreformanpassungsgesetz bundesweit notwendige Qualitätsvorgaben weiter aufgeweicht werden. Sachsen-Anhalt sollte Ausnahmen festlegen können, wo sie notwendig sind. Wir empfehlen, diese jedoch auf ein Minimum zu begrenzen, sie zu befristen und mit entsprechenden Zielvorgaben zu versehen. Zudem sollten wir Konflikte, Bewertungen, Entscheidungen und auch Ausnahmeregelungen transparent und rechtzeitig kommunizieren, damit Patientinnen und Patienten über die Veränderungen gut informiert sind. Vernünftige Lösungsstrategien, die in einem Konsens mit Land, Ärzteschaft, Krankenhäusern und Krankenkassen entwickelt werden, können Sachsen-Anhalt in der Umsetzung in den Regionen weiterbringen.

Die Ambulantisierung mitdenken

Dabei gehört auch die Ambulantisierung auf die Agenda. Der Barmer-Versorgungskompass stellt fest, dass das Ambulantisierungspotential in Sachsen-Anhalt bei 23 Prozent liegt. Mehr als jede fünfte OP könnte also ambulant erfolgen. Wir müssen dieses Potential endlich ausschöpfen. Aufgrund des medizinischen Fortschritts können immer mehr Operationen ambulant in einer Facharztpraxis erfolgen, anstatt an einen Krankenhausaufenthalt gekoppelt zu sein. Das kleine Krankenhaus von morgen wird anders aussehen als heute. Vielleicht gilt künftig das Motto „Back to the roots“, denn das Modell der „Poliklinik“ könnte wieder in den Fokus rücken: kurze Wege, vernetzte Expertise und eine Versorgung, die nicht zwingend allein stationär sein muss. Am Standort der ehemaligen Lungenklinik Ballenstedt wird das hoffentlich zukünftig gut gelingen. Das dortige kommunale MVZ kann die Behandlungsmöglichkeiten in der Region deutlich verbessern.

Gezielte Investitionen tätigen

Eine moderne Krankenhausstruktur ist nicht zum Nulltarif zu haben. Wenn wir wollen, dass Patientinnen und Patienten in Sachsen-Anhalt auch in Zukunft auf hohem Niveau behandelt werden, sollten wir gemeinsam in Qualität investieren. Nicht mit der Gießkanne, sondern gezielt. Seit Jahren beobachten wir einen Investitionsstau in den Krankenhäusern, verursacht durch das Land Sachsen-Anhalt. Das bestehende Defizit führt dazu, dass die Krankenhäuser dringend erforderliche Investitionen aus den Vergütungen der gesetzlichen Krankenkassen querfinanzieren müssen. Diese Zweckentfremdung von Versichertengeldern geht zulasten der Patientinnen und Patienten, für deren Versorgung die Vergütungen eigentlich vorgesehen sind. Wir haben Bedenken, dass Ähnliches mit den Geldern des Krankenhaustransformationsfonds passieren könnte. Die Krankenkassen haben keinen Einfluss auf die Mittelverwendung des Fonds, weil die Gelder von Bund und Land kommen. Die Krankenkassen tragen aber die laufenden Betriebskosten der Krankenhäuser. Sie sind also automatisch für die Folgekosten verantwortlich. Wir sehen die Gefahr, dass die Mittel des Transformationsfonds vor allem für den Erhalt bestehenden Strukturen genutzt werden, nicht für notwendige Konzentrationen oder Umwandlungen.

Gemeinsam Verantwortung übernehmen

Die Krankenhausversorgung in Sachsen-Anhalt steht vor einem entscheidenden Wendepunkt. Wir können nicht länger abwarten, sondern müssen aktiv gestalten – mit klaren Zielbildern, ehrlicher Kommunikation und konsequenter Umsetzung von Qualitätsstandards. Ambulantisierung, Spezialisierung und Investitionen sind keine Schlagworte, sondern notwendige Schritte, um die Versorgung zukunftsfähig zu machen. Dabei gilt: Qualität vor Quantität. Nur wenn wir gemeinsam – Land, Träger, Ärzteschaft, Krankenkassen und Bevölkerung – Verantwortung übernehmen, schaffen wir eine Krankenhauslandschaft, die den Menschen dient und den medizinischen Fortschritt nutzt. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, um die Weichen für eine stabile und verlässliche Versorgung zu stellen, konsensorientiert im Sinne des Gemeinwohls.