Als ich das Amt als Vorstandsvorsitzender antrat, trugen viele Zahnärztinnen und Zahnärzte die gleiche Sorge an mich heran: Wer übernimmt, wenn ich gehe? Was wird aus meinen Patienten, wenn ich keine Nachfolge finde? Viele Kolleginnen und Kollegen haben über Jahrzehnte eine stabile Versorgung aufgebaut. Heute fürchten sie um deren Zukunft. Die Sorge ist berechtigt. Sachsen-Anhalt hat allein in den letzten fünf Jahren mehr als 250 Zahnarztpraxen verloren. Während mehr und mehr Zahnärztinnen und Zahnärzte in den wohlverdienten Ruhestand gehen, fehlt uns Nachwuchs, um die Abgänge auszugleichen.
Unbequemer Weckruf
Ein intensiverer Austausch mit Politik und Krankenkassen war notwendig. Denn Nachwuchs lässt sich nicht herbeireden. Wir haben deshalb früh eine Schwerpunktabteilung geschaffen und die Öffentlichkeitsarbeit deutlich intensiviert. Wichtig war in diesem Zusammenhang die Erstellung des „Versorgungsatlas 2030“. Denn während das vom Gesetzgeber zur Verfügung gestellte Instrument des Bedarfsplans zwar das Wort „Plan“ im Namen trägt, ermöglicht es nur im begrenzten Maße Aussagen über die Zukunft. Wir wollten Klarheit: Wie entwickeln sich Zahnärzte- und Bevölkerungszahlen, wo entstehen Lücken, wie groß werden sie. Die Ergebnisse dieses Prognoseberichts waren eindeutig: Weite Teile des Landes steuern trotz sinkender Bevölkerungszahlen auf ein Versorgungsdefizit zu. Der „Versorgungsatlas 2030“ war ein Weckruf, der vor allem bei Landkreisen und Gemeinden Gehör fand. Viele haben begonnen, sich einzubringen, kommunale Stipendien aufzulegen oder die Ansiedlung von Zahnärzten strukturell und finanziell zu unterstützen. Dafür sind wir dankbar.
Ministerpräsident Dr. Reiner Haseloff besuchte die Universität in Pécs (Ungarn).
Neue Wege, neue Möglichkeiten
Ein für uns entscheidender Schritt kam im Herbst 2020 mit dem Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz. Mit dessen Inkrafttreten wurden den KZVen Sicherstellungsinstrumente eröffnet, die zuvor nur dem vertragsärztlichen Bereich vorbehalten waren. Unter anderem einen Strukturfonds zu bilden und gemeinsam mit den Krankenkassen Fördermaßnahmen zur Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung zu finanzieren. Wir haben die Chance genutzt und als erste KZV von dieser neuen Möglichkeit Gebraucht gemacht; noch im November 2020 hat unsere Vertreterversammlung für die Bildung des Strukturfonds votiert. Seitdem haben wir eine Reihe von Programmen aufgesetzt, die an mehreren Punkten ansetzen: Nachwuchs gewinnen, Praxisnachfolgen unterstützen und junge Zahnärztinnen und Zahnärzte beim Start begleiten. Zentraler Baustein: Stipendienprogramme, um mehr jungen Menschen den Zugang zum Zahnmedizinstudium zu eröffnen und zahnärztlichen Nachwuchs langfristig an das Land zu binden. Dazu gehörte für uns auch der Blick über Landes- und Bundesgrenzen hinweg. Unsere Kooperation mit der Universität Pécs hat nicht nur Zustimmung erfahren, sondern auch Diskussionen ausgelöst. Das ist verständlich. Doch ohne zusätzliche Studienkapazitäten bleibt jede Debatte über Versorgung theoretisch. Wir wollten nicht nur über Zahlen klagen, sondern Wege schaffen. Die Förderung des Zahnmedizinstudiums im europäischen Ausland, wie in Pécs, ist einer davon.
Der landespolitische Wendepunkt
Im Sommer 2023 erreichte der Diskurs einen neuen Höhepunkt: Am 28. Juni hatten sich rund 500 Zahnärztinnen und Zahnärzte mit ihren Praxisteams sowie weitere Unterstützer auf dem Magdeburger Domplatz zusammengefunden, um direkt vor dem Landtag auf die drohende Versorgungskrise aufmerksam zu machen. Vertreter aller politischer Fraktionen sahen sich veranlasst, bei dieser Veranstaltung Stellung zu beziehen. Unser Anliegen wurde an diesem Tag deutlich sichtbar und die Diskussion gewann an Dynamik. Hinzu kam die anhaltende Präsenz des Themas in den Medien. Dass im Juni dieses Jahres schließlich das Landzahnarztgesetz Sachsen-Anhalt verabschiedet wurde, sehen wir als direkten Erfolg dieses Engagements. Nach Jahren intensiver Diskussionen hat die Landespolitik nun zentrale Vorschläge der Zahnärzteschaft aufgegriffen. Sachsen-Anhalt ist das damit erste Bundesland, das eine Landzahnarztquote im Zahnmedizinstudium umgesetzt hat und Stipendien für das Zahnmedizin im europäischen Ausland finanziert.
Eine Delegation, zu der unter anderem Vertreterinnen und Vertreter der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Sachsen-Anhalt und Ministerpräsident Dr. Reiner Haseloff zählten, besuchte die Universität in Pécs (Ungarn).
Problem gelöst?
Förderprogramme schaffen Chancen, aber sie ersetzen nicht attraktive Arbeitsbedingungen. Junge Zahnärzte entscheiden sich nicht allein wegen eines Stipendiums für einen Standort, sondern wegen der Perspektive, die sie dort sehen. Bürokratie, Regresse, überfrachtete Dokumentationspflichten und starre Vorgaben nehmen zudem vielen die Lust, sich niederzulassen.
Wenn wir Versorgung sichern wollen, müssen wir an drei Punkten gleichzeitig ansetzen. Erstens müssen wir weiter in Nachwuchs investieren. Zweitens braucht es verlässliche Rahmenbedingungen für selbstständige Tätigkeit. Nicht mehr Kontrolle, Bürokratie oder gar Zulassungsbeschränkungen. Sondern mehr Gestaltungsspielräume, die eigene Praxis gut führen zu können. Und drittens braucht es den Schulterschluss aller Akteure im Gesundheitswesen: Zahnärzteschaft, Krankenkassen, Landespolitik und Kommunen.