Dr. Hartmut Stefani
STANDORTinfo Sachsen-Anhalt

Interview mit Dr. Hartmut Stefani zur Einführung des Telenotarztes in Sachsen-Anhalt

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Dr. Hartmut Stefani ist Chefarzt der Klinik für Notfall- und Akutmedizin im Carl-von-Basedow-Klinikum Saalekreis und seit dem 1. Januar 2024 auch Ärztlicher Leiter Rettungsdienst des Rettungsdienstbereiches Merseburg-Querfurt/südlicher Saalekreis. Zuvor übte er das Amt 18 Monate lang kommissarisch aus. Gemeinsam mit den Ärztlichen Leitern Rettungsdienst der kreisfreien Stadt Halle (Saale) und des Landkreises Mansfeld-Südharz arbeitet er an der Einführung eines Telenotarztes in Sachsen-Anhalt. Die Barmer hat ihn zum Interview getroffen und mit ihm über Netzabdeckung, Body-Cams und Leitstellenzusammenlegungen gesprochen.

Herr Dr. Stefani, der Telenotarzt in Sachsen-Anhalt – längst überfällig oder super innovativ? Was würden Sie sagen?

Super innovativ war das Telenotarzt-Projekt in Aachen. Die Kollegen dort sind vor mehr als zehn Jahren mit dem Thema gestartet. Längst überfällig ist aber auch etwas übertrieben. Wir sind vermutlich irgendwo dazwischen. Aktuell gibt es in vielen Bundesländern Bestrebungen, einen Telenotarzt einzuführen. Von daher ist es auch für Sachsen-Anhalt ein guter Zeitpunkt sich in diesem Bereich zu engagieren.

Warum nicht schon früher?

Wir haben ja bereits vor eineinhalb Jahren mit der Planung des Vorhabens begonnen. Was uns dabei sehr zugutekommt, ist die Experimentierklausel im Rettungsdienstgesetz von Sachsen-Anhalt. Sie bildet die Basis unseres Projekts. Die Klausel erlaubt seit Ende 2021 zeitlich befristete Ausnahmeregelungen, um neue Konzepte rechtssicher zu erproben, Erfahrungen zu sammeln und diese anschließend auszuwerten. Die Landesregierung macht mit dieser Regelung Innovationen im Rettungsdienst überhaupt möglich. Wir können in kleinen Dimensionen testen, also experimentieren. Das ist super. 

Sie verwiesen selbst auf das Vorreiterprojekt in Aachen. Inwieweit dient das für den Telenotarzt in Sachsen-Anhalt als Vorbild?

Wir haben uns alle drei Telenotarztprojekte in Deutschland angeschaut; also nicht nur die Umsetzung in Aachen, sondern auch in Goslar und Greifswald. Ich denke, wir haben uns von allen Modellvorhaben jeweils das Beste herausgesucht. Technisch haben wir uns eher an den jüngeren Systemen orientiert. Wir wollen die Videotechnik also nicht im Rettungswagen verbauen, sondern möchten die Notfallsanitäter mit mobiler Technik ausstatten, einer Art Body-Cams, die gleichzeitig als Datenüberträger der Behandlungsdaten dienen. Auf diese Weise kann der Telenotarzt auch außerhalb des Rettungswagens mit Patienten und Sanitätern in Kontakt treten. 

Inwieweit ist der Telenotarzt aus Ihrer Perspektive notwendig für eine zukunftsträchtige Gesundheitsversorgung?

Begrenzte Ressourcen sind meiner Meinung nach der eindeutige Aufruf für ein engeres Miteinander, für die Nutzung von Synergien. Der Telenotarzt kann hinsichtlich des Fachkräftemangels helfen. Notärzte werden durch ihn entlastet.

Brauchen wir dann überhaupt noch Notärzte, die physisch vor Ort sind?

Natürlich brauchen wir die. Es gibt eine Vielzahl von Krankheitsbildern, bei denen zwingend ein Notarzt vor Ort gebraucht wird. Die Einsatzszenarien reichen dabei von Schwerstverletzten über Reanimationsbedürftige bis hin zu Beatmungspatienten. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass nicht jeder Notarzt automatisch Telenotarzt wird. Der Telenotarzt ist ein hochspezialisiertes Berufsbild, das auf jahrelanger Erfahrung als Notarzt, auf Führungsverantwortung und Zusatzqualifikationen fußt.

Welche Aufgaben nimmt der Telenotarzt wahr?

Der Telenotarzt ist in erster Linie eine Führungskraft, ein Manager, der das Rettungsteam vor Ort aus der Ferne mit seiner Kompetenz unterstützt. Dazu wertet er Befunde aus, die ihm digital zugestellt werden, und entscheidet, wie genau die Behandlung des Patienten erfolgen soll. Er berät dazu, was die Notfallsanitäter vor Ort tun sollen, ob es doch einen physischen Notarzt vor Ort braucht und welche Ziel-Klinik für das jeweilige Krankheitsbild am besten geeignet ist. 

Weg vom Arzt und hin zu allen anderen: Wie erleben Sie die Zusammenarbeit der Beteiligten bei dem Projekt?

Ich kann die Zusammenarbeit nur loben. Von der Politik über die Kostenträger bis hin zu den Leistungserbringern sind alle hochmotiviert bei der Sache und arbeiten Hand in Hand. Das habe ich in diesem Ausmaß bisher nur selten erlebt.

Stichwort: Netzabdeckung. Was denken Sie, wie reibungslos wird die Kommunikation zwischen Telenotarzt und Sanitätern technisch laufen?

Breitbandausbau ist beim Telenotarzt ein ganz wichtiges Thema. Wir haben uns dazu viel mit den Kollegen aus Mecklenburg-Vorpommern ausgetauscht, die ja ähnlich ländlich geprägt sind wie wir. Wir möchten auf ein System setzen, dass auf verschiedene Netze zugreifen kann, sodass ein flächendeckender Empfang gewährleistet ist – zumindest in der Theorie. Für Sachsen-Anhalt ist das tolle an unserem Projekt, dass wir sowohl urbane Zentren als auch den ländlichen Raum abdecken. Auf diese Weise können wir am Ende des Modellvorhabens auswerten, ob wir einen flächendeckenden Einsatz des Telenotarztes in unserem Bundesland für möglich halten. 

Eine letzte Frage: Abseits vom Telenotarzt – was würden Sie sich noch für den Rettungsdienst in Sachsen-Anhalt wünschen?

Meine Wunschliste ist lang: eine einheitliche digitale Einsatzdokumentation für Sachsen-Anhalt und damit verbunden bessere Daten über die Versorgungsqualität, aber auch mehr Kooperationen zwischen Leitstellen und dass Rettungsdienste die Möglichkeit haben, auch Arztpraxen anzufahren, so wie es aktuell bereits in einem ersten Modell in Mansfeld-Südharz gemacht wird.

Hintergrund
Der Telenotarzt soll im vierten Quartal 2024 starten. Zunächst sollen Telenotärzte für drei Rettungswagen je Rettungsdienstbereich verfügbar sein. Sukzessive sollen weitere Rettungsmittel eingebunden werden. Der Antrag zur Erprobung des Telenotarztes ist versendet. Derzeit warten die Beteiligten auf die Genehmigung von Seiten des Innenministeriums.