BARMER-Arzneimittelreport 2021

Zu viele Frauen im gebärfähigen Alter bekommen potenziell kindsschädigende Medikamente verordnet

Lesedauer unter 3 Minuten

Berlin, 27. September 2022 – 60 Jahre nach dem Contergan-Skandal werden die Risiken von bestimmten Arzneimitteln für ungeborene Kinder noch immer ignoriert. Das geht aus einer Analyse der Barmer hervor. Demnach wurden im Jahr 2018 allein in Berlin rund 46.000 Frauen im gebärfähigen Alter Arzneimittel verordnet, die ein potenzielles Missbildungsrisiko haben. Das sind 5,3 Prozent der Frauen dieser Altersgruppe. Bundesweit sind rund 1,3 Millionen Frauen betroffen. „Eine ärztliche Beratung zur Medikation erfolgt bei den meisten Schwangeren zu spät, denn Fehlbildungen beim Embryo können bereits in den ersten Schwangerschaftswochen entstehen. Frauen im gebärfähigen Alter benötigen eine vollständige Dokumentation ihrer Arzneimittel, die für alle Ärztinnen und Ärzte zugänglich ist“, fordert Gabriela Leyh, Landesgeschäftsführerin der Barmer Berlin/Brandenburg.

Fehlender Überblick der Medikation kann zum Verhängnis werden

Bei den von der Barmer beanstandeten Wirkstoffen handelt es sich um so genannte Teratogene. Sie sind in einer großen Bandbreite von Arzneimitteln enthalten und können bei der Einnahme während der Schwangerschaft zu Missbildungen beim ungeborenen Kind oder Fehlgeburten vor allem in den ersten Schwangerschaftswochen führen. „Grundsätzlich ist die Einnahme von Teratogenen vor der Schwangerschaft nicht das Problem. Bei entsprechenden Krankheitsbildern, wie zum Beispiel einer Epilepsie, haben diese Arzneimittel eine wichtige Bedeutung. Spätestens nach Eintritt der Schwangerschaft sollten Teratogene aber tabu sein“, sagt Leyh. Die Abklärung, ob riskante Arzneimittelverordnungen bei der Schwangeren vorliegen, erfolgt jedoch meist zu spät. Laut Barmer erfahren die meisten Frauen in der fünften Schwangerschaftswoche von ihrer Schwangerschaft. In der siebten Schwangerschaftswoche erfolgt im Mittel die erste Besprechung der Arzneimitteltherapie beim Gynäkologen beziehungsweise bei der Gynäkologin. Die Organe des Embryos sind jedoch schon in der achten Schwangerschaftswoche angelegt. Folglich muss die Sicherheit der Arzneimitteltherapie schon vor der Schwangerschaft gewährleistet sein. Zumal laut einer Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung jede dritte Schwangerschaft ungeplant oder zeitlich ungewollt ist. 


Barmer fordert Rechtsanspruch auf Medikationsplan

Frauen im gebärfähigen Alter sollten nach Ansicht der Barmer einen Rechtsanspruch auf einen bundeseinheitlichen Medikationsplan erhalten. Bisher besteht ein solcher Rechtsanspruch nur für Versicherte bei einer Dauermedikation mit mindestens drei Medikamenten. „Bei Frauen im gebärfähigen Alter sollte nicht ausschlaggebend sein, ob sie ein oder mehrere Arzneimittel einnehmen. Jedes Arzneimittel sollte grundsätzlich auf mögliche Schwangerschaftsrisiken geprüft werden und das Ergebnis im Medikationsplan eingetragen werden. Nur so kann das Risiko für ungeborene Kinder reduziert werden“, sagt Leyh.

Viele werdende Mütter fühlen sich bei Arzneimitteln unsicher

Ein Medikationsplan würde den Frauen auch mehr Sicherheit geben. Denn nicht nur die Fortführung teratogener Arzneimittel, auch das Absetzen verordneter Arzneimittel ohne Rücksprache mit dem behandelnden Arzt beziehungsweise der behandelnden Ärztin kann Mutter und Kind gefährden. In einer Befragung der Barmer gaben 22 Prozent an, dass sie in der Schwangerschaft verordnete Arzneimittel aus Angst vor Schädigung des Kindes abgesetzt hätten, häufig ohne vorherige ärztliche Rücksprache. Mehr als die Hälfte der befragten Frauen (52 Prozent) gab an, Angst vor einer Schädigung des Kindes durch die Arzneimitteltherapie während der Schwangerschaft gehabt zu haben. Hier bedarf es mehr Aufklärung und Transparenz.

Hintergrundinformationen zur Methodik

In ihrem Arzneimittelreport hat die Barmer Daten von mehr als 66.000 Frauen mit Entbindung im Jahr 2018 ausgewertet. Die Ergebnisse wurden repräsentativ auf die Population der Bundesrepublik Deutschland hochgerechnet. Ergänzend führte die Barmer eine repräsentative Online-Befragung mit mehr als 1.200 Barmer-Versicherten Frauen zur Einstellung und Beratung ihrer Arzneimitteltherapie in der Schwangerschaft.
 

Kontakt für die Presse:

Markus Heckmann
Pressesprecher Barmer Berlin-Brandenburg
Telefon: 0800 33 30 04 151 140
E-Mailpresse.be.bb@barmer.de
Twitter: twitter.com/BARMER_BB