Seit zehn Jahren bietet Susanne Nienaber in Kooperation mit der Barmer Schulungen für Angehörige von Menschen mit Demenz an. Das Angebot ist für die Teilnehmenden kostenlos, einmal pro Woche treffen sie sich in der Praxis der Diplom-Psychologin in Stuttgart-Rohr. Um sich auszutauschen, um die Krankheit besser verstehen und um mit einer Lebenssituation besser umgehen zu können, die sehr belastend sein kann.
Draußen ist es nass, düster und gefühlt zu kalt für die Jahreszeit. In ihrer Praxis hat Susanne Nienaber schon Tee bereitgestellt, an jedem Platz steht ein kleiner Teller mit Obst und Süßigkeiten. Ein Holzregal voller Bücher, Pflanzen und rot gestrichene Wände vermitteln zusätzlich ein wenig Wärme. Auf einer Wand steht in goldenen Buchstaben das Wort 'Kraftquelle'. Und genau das soll die Praxis der Psychologin auch sein. Ein Ort, an dem Menschen Energie tanken können, die daheim demenziell erkrankte Angehörige betreuen. Normalerweise treffen sich hier am Mittwochabend zehn Personen. Heute sind es nur sieben – zwei Männer und fünf Frauen. Es ist das dritte Treffen der Gruppe, an diesem Abend geht es um das Thema, ob und wenn ja, wie Menschen mit Demenz ihre Krankheit empfinden. Das scheint ungewöhnlich in einem Kurs, in dem eben nicht die Erkrankten, sondern deren Angehörige im Mittelpunkt stehen. Da wäre es naheliegender, über deren Gefühlslage zu sprechen.
Susanne Nienaber
"Das Eine bedingt das andere. Deshalb vermittele ich den Pflegenden, warum die Erkrankten bestimmte Verhaltensweisen an den Tag legen. Und dass sie diese nicht auf sich beziehen dürfen", erklärt Susanne Nienaber. Unabhängig davon sei der Austausch der Kursteilnehmenden untereinander ein wesentlicher Bestandteil der Schulung. "Dabei erfahren die pflegenden Angehörigen, dass sie mit ihren Problemen nicht allein sind. Empfindungen und Gedanken offen auszusprechen, auch der unangenehmen, ohne Angst vor Ablehnung oder Unverständnis haben zu müssen, das kann für die Angehörigen eine große Entlastung bedeuten." Und so kommt es dann auch.
"Es stresst vor allem mich."
Frau R. berichtet über das Leben mit ihrer 92-jährigen Mutter. Ob diese an Demenz leidet, weiß sie nicht, da keine entsprechende Diagnose gestellt wurde. Eine solche sei aus ihrer Sicht auch nicht erforderlich, da sich dadurch nichts ändern würde. Für sie hätte das Kind dann lediglich einen Namen. Wenn sie jedoch ihre Mutter nach der Uhrzeit oder dem aktuellen Datum fragt, erhält sie keine Antwort. "Meine Mutter ist sehr pragmatisch. Sie sagt von sich selbst, dass ihr Gedächtnis wie ein Sieb sei, durch das alles hindurchfällt", erklärt Frau R. Ob ihre Mutter die eigene Vergesslichkeit stresse, könne sie nicht sagen. "Es stresst vor allem mich, dass ich mit meiner Mutter alles X-Mal besprechen muss", wirft Frau S. ein, die gemeinsam mit ihrem Mann zum Gruppenabend gekommen ist. Um zu erfahren, wo sie stehen, was noch auf sie zukommen kann und wo sie Hilfe erhalten können. Ihre Mutter lebe im selben Haus wie sie; der Ehemann verstarb vor 25 Jahren. "Seitdem ist die Situation sehr schwierig“, sagt Frau S. deutlich genervt. "Meine Mutter weigert sich, in ein Pflegeheim zu ziehen. Für sie ist die aktuelle Situation bequem."
Freunde um Unterstützung bitten
Bei Frau M. sieht es anders aus. Sie berichtet von ihrem demenzkranken Vater, der nicht möchte, dass sie sich um ihn kümmert. Er besteht darauf, wie früher alles selbst zu bestimmen und zu regeln. Doch dazu ist er nicht mehr in der Lage. Gelegentlich zeigt er aggressives Verhalten. "Vielleicht ist das Wut, weil er in dem Moment erkennt, dass mit ihm etwas nicht stimmt?" Susanne Nienaber nickt zustimmend. Menschen mit Demenz würden oft nicht denken, dass sie krank sind. Dennoch würden viele spüren, dass sich etwas verändert hat. Dieses Bewusstsein sowie die eigene Hilflosigkeit würden bei den Betroffenen oft zu Aggressionen führen. "Viele Erkrankte haben zudem große Schwierigkeiten damit, Hilfe anzunehmen. Insbesondere Menschen, die zeitlebens viel Verantwortung getragen haben und es gewohnt waren, selbstständig Entscheidungen zu treffen tun sich schwer damit, ihre Rolle als Familienoberhaupt abzugeben." In einem solchen Fall könne es hilfreich sein, Freunde einzubeziehen. Zum Beispiel, um die erkrankte Person dazu zu bewegen, einen Arzt aufzusuchen. Eine Teilnehmerin aus der Runde bestätigt das. Vorschläge aus der Familie würden von der erkrankten Mutter ignoriert. Aber wenn derselbe Rat von einer Freundin komme, dann sei das plötzlich eine gute Idee.
Kompetenzen erkennen und fördern
Erkrankte und ihre Angehörigen nehmen vor allem wahr, was nicht mehr möglich ist. "Wir konzentrieren uns oft zu sehr auf Defizite, dabei ist es wesentlich hilfreicher, die Fähigkeiten der Betroffenen in den Mittelpunkt zu stellen", erklärt Susanne Nienaber. Kontoauszüge abheften, Sprichwörter ergänzen, singen, den Erkrankten eine Muschel in die Hand geben und sie bitten, diese zu beschreiben. Es seien kleine Dinge wie diese, die einen großen Unterschied im Zusammenleben machen können. Ein häufiger Fehler sei, den Erkrankten alles abzunehmen und es ihnen zu bequem zu machen. "Versuchen Sie, ihre Angehörigen zu beteiligen. Geben sie ihnen das Gefühl, gebraucht zu werden. Und loben Sie. Loben ist wichtig!" Mit dem Gedanken kann sich Frau S. offenbar nicht anfreunden. Ihre Mutter nicht mehr kritisieren zu dürfen, findet sie schwierig. Susanne Nienaber zeigt Verständnis, legt ihr aber die Vorteile dar. "Wenn Sie es schaffen, ihrer Mutter ein gutes Gefühl zu geben, dann wird es auch besser für Sie. Sie haben es umso schwerer, je schlechter sich ihre Mutter fühlt."
Innerhalb von einem Jahr war alles weg
Zwei Stunden lang sitzen die Kursteilnehmenden zusammen. Sie diskutieren, lauschen, fragen, bestätigen, ergänzen. Manchmal wird gelacht, manchmal still zugehört. "Meine Mutter war eine interessierte Frau und dann war innerhalb von einem Jahr alles weg. Es ist nichts mehr von dem da, was meine Mutter ausgemacht hat", sagt Frau R. Sie sei hier, weil sie diese Veränderungen besser verstehen will. "Mit dem, was ich hier erfahre, kann ich sagen, dass ich im Umgang mit meiner Mutter bisher viel falsch gemacht habe. Aber ich habe auch viele Anregungen für neue Herangehensweisen bekommen, die ich gerne ausprobieren werde."
Schulung für pflegende Angehörige in Stuttgart:
Wann: Ab dem 24.09. bis zum 26.11.2025, immer mittwochs von 19 bis 21 Uhr Wo: Susanne Nienaber Coaching, Schönbuchstr. 5, 70565 Stuttgart-Rohr Anmeldung: 0711- 90 74 58 69, mail@nienaber-coaching.de
Schulung für pflegende Angehörige in Echterdingen:
Wann: Ab dem 02.10. bis zum 04.12. 2025, immer donnerstags von 14 Uhr 30 bis 16 Uhr 30 Wo: Zehntscheuer, Maiergasse 8, 70771 Echterdingen Anmeldung: Pflegestützpunkt Leinfelden-Echterdingen | Nadja Hefle n.hefele@le-mail.de | Telefon 0711-1600-229 oder bei Sabine Schmitz | s.schmitz@le-mail.de | Telefon 0711 – 1 60 02 51
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