Pressemitteilungen 2023

Barmer-Arzneimittelreport 2023 – Schmerzmitteltherapie oft unnötig und riskant

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Kiel, 3. Dezember 2023 – Patientinnen und Patienten in Schleswig-Holstein bekommen häufig für sie ungeeignete Schmerzmittel verordnet. Das geht aus dem Arzneimittelreport 2023 der Barmer hervor. Er untersucht die medikamentöse Schmerztherapie von ambulant behandelten Barmer-Versicherten ab 18 Jahren ohne Tumordiagnose. Demnach hat in Schleswig-Holstein etwa jeder dritte Erwachsene (31,1 Prozent) dieser Personengruppe im Jahr 2021 mindestens ein Schmerzmedikament ambulant verordnet bekommen. Hochgerechnet entspricht das 689.000 Menschen im Land. Bedenklich dabei ist, dass beispielsweise rund 16.700 Versicherten trotz Herzinsuffizienz nicht-steroidale Antirheumatika (NSAR) wie Ibuprofen oder Diclofenac verschrieben wurden. Dabei raten medizinische Leitlinien davon ab, da auch ein nur kurzer Einsatz von Schmerzmedikamenten die Leistung des Herzens deutlich verschlechtern kann. Durch eine inadäquate Schmerzmitteltherapie könnte es sowohl zu vermehrten Krankenhausaufenthalten als auch zur Steigerung des Sterberisikos kommen. „Gerade die Kombination vermeintlich harmloser Schmerzmittel kann fatale Folgen haben. Die meist von mehreren Ärztinnen und Ärzten verordnete Therapie ist ohne digitale Unterstützung kaum mehr überschaubar“, sagt Dr. Bernd Hillebrandt, Landesgeschäftsführer der Barmer in Schleswig-Holstein. Er fordert den konsequenten und verbindlichen Einsatz digitaler Helfer in der Arzneimittel-Versorgung, um den Überblick über die Gesamtmedikation und alle Neben- und Wechselwirkungen zu behalten.

Riskante Medikamenten-Kombinationen gerade bei Älteren

Der Arzneimittelreport zeigt auch, dass Frauen in Schleswig-Holstein über alle Altersgruppen hinweg rund 20 Prozent häufiger als Männer Schmerzmittel-Verordnungen erhalten. Darüber hinaus ist die Verordnungshäufigkeit von Schmerzmitteln deutlich altersabhängig. Bei den Versicherten von 18 bis 64 Jahren hat etwa jeder Vierte, bei den Versicherten ab 80 Jahren sogar knapp jeder Zweite eine entsprechende Verordnung bekommen. Insbesondere bei den hochbetagten Menschen kann dies schnell zu Problemen führen. So sollten Betroffene mit eingeschränkter Nierenfunktion NSAR nicht einnehmen, weil sie zu plötzlichem Nierenversagen führen können. Aus dem Arzneimittelreport geht allerdings hervor, dass der Anteil an Patientinnen und Patienten mit Niereninsuffizienz, die nicht-opioide Schmerzmittel einnehmen, in der Altersgruppe der 80-Jährigen dreißigmal höher ist als bei den unter 65-Jährigen. Dies ist umso bedenklicher, da der Report das tatsächliche Ausmaß der Schmerzmitteleinnahme nicht komplett abbilden kann. Denn Schmerzmittel wie Ibuprofen, Diclofenac und Co. sind auch rezeptfrei erhältlich. In diesen Fällen fehlt dem Arzt oder der Ärztin in aller Regel die Kenntnis der Medikamenteneinnahme, da häufig Patientinnen und Patienten ihren Ärztinnen und Ärzten nicht berichten, dass sie rezeptfreie Präparate einnehmen. „Risiken der Selbstmedikation dürfen gerade bei Schmerzmitteln nicht unterschätzt werden. Sichere Selbstmedikation ist daher ein wichtiges Thema, bei dem die Barmer im Rahmen ihrer elektronischen Patientenakte eCare ihre Versicherten patientenspezifisch unterstützt“, sagt Hillebrandt. Prof. Dr. Hartmut Göbel, Chefarzt der Schmerzklinik Kiel, ergänzt: „Chronischer Schmerz ist nur zu ca. 60 Prozent opioidsensibel. Eine 50 prozentige Schmerzreduktion lässt sich damit nur bei der Hälfte der Patienten erreichen. Daher ist eine individuell angepasste Behandlung erforderlich.“

Therapie mit starken Schmerzmitteln in drei von zehn Fällen fehlerhaft

Wie aus dem Arzneimittelreport der Barmer weiter hervorgeht, gibt es auch bei der Opioid-Therapie tausender Patienten vermeidbare Fehler beim Einsatz von Medikamenten. „Demnach bekamen im Jahr 2021 hochgerechnet rund 105.000 Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holsteiner ohne Tumorerkrankung ein Opioid verschrieben. Dies sind sehr starke Schmerzmittel wie zum Beispiel Morphin. Doch drei von zehn Betroffenen erhielten parallel dazu kein Abführmittel, wie es medizinische Leitlinien vorsehen. Dadurch verfünffacht sich das Risiko für einen Darmverschluss. Fünf von 10.000 Patienten mit einer Opioid-Therapie müssen jedes Jahr wegen dieser Komplikation ins Krankenhaus. Dies wäre vermeidbar, wenn Abführmittel bereits vorsorglich verordnet und eingenommen würden“, sagt Hillebrandt. Beim Einsatz von sehr starken Schmerzmitteln gebe es weitere Risiken. So sollten Opioide nicht zusammen mit Beruhigungsmitteln, sogenannten Tranquilizern, angewendet werden, weil die Gefahr schwerer Nebenwirkungen bis hin zu vermehrten Todesfällen drohe. Dennoch habe rund jeder zehnte Versicherte mit einer Opioidverordnung entgegen der Leitlinienempfehlungen zugleich ein Beruhigungsmittel erhalten. Hier würden Patientinnen und Patienten vermeidbar gefährdet. „Die Kenntnis von Leitlinien zur Diagnose und Behandlung von Schmerzerkrankungen insbesondere im Alter ist Voraussetzung für eine wirksame und sichere Schmerztherapie. Erforderlich sind dazu schmerztherapeutische Weiterbildung und regelmäßige Verlaufs- und Erfolgskontrollen auf jeder Ebene“ schlussfolgert Prof. Göbel aus den Daten.

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Zusätzliche Informationen und interaktive Grafiken zu ausgewählten Ergebnissen des Arzneimittelreports 2023 finden Interessierte unter:
http://www.bifg.de/publikationen/reporte/arzneimittelreport-2023

Download BARMER-Arzneimittelreport 2023 und Präsentation der Ergebnisse für Schleswig-Holstein

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