Pressemitteilungen 2022

Barmer-Arzneimittelreport 2022 – Digitalisierung verhindert vermeidbare Risiken in der Arzneimitteltherapie

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Kiel, 3. November 2022 – Die Arzneimitteltherapie ist in Deutschland so komplex wie niemals zuvor. Ohne digitale Hilfe kann sie nicht ausreichend sicher sein. Das belegt der aktuelle Arzneimittelreport der Barmer. Er analysiert die Arzneimitteltherapie von Versicherten ab dem Alter von 40 Jahren für den Zeitraum von zehn Jahren. Demnach werden in Schleswig-Holstein je Versicherten im Schnitt 36 Diagnosen innerhalb einer Lebensdekade dokumentiert. Patientinnen und Patienten bekommen hierzulande etwa 19 Wirkstoffe verordnet, bei Menschen ab 80 Jahren sind es sogar eineinhalbmal so viele. In dieser Zeit besucht eine Patientin oder ein Patient im Schnitt rund 20 Arztpraxen. „Für Ärztinnen und Ärzte ist es kaum möglich, angesichts der Komplexität der Arzneimitteltherapie den Überblick zu behalten und Medikationsrisiken einzuschätzen. Um alles zu dokumentieren, ist eine digitale Unterstützung unabdingbar“, so Dr. Bernd Hillebrandt, Landesgeschäftsführer der Barmer in Schleswig-Holstein. Eine aussagekräftige und aktuelle Dokumentation sei für Millionen Patientinnen und Patienten überlebenswichtig. 

Barmer legt Konzept für erfolgreiche Digitalisierung vor

Wie Digitalisierung die Arzneimitteltherapie effizienter und sicherer macht, beschreibt das im Arzneimittelreport dargestellte Konzept, das auf drei Innovationsfondsprojekten basiert, welche die Barmer als Konsortialführerin initiiert hat. AdAM unterstützt digital das Medikationsmanagement von Patienten mit Polypharmazie durch Hausärzte, TOP widmet sich der Verbesserung der Arzneimitteltherapie bei Patienten im Krankenhaus und bei sektorenübergreifender Behandlung und eRIKA gewährleistet kontinuierlich die Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) mit Hilfe des elektronischen Rezepts. „Die Arzneimittelreporte der Barmer haben mit ihren Analysen zu ungenügend kontrollierten Risiken der Arzneimitteltherapie wichtige Impulse für die Entwicklung der Digitalisierungsstrategie gegeben“, sagt Dr. Hillebrandt. 

Projekt AdAM könnte bis zu 70.000 Todesfälle im Jahr verhindern

Wie die Digitalisierung die Patientensicherheit erhöhe, zeige sich etwa bei dem Innovationsfondsprojekt AdAM, kurz für „Anwendung für ein digital unterstütztes Arzneimitteltherapie-Management“. Die Barmer habe diese neue Versorgungsform zusammen mit der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe von Juli 2017 bis Juni 2021 erprobt. Rund 940 Hausärzte hätten dabei mehr als 11.000 Patienten mit Polypharmazie betreut. AdAM habe mit Einverständnis der Patienten erstmals Hausarztpraxen digital mit vollständigen Informationen zur Vorgeschichte versorgt, welche aus Routinedaten der Krankenkasse stammen. So sei der Arzt vollständig über Vorerkrankungen und Arzneimittel informiert worden. Zusätzlich habe er Hinweise auf vermeidbare Risiken der Therapie erhalten, wie zum Beispiel gefährliche Wechselwirkungen. Die unabhängige Evaluation des Projektes zeige, dass AdAM die Sterblichkeit der in das Projekt eingeschlossenen Patienten im Vergleich zur Routineversorgung relativ um 10 bis 20 Prozent senkt. „Wir zeigen mit AdAM erstmals, dass die Nutzung von Routinedaten der Krankenkasse zur Behandlungsunterstützung und die elektronisch unterstützte Prüfung auf vermeidbare Risiken Ärzten eine bessere Behandlung ihrer Patienten ermöglichen. Bei flächendeckender Anwendung durch die niedergelassenen Ärzte kann AdAM jährlich 65.000 bis 70.000 Todesfälle bundesweit vermeiden“, sagt Hillebrandt. 

TOP schützt vor riskanter Arzneitherapie bei Krankenhausaufnahme

Informationsdefizite gefährden Patienten auch bei der Krankenhausaufnahme. Insbesondere Patienten, die als Notfall aufgenommen werden, seien hohen Risiken ausgesetzt. „Ohne vollständige Kenntnis der aktuellen Medikation wird die Arzneimitteltherapie zu einem unkalkulierbaren Risiko. Es ist daher unverständlich, dass bisher nicht gewährleistet ist, dass notwendige Informationen sicher zur Verfügung stehen“, so Hillebrandt. TOP beseitige mit Einverständnis der Patienten Informationsbrüche, Risiken und Schäden bei Polypharmaziepatientinnen und -patienten von der Aufnahme in die Klinik bis zur Entlassung und Überleitung zum ambulanten Bereich. Das Besondere ist die enge interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen arztunterstützenden Krankenhausapothekerinnen und -apothekern sowie den behandelnden Ärzten. Sie bekommen die von der Barmer gespeicherten Abrechnungsdaten zur Verfügung gestellt. So erhalten sie wichtige Informationen zur Gesundheitshistorie der Patienten. „Krankenkassendaten sind so offensichtlich nutzenstiftend und zudem zeitsparend für das Krankenhaus, dass TOP ohne Zeitverzug in die Routineversorgung überführt werden sollte“, fasst Barmer-Landeschef Hillebrandt die Erfahrungen zusammen. 

Immer aktueller Medikationsplan für alle Patienten durch eRIKA 

Mit dem Anfang Oktober gestarteten Projekt eRIKA ergänzt die Barmer die beiden Projekte AdAM und TOP. Das ermögliche einen kontinuierlichen, fehlertoleranten idealtypischen Prozess der Arzneimitteltherapie, der durchgängig die Arzneimitteltherapiesicherheit fördere. eRIKA nutze das elektronische Rezept und die bei der Abgabe von Arzneimitteln in der Apotheke entstehenden Daten für eine zentrale elektronische Dokumentation der Arzneimitteltherapie. Hier gleiche das Projekt eRIKA den Projekten AdAM und TOP. „Jeder Patient, dem ein Arzneimittel verordnet wird, hat immer einen aktuellen und vollständigen Medikationsplan, und das ohne Zusatzaufwand für Ärzte, Apotheker oder Patienten“, so Hillebrandt.

Sicherheits- und Effizienzgewinn durch Digitalisierung

Auch die inhaltliche Komplexität der Arzneimitteltherapie ist laut Report nur digital zu beherrschen. Barmer-Versicherte haben im Jahr 2020 knapp 1.900 verschiedene Wirkstoffe verordnet bekommen. Sie wurden mit fast 460.000 verschiedenen Kombinationen aus zwei Arzneimitteln behandelt. „Kein Arzt kann ohne elektronische Unterstützung die Sicherheit all dieser Kombinationen beurteilen,“ so Hillebrandt. Für den Arzneimittelreport sei auch der zeitliche Aufwand für die Dokumentation der Verordnungen auf dem Medikationsplan ermittelt worden. „Manuell zu dokumentieren, ist für die Ärzte praktisch unmöglich. Notwendig ist ein automatischer digitaler Vorgang, der alle diese Informationen speichert, damit sie Arztpraxen, Krankenhäusern und Apotheken sektorenübergreifend zur Verfügung stehen“, so Hillebrandt. Andernfalls erfordere eine umfassende manuelle Dokumentation 3,7 Millionen Stunden zusätzlicher ärztlicher Arbeit jedes Jahr. Dies entspreche mehr als 2.200 Vollzeitstellen. 

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