Mathias Arnold ist seit 1992 Inhaber der Lilien-Apotheke in Halle und seitdem Mitglied des Landesapothekerverbandes Sachsen-Anhalt. 1998 wurde er in den Vorstand des LAV gewählt und seit 2005 vertritt er die wirtschaftlichen Interessen der Apotheker in Sachsen-Anhalt als Vorsitzender. Seit 2013 hat er zusätzlich das Amt des Vizepräsidenten der ABDA inne. Die Barmer traf den 58-jährigen Hallenser zum Interview und sprach mit ihm über Stammapotheken, brown bags und die elektronische Patientenakte.
Welchen Stellenwert nimmt das Thema Polypharmazie bei Apothekern ein?
Polypharmazie beziehungsweise Multimedikation ist ein ganz wichtiges Thema, das jeden Apotheker täglich begleitet. Aus medizinischer Sicht ist es ein hochkomplexer Bereich, bei dem man Wechselwirkungen verschiedener Medikamente verstehen muss. Die Beratung der Patienten nimmt viel Raum in der täglichen Arbeit der Pharmazeuten ein. Bei den aktuellen Lieferengpässen einiger Arzneimittel stehen wir dabei durchaus vor Herausforderungen und sind in ständigem Kontakt mit Ärzten.
Laut Barmer-Arzneimittelreport löst ein durchschnittlicher Versicherter seine Rezepte innerhalb von zehn Jahren in sechs verschiedenen Apotheken ein. Das entspricht nicht unbedingt dem Konzept der Stammapotheke. Was hat das für Auswirkungen auf die Beratung beim Thema Polypharmazie?
Erst einmal finde ich die Anzahl der Apotheken, in denen Rezepte eingelöst werden, für den Zeitraum von zehn Jahren nicht unbedingt groß. Man zieht um, wechselt den Arzt, fährt in den Urlaub, geht zum Facharzt – und oft nutzt man die nächstgelegene Apotheke. Trotzdem glaube ich, dass jeder und jede auch eine Hauptapotheke hat. Das Problem liegt also vielleicht weniger in der Anzahl der Apotheken als vielmehr in der Unvollständigkeit des jeweiligen Medikationsplans.
Warum werden Medikationspläne aus Ihrer Sicht nicht immer gewissenhaft geführt und was würde Abhilfe schaffen?
Medikationspläne sind in der Praxis selten vollständig. Dadurch, dass Patienten oft in Behandlung verschiedener Fachärzte sind, gehen Informationen verloren. Dazu kommt, dass nicht alle Patienten ihre Erkrankungen managen wollen oder können. Eine Methode zur strukturierten Erfassung der gesamten Medikation eines Patienten ist das sogenannte Brown-Bag-Verfahren. Wir bitten den Patienten also alles, wirklich alles, was er an Arzneimitteln einnimmt, mitzubringen, um uns einen Überblick zu verschaffen – von Medikamenten über Salben bis hin zu Nahrungsergänzungsmitteln. Das ist durchaus aufwendig, lohnt sich aber. Die beste Lösung wäre jedoch die flächendeckende Nutzung der elektronischen Patientenakte.
Die Digitalisierung wird sicher in den kommenden Jahren und Jahrzehnten auch die Gesundheitsbranche verändern. Was charakterisiert den typischen Patienten, der eine Apotheke im Jahr 2042 besucht?
Ich würde sagen, die Patienten werden zukünftig noch anspruchsvoller und kritischer. Gleichzeitig wird die Therapie durch den wachsenden medizinischen Fortschritt noch komplexer werden, während die demografische Entwicklung ihr Übriges leistet. Kurz gesagt: Die Patienten werden immer älter, sind dabei aber chronisch krank. Außerdem wird uns die Zuwanderung immer stärker umtreiben. Wir müssen lernen, in einem sensiblen Bereich wie der Arzneimittelausgabe Sprachbarrieren zu überwinden und angemessen auf kulturelle Unterschiede zu reagieren.
Welchen Stellenwert wird das Thema Nachhaltigkeit in Zukunft in der Apotheken-Branche einnehmen?
Das Thema Nachhaltigkeit ist omnipräsent. Allerdings sind Apotheken in ihrem Handlungsspielraum begrenzt. Fortschritte haben wir in den letzten Jahren beim Thema therapiekonforme Packungsgrößen gemacht. Die Herstellung von Medikamenten liegt allerdings in den Händen der Pharmabranche. Wir können durch gute Beratung lediglich dafür sorgen, dass der Patient wenige bis gar keine Medikamente entsorgen muss. Es gilt: Nichts darf in die Toilette geworfen werden, da es das Abwasser verunreinigt. Abgelaufene Medikamente sollten immer im Hausmüll entsorgt werden. Wenn man die Wahl zwischen einer Creme und einer Tablette hat, empfehle ich öfter letzteres. Erstens nimmt die Haut nur wenig Wirkstoff auf, zweitens spülen wir Reste der Wirkstoffe durch das Duschen oder Wäschewaschen ins Abwasser.