Kevin Koschnick kennt sich gleichermaßen mit Notfällen und Fluggeräten aus. Er kann Patienten medizinisch versorgen und Piloten bei Funk und Navigation unterstützen. Er ist sozusagen Notfallsanitäter und Co-Pilot in einem, bringt zehnjährige Erfahrung im bodengebundenen Rettungsdienst mit und koordiniert aktuell den Bereich Rettungsdienst für die Region Ost bei der gemeinnützigen ADAC Luftrettung. Die Barmer sprach mit dem 35-Jährigen über Rettungshubschrauber, Herzinfarkte und das Krankenhausgutachten Sachsen-Anhalt.
Herr Koschnick, wir beginnen mit Grundlagen: Wann kommt ein Rettungshubschrauber zum Einsatz?
„Für den Rettungshubschrauber gibt es grundsätzlich zwei verschiedene Einsatzszenarien. Die sogenannten Primäreinsätze umfassen Notfälle. Wir fliegen den Notarzt also auf dem schnellsten Weg zum Einsatzort. Hier wird der Patient notfallmedizinisch versorgt und, wenn erforderlich, in ein geeignetes Krankenhaus geflogen. Bei Sekundäreinsätzen handelt es sich um Verlegungen, also Flüge von einem Krankenhaus zum anderen. Dabei können Patienten transportiert werden, aber auch wichtige Medikamente, Blutkonserven oder Organe.“
Wer entscheidet denn unter welcher Maßgabe, wann der bodengebundene Rettungsdienst alarmiert wird und wann die Luftrettung zum Einsatz kommt?
„Die Entscheidung trifft ein Disponent in der Leitstelle. Bei ihm geht der Notruf ein, auf dessen Grundlage er eine Verdachtsdiagnose stellt. Wird kein Notarzt benötigt, wird die Luftrettung nicht alarmiert. Wird ein Notarzt gebraucht, kommen wir zum Einsatz, wenn mit dem Rettungshubschrauber ein medizinisch relevanter Zeitvorteil entstehen kann, wenn also ein Notarzt auf dem Landweg nicht schnell genug beim Patienten sein kann. Es kann auch sein, dass bodengebundener Rettungsdienst und Luftrettung parallel alarmiert werden, weil der Rettungswagen die Erstversorgung übernimmt, aber für den Transport des Patienten in ein weiter entferntes Klinikum zu lange braucht. Einsatzgrund Nummer eins sind in der Regel Unfälle, gefolgt von Notfällen des Herz-Kreislauf-Systems wie Herzinfarkten und Herzrhythmusstörungen.“
Inwieweit arbeiten Sie auch über Ländergrenzen hinweg?
„Dass wir auch über Bundeslandgrenzen hinweg agieren, gehört zu unserem Alltag. Die ADAC Luftrettung hat beispielsweise in Sachsen-Anhalt keinen Rettungshubschrauber stationiert. Trotzdem haben unsere Crews im vergangenen Jahr über 1.100 Einsätze in Sachsen-Anhalt absolviert. Die meisten Alarmierungen erreichten dabei unseren Standort in Leipzig, gefolgt von Wolfenbüttel und Jena.“
Was denken Sie, wie sich der Bereich der Luftrettung in Zukunft entwickelt?
„Das bleibt letztlich ein Blick in die Glaskugel. Fakt ist, dass sich die Luftrettung in den vergangenen Jahren als unerlässlicher Bestandteil der Rettungskette etabliert hat. Verfolgt man die Diskussionen rund um die Krankenhausreform, kann man davon ausgehen, dass die Luftrettung weiterhin an Bedeutung gewinnen wird. Die Zentralisierung führt dazu, dass Wege zum passenden Krankenhaus länger werden. Der schnellere und schonendere Transport wird dann vermehrt durch Hubschrauber erfolgen.“
Wo sehen Sie Innovationspotential, was die Luftrettung betrifft?
„Die Fluggeräte entwickeln sich natürlich immer weiter, es gibt immer wieder Verbesserungen. Das wird auch zukünftig so bleiben, obwohl wir aktuell mit hochmodernen Maschinen fliegen, die höchste Patienten- und Flugsicherheit bieten. Außerdem gibt es spannende Projekte mit bemannten Multikoptern. Das sind neue, senkrechtstartende Luftfahrzeuge mit mehreren elektrisch angetriebenen Rotoren. Mit ihnen können Notärzte von A nach B transportiert werden. Vor allem in ländlichen Regionen, in denen Notärzte nicht flächendeckend vorgehalten werden können, könnten Multikopter eine sinnvolle und nachhaltige Ergänzung im Rettungsdienst darstellen. Wir erproben das aktuell – und die technischen Fortschritte im Multikopter-Segment sind hochspannend.“
Im Krankenhausgutachten Sachsen-Anhalt wird empfohlen, zu prüfen, ob ein weiterer Rettungshubschrauber für Sachsen-Anhalt angeschafft werden sollte. Ihre Meinung dazu?
„Das liegt letztlich in der Verantwortung des zuständigen Innenministeriums. Ich denke, diesen Sachverhalt regelmäßig zu prüfen, ist eine gute Sache. Man wird erheben müssen, wie oft und von wo ein Rettungshubschrauber aus anderen Bundesländern angefordert werden musste und wie häufig keiner verfügbar war beziehungsweise wie oft es zu zeitlichen Verzögerungen kam.“
Sachsen-Anhalt verfügt über keinen einzigen nachtflugtauglichen Rettungshubschrauber. Inwieweit kann das ein Nachteil für die medizinische Versorgung der Bevölkerung sein?
„Natürlich halten sich Notfälle nicht an Tageszeiten. Nachtflugtauglichkeit bedeutet für die Crew aber auch einen hohen Schulungsaufwand und ein erhöhtes Gefahrenpotential. Zur Sommerzeit ist das Thema nicht akut, weil wir problemlos bis 22 Uhr fliegen können. In den Wintermonaten arbeiten wir mit sogenannten Randzeitenerweiterungen. Wir schauen also, dass wir auch nach Sonnenuntergang noch in die Abendstunden hinein fliegen. Insofern ist es Aufgabe der Entscheidungsträger zu analysieren, wie viele Luftrettungseinsätze es in der Dämmerung und Dunkelheit im jeweiligen Gebiet gibt und ob das die Anschaffung eines nachtflugtauglichen Hubschraubers rechtfertigt.“