Im zweiten Quartal 2024 startete das Projekt „Hitzekompetenz gefährdeter Gruppen im Land Sachsen-Anhalt“ unter Leitung von Professorin Dr. Stefanie March, Professorin für Sozialepidemiologie und Gesundheitsberichterstattung an der Hochschule Magdeburg-Stendal. Ziel ist es, die Widerstandsfähigkeit der Bevölkerung Sachsen-Anhalts gegenüber Hitzewellen zu stärken. Dies soll insbesondere durch die Förderung der hitzeassoziierten Gesundheitskompetenz gefährdeter Gruppen gelingen. Die Barmer sprach mit der Projektkoordinatorin Anja Deutschmann über Hitze-Hot-Spots in unserem Bundesland, die Rolle von Klimaanlagen und ob wir demnächst alle eine Siesta einlegen.
Frau Deutschmann, welche Auswirkungen haben Hitzewellen auf unsere Gesundheit?
Hitze kann direkte und indirekte Auswirkungen auf unsere Gesundheit haben. Sie kann Herz-Kreislauf-Erkrankungen negativ beeinträchtigen, zu Dehydration, Hitzschlägen und Krämpfen führen. Sie kann Frühgeburten oder Hautprobleme auslösen. Hitze kann aber auch indirekten Einfluss haben. Indem sie die Konzentrationsfähigkeit verschlechtert, erhöht sie das Risiko für Unfälle. Höhere Temperaturen können außerdem die Ausbreitung von Insekten fördern, die wiederum potenzielle Krankheitsüberträger sind. Wie Sie merken, sind es verschiedene Ebenen, auf denen die Auswirkungen für den Menschen spürbar sind.
Wo genau setzt Ihr Projekt „HiLSA“ dabei an?
Unser Ziel ist es, die Bevölkerung Sachsen-Anhalts besser auf Hitzewellen vorzubereiten, indem wir ihre Gesundheitskompetenz stärken. Wir werden zum einen eine systematische Bestandsaufnahme machen: uns rechtliche Regelungen zum Thema anschauen sowie Daten beschaffen und auswerten. Zum anderen verfolgen wir den Ansatz der partizipativen Forschung. Wir wollen mit Menschen ins Gespräch kommen, die zur gefährdeten Gruppe gehören, also ältere Menschen und chronisch kranke Menschen. Von ihnen wollen wir erfahren, wie stark ihre Hitzekompetenz ausgeprägt ist und wie sie womöglich verbessert werden kann.
Sie beschreiben Hitzekompetenz als einen Teil von Gesundheitskompetenz. Können Sie das genauer erklären?
Der Begriff Hitzekompetenz ist derzeit wissenschaftlich noch nicht definiert. Das soll im Laufe des Projekts geschehen. Wir verstehen Hitzekompetenz als einen Teilbereich der Gesundheitskompetenz. Der Begriff wiederum umfasst das Wissen, die Motivation und die Fähigkeit, relevante Gesundheitsinformationen zu finden, zu verstehen, zu beurteilen und sie im Alltag anzuwenden.
Sie sagten, Sie erheben auch Daten rund um das Thema Hitzebelastung. Ist Sachsen-Anhalt überall gleich stark betroffen oder gibt es regionale Unterschiede?
Sachsen-Anhalt gehört laut einer Analyse, die sich auf das Hitzejahr 2018 bezieht, zu den drei wärmsten Ländern der Bundesrepublik. Dennoch stellen sich Hitzeperioden aus räumlicher Sicht heterogen dar. Das hängt vor allem mit der Topographie zusammen. Gegebenheiten wie Gebirge, Täler, Flussläufe, Wälder und urbane Räume beeinflussen das Klima. Wir haben im Rahmen des Projekts HiLSA bereits Hot-Spot-Karten erstellt.
Und wo liegen die Hitze-Hot-Spots in unserem Bundesland?
Es ist keine Überraschung: Urbane Umgebungen, ohnehin oft als „Wärmeinseln“ bezeichnet, gehören zu den Hot-Spots. In unsere Karte flossen aber nicht nur Hitzedaten ein, sondern auch die Anzahl an älteren Menschen, denn sie sind in Bezug auf Hitze besonders gefährdet. So konzentrieren wir uns im Projekt also neben den kreisfreien Städten auch auf die Landkreise Anhalt-Bitterfeld, Mansfeld-Südharz, Wittenberg, den Burgenlandkreis und das Jerichower Land. Hierbei haben wir sowohl die stark von Hitze betroffenen Regionen als auch Kontrollregionen einbezogen.
Welche Akteurinnen und Akteure könnten Ihrer Meinung nach mehr zur Förderung der Gesundheitskompetenz der Bevölkerung beitragen als bisher?
Unser Projekt setzt in erster Linie auf Empowerment. Es geht also darum, was der oder die Einzelne tun kann, um sich an Hitzetagen gesundheitsbewusst zu verhalten. Wir wollen die Verantwortung da gar nicht auf eine bestimmte Branche schieben. Aber letztlich ist es natürlich so, dass bei der Vermittlung von Kompetenzen, gerade auch bei der Hitzekompetenz, mehrere Akteure gefragt sind. Ich sehe große Chancen bei der Vielzahl an Akteuren im Sozial- und Gesundheitswesen, aber auch bei der Politik auf kommunaler Ebene. Hier liegt der Einfluss auf die direkte Lebenswelt der Bevölkerung. Hier kann man die Menschen gut mit wichtigen Informationen erreichen.
Kommunen sind ein gutes Stichwort. Wenn es um das Verhalten an Hitzetagen geht, wie viel Einfluss hat da hitzeassoziierte Gesundheitskompetenz und wie viel Einfluss haben vielleicht eher städtebauliche Maßnahmen?
Ich denke, dass man das Thema ganzheitlich betrachten muss. Es kommt auf beides an: auf das, was der oder die Einzelne tun kann, aber auch auf die Rahmenbedingungen, die beispielsweise die Kommune in Bezug auf städtebauliche Maßnahmen schafft. Wenn man es genau nimmt, kommt eigentlich auch noch eine sozialpolitische Komponente hinzu. Alle Menschen brauchen nämlich die Möglichkeit, ihre Hitzekompetenz anzuwenden. Menschen mit geringem Einkommen leben beispielsweise vermehrt in versiegelten Wohngegenden. Hier müssten dann mitunter verstärkt städtebauliche Maßnahmen umgesetzt werden: beispielsweise Trinkwasserbrunnen errichtet oder Grünflächen angelegt werden.
Wenn wir in die Zukunft schauen, vielleicht zehn Jahre voraus, inwieweit wird sich unser Leben dann verändert haben in Bezug auf den Umgang mit Hitze? Werden wir dann beispielsweise auch in Sachsen-Anhalt regelmäßig eine Siesta einlegen? Was denken Sie?
Ich bin mir sicher, dass wir alle in zehn Jahren viel sorgsamer mit Hitze umgehen, als wir es heute tun. Prognosen zufolge wird sich die Anzahl an Hitzetagen bis zum Ende des Jahrhunderts verdreifachen. Dass wir jedoch eine Siesta machen, glaube ich nicht. Diese Art der Mittagspause hat vermutlich mehr kulturelle Aspekte als hitzeassoziierte Gründe. Aber ja, Hitze beeinträchtigt die Leistungsfähigkeit und Konzentration. Auch Arbeitgeber werden zukünftig stärker schauen müssen, wie sie ihre Mitarbeitenden gesund erhalten. Das gilt natürlich vor allem für Arbeitnehmer, die sich auch bei hohen Temperaturen berufsbedingt draußen aufhalten müssen.
Vielleicht werden zukünftig auch die meisten Gebäude über Klimaanlagen verfügen und Hitze spielt gar keine so große Rolle wie wir annehmen?
Das fände ich schrecklich. Ein Sommer ohne Kontakt zur Natur, weil Wohnung oder Büro künstlich kalt gestellt werden? Das ist sicher nicht die Lösung, vor allem wenn wir über einen ressourcenschonenden Umgang mit Energie diskutieren. Klimaschutz bedeutet schließlich auch Gesundheitsschutz.
Welche Tipps haben Sie abschließend für heiße Tage?
Letztlich sind es die Klassiker: Räume durch Lüften am Morgen kühl halten, ausreichend trinken und Schutz vor Sonneneinstrahlung ist wichtig. Dazu gehört: nicht in der direkten Sonne aufhalten, Sonnencreme auftragen, langärmlige Kleidung und eine Kopfbedeckung tragen. Was man vielleicht nicht so häufig liest oder hört: Achten Sie auf Ihre Mitmenschen. Fragen Sie die ältere Dame von nebenan, ob sie genug getrunken hat oder ob sie in der Lage ist zu lüften und seien sie behilflich, wenn nicht. Und für alle Menschen, die Medikamente nehmen, gilt: Lagern Sie die Medizin wie auf der Verpackung beschrieben und achten Sie auf Nebenwirkungen. Denn je nach Wirkstoff kann Hitze auch einen Einfluss auf die Wirkung von Medikamenten haben.
Der Begriff "HiLSA" ist die Abkürzung für „Hitzekompetenz gefährdeter Gruppen im Land Sachsen-Anhalt“. Das Projekt wird von der Hochschule Magdeburg-Stendal am Fachbereich Soziale Arbeit, Gesundheit und Medien gemeinsam mit der Hochschule Harz am Fachbereich Automatisierung und Informatik durchgeführt. Es wird mit 2,5 Millionen Euro durch den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung gefördert. Mehr Informationen dazu gibt es hier.