Ein junger Mann überwindet seine Einsamkeit und kümmert sich ehrenamtlich um einen Senioren.
STANDORTinfo Mecklenburg-Vorpommern

Demographie als große Herausforderung der Pflege

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Für den Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (bpa) ist das Thema Personalmangel von besonderer Dringlichkeit. Mit Dietmar Schmidt, Leiter der Landesgeschäftsstelle des bpa MV, haben wir darüber gesprochen, was es braucht, um Menschen für den Pflegeberuf zu begeistern, welche Voraussetzungen und Strukturen sich ändern müssten

Was braucht es aus Ihrer Sicht, dass sich mehr Menschen dafür entscheiden, in der Pflege tätig zu sein?

 

Dietmar Schmidt: Der Pflegeberuf ist in vielen Aspekten bereits ein sehr attraktiver Beruf. Er bietet exzellente Entwicklungs- und Fortbildungsmöglichkeiten. Ein Einstieg kann in jeder Lebensphase gelingen, da sowohl Hilfs- als auch Fachkräfte verantwortungsvolle Tätigkeiten übernehmen können. Zudem ist die Entlohnung im Branchenvergleich inzwischen sehr gut, sowohl für Fach- als auch für Hilfskräfte und Auszubildende. Da Pflegebedürftigkeit auch nachts und an Wochenenden besteht, gibt es gewisse Limitierungen in diesem Beruf bei einer für Arbeitnehmer:innen attraktiven Arbeitszeitgestaltung. Umso wichtiger ist die Verlässlichkeit der Dienstpläne. Hier wäre es essenziell, dass Arbeitgeber:innen eine Refinanzierung für ein betriebliches Ausfallmanagement erhalten – wie zum Beispiel durch die Implementierung von Springerpools.

Was muss sich ändern, um den Fachkräftemangel entgegenzuwirken? Wer ist aus Ihrer Sicht besonders in der Pflicht? 

Schmidt: Die 2020 eingeführte generalistische Pflegeausbildung ist kein Erfolgsmodell, sondern wird zunehmend zum Problem. Während zwischen 2010 und 2020 die Ausbildungszahlen in der Altenpflege um 62 Prozent stiegen, sind sie 2023 nach Einführung der generalistischen Ausbildung sogar bundesweit um 7 Prozent gesunken. Das ist ein Drama angesichts der steigenden Zahl pflegebedürftiger Menschen. Es fehlt trotzdem an Ausbildungskapazitäten. Wir benötigen daher dringend die bessere und vor allem gesicherte finanzielle Ausstattung der Pflegeschulen im Bereich der Investitionskosten ebenso wie ausreichend Studienplätze für Pflegepädagog:innen und eine Überprüfung der Anforderungen an die Lehrkräfte in der Pflegeausbildung. Organisatorische Vereinfachungen bei der Ausbildung, z.B. die Sicherstellung digitaler Weiterbildungsmöglichkeiten zur Praxisanleitung in den Pflegeeinrichtungen, würden zudem die Zahl der ausbildenden Unternehmen erhöhen. In Mecklenburg-Vorpommern empfinden wir die vom Wirtschaftsministerium initiierte Fachkräftestrategie als zu mutlos. Sie enthält bisher kaum eigenständige Maßnahmen des Landes, keine einheitliche Zeitschiene und auch keine Ergebnisstrategie. Wir brauchen konkrete Entlastungsvorschläge für unsere Mitgliedseinrichtungen.

Können Anbieter auch selbst etwas tun, um dem Personalmangel entgegen zu wirken? Was tun sie bereits?

Schmidt: Unsere Mitgliedsunternehmen wissen, dass sie selbst handeln müssen und tun dies auch. Für Pflegeeinrichtungen ist der demographische Wandel eine besonders große Herausforderung, weil dem Fachkräftemangel steigende Bedarfe an Leistungserbringung gegenüberstehen. 

Absolute Priorität hat daher die Ausbildung und umso wichtiger ist es, dass die Kapazitäten in den Pflegeschulen zur Verfügung stehen. Und wie bereits dargestellt ist es essenziell, dass die Anstrengungen unserer Unternehmen im Bereich der Ausbildung und aber auch im Bereich der Steigerung der Arbeitsattraktivität von den Kostenträgern auch refinanziert werden.

Stichwort ausländische Pflegekräfte – was kann dazu beitragen, dass angeworbene Pflegekräfte langfristig im Land bleiben? Wie bewerten sie generell das Anwerben ausländischer Pflegekräfte?

Schmidt: Wir benötigen Pflegekräfte aus dem Ausland, sowohl Fach- als auch Hilfskräfte. Auch bei der Anwerbung von Pflegekräften werden unsere Mitgliedseinrichtungen selbstständig aktiv. So haben wir bereits im Jahr 2020 in einem Leuchtturmprojekt eine ganze Ausbildungsklasse an vietnamesischen Auszubildenden geworben, die hier in Mecklenburg-Vorpommern zu Pflegefachfrauen und -männern ausgebildet wurden. Die meisten von ihnen arbeiten nun in ihren Ausbildungsbetrieben als Fachkräfte. Die Ausbildungsergebnisse waren dabei besser als in Vergleichsklassen, die Abbruchquoten waren gering. Wir setzen daher hier weiter an und werden auch in diesem Jahr ein weiteres Anwerbeprojekt durchführen. 

Schwierig wird es allerdings häufig bei der Anerkennung und in der Zusammenarbeit mit den Behörden. Ausländerbehörden müssen Ermöglichungsbehörden werden, wir brauchen keine Verhinderungsbehörden. Insofern begrüße ich es sehr, dass in Mecklenburg-Vorpommern zum April 2024 die zentrale Ausländerbehörde eingerichtet wird und nach dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz sogenannte „One Stop Shop“-Verfahren eingerichtet werden. Am Ende kann auch jeder Einzelne von uns etwas dafür tun, dass seine Angehörigen oder er selbst auch in Zukunft eine gute Versorgung erhalten: Wir brauchen eine echte Willkommenskultur für internationale Kräfte.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Pflege? 

Schmidt: Die in den 1990er eingeführte Pflegeversicherung ist in vielen Punkten ein Erfolgsmodell. Allein unsere Mitgliedseinrichtungen haben deutschlandweit aktuell über 31 Milliarden Euro in die pflegerische Infrastruktur investiert und übernehmen Verantwortung für 395.000 Arbeitsplätze und 29.000 Ausbildungsplätze. Ohne privates Kapital würde die pflegerische Versorgung kollabieren. Ich wünsche mir daher, dass dieses privatwirtschaftliche Engagement und diese gelebte unternehmerische Verantwortung anerkannt wird und alle Beteiligte dafür sorgen, dass die Bedingungen für weitere Investitionen privaten Kapitals attraktiv bleiben.

Gleichzeitig muss die Pflegeversicherung ihr zentrales Versprechen wieder erfüllen und Pflegebedürftigen die Mittel zur Verfügung stellen, die sie für eine angemessene Versorgung benötigen. Davon sind wir heute weit entfernt. Eine solche Anpassung und Dynamisierung bringt mehr als abgehobene Diskussionen über eine vollständige Neugestaltung der Pflegeversicherung, für die es derzeit weder politisch noch fiskalisch eine echte Perspektive gibt.

 

Dietmar Schmidt, bpa MV, bpa MV

Dietmar Schmidt leitet die Geschäftsstelle des bpa in Mecklenburg-Vorpommern. In der Interessenvertretung sind mehr als 600 Mitgliedseinrichtungen aus Mecklenburg-Vorpommern organisiert, bundesweit mehr als 13.000.