Am 28. Januar, gleich nachdem die erste Infektion eines Bundesbürgers mit dem Coronavirus bestätigt wurde, hat die Barmer als erste Institution überhaupt eine kostenlose medizinische Hotline gestartet, die für alle offen ist. Seitdem haben Tausende unter der Rufnummer 0800 84 84 111 ihre Fragen gestellt. Ein Gespräch mit der leitenden Medizinerin der Barmer, Dr. Ursula Marschall, über die Hotline und die aktuelle Lage.
Frau Dr. Marschall, die kostenlose Hotline wird gut angenommen. Haben Sie mit dieser Resonanz gerechnet?
Dr. Ursula Marschall: Ehrlich gesagt waren wir überwältigt. Allein in den ersten drei Tagen haben uns mehr als 1000 Anrufe erreicht. Die Fragen waren ganz unterschiedlich. Von "Wie kann ich eine Infektion mit Coronaviren von einer Grippe oder Erkältung unterscheiden" bis hin zu "Ich habe mir in China einen Tee bestellt. Darf ich den trinken?" Ebenso unterschiedlich waren die Anrufer. Denn uns haben auch viele Arztpraxen, Mitarbeiter von Krankenhäusern und Gesundheitsämtern kontaktiert.
Ist es nicht kritisch zu sehen, wenn Ärzte, Kliniken und sogar Gesundheitsämter die Hotline einer Krankenkasse anrufen, anstatt das Robert Koch-Institut zu kontaktieren?
Dr. Ursula Marschall: Nein, das sehe ich nicht so. Wir arbeiten mit dem Robert Koch-Institut nicht nur bei unseren Versorgungsforschungsprojekten sehr eng zusammen. Deshalb hatten wir schon früh Informationen zum Coronavirus vorliegen, die wir weitergeben konnten. Wer diese Informationen liefert, ist nicht entscheidend. Entscheidend ist, dass sie richtig sind und Antworten auf die Fragen aller Menschen liefern, die vom Coronavirus regelrecht überrascht wurden. Nur so können wir gemeinsam informieren und Unsicherheiten abmildern, bevor daraus eine Panik entsteht.
Inzwischen haben viele Institutionen mit Hotlines nachgezogen. Ist die Zahl der Anrufer bei der Barmer dadurch zurückgegangen?
Dr. Ursula Marschall: Nein, im Gegenteil. Weil wir die erste Krankenkasse mit einer für alle Bundesbürger geöffneten Rund-um-die-Uhr-Hotline waren, ist das Anrufaufkommen spürbar gestiegen. Mittlerweile haben wir deutlich mehr als 7.000 Anrufe erhalten. Angesichts steigender Infektionsraten, der Schließung von Schulen, Kitas und vieler anderer Einrichtungen sowie weiteren Maßnahmen, um die Ausbreitung von COVID-19 zu verlangsamen, wird es sicherlich weiteren Informationsbedarf geben.
Wie bewerten Sie die momentane Situation?
Dr. Ursula Marschall: Das Coronavirus ist eine gewaltige Herausforderung. Deshalb müssen wir wachsam sein, aber wir dürfen nicht in Panik verfallen. Die Weltgesundheitsorganisation bewertet die Ausbreitung des Coronavirus als Pandemie, also als weltweite Epidemie. Auch wenn die meisten Fälle mit milden Symptomen einhergehen, so ist dennoch intensive Beobachtung angezeigt. Aber es gibt weiterhin keinen Grund zur Panik.
Wird denn Panik gemacht?
Dr. Ursula Marschall: Ich glaube nicht, dass bewusst Panik verbreitet wird, aber es gibt zahlreiche Menschen, die verunsichert sind. Die Hamsterkäufe, der Run auf Desinfektionsmittel und Schutzmasken sprechen für sich. Auf der Straße begegnen mir immer wieder Menschen mit OP-Schutzmasken, die definitiv nicht vor dem Coronavirus schützen, aber ein Gefühl vermeintlicher Sicherheit vermitteln. Ich glaube, dass regelmäßig aktualisierte, wissenschaftliche Informationen in einer laienverständlichen Sprache das beste Mittel sind, um Gerüchten und einer Panik vorzubeugen.
Öffentliche Einrichtungen und Grenzen werden geschlossen, Veranstaltungen abgesagt und planbare Operationen verschoben. Entscheidungen wie diese seitens der Politik sind das Eine. Aber wie stark hängt die Verbreitung des Coronavirus vom Verhalten eines jeden einzelnen ab?
Dr. Ursula Marschall: Damit unser Gesundheitssystem, das zu den besten der Welt gehört, dem Ansturm von Kranken auch weiterhin gewachsen bleibt, müssen wir dafür sorgen, dass nicht alle Menschen gleichzeitig erkranken und auf medizinische Hilfe angewiesen sind. Dafür müssen jetzt ungewöhnliche Wege eingeschlagen werden, die jeden Einzelnen betreffen. Wir werden lieb gewonnene Freizeitaktivitäten einschränken und uns täglich an die Hygieneregeln halten müssen. Nur, wenn wir solidarisch sind und ein Gemeinschaftsgefühl entwickeln, werden wir diese neue Situation bewältigen. Und dabei spielt jeder Einzelne eine wichtige Rolle.
Wann rechnen Sie mit einem wirksamen Impfstoff gegen das Coronavirus?
Dr. Ursula Marschall: Die Entwicklung eines Impfstoffes braucht seine Zeit. Selbst wenn im Labor ein Gegenmittel gefunden wird, so müssen anschließend Unbedenklichkeit und Wirksamkeit bei einer Anwendung bei Menschen nachgewiesen werden. Solche Studien müssen auch eine gewisse Zeit laufen, ehe die Ergebnisse belastbar sind. Ich rechne nicht vor dem nächsten Jahr mit einem Impfstoff. Wenn es schnell geht, vielleicht Ende dieses Jahres.
Werden wir uns an ein Leben mit dem Coronavirus gewöhnen müssen?
Dr. Ursula Marschall: Das ist ein Blick in die Glaskugel. Bei einer weltweiten Verbreitung und Übertragung von Mensch zu Mensch ist das nicht ganz von der Hand zu weisen. Es erinnert ein wenig an die Grippe, die uns ja auch regelmäßig heimsucht. Ich hoffe, dass wir uns bald genau so effektiv durch eine Schutzimpfung gegen Coronaviren wappnen können, wie wir es schon jetzt gegen die Influenzaviren können. Nur wird diese Möglichkeit der Grippeschutzimpfung auch heute noch viel zu wenig genutzt. Aber vielleicht ändert sich das durch das Coronavirus.
Die Hotline der Barmer ist auch weiterhin unter 0800 84 84 111 rund um die Uhr erreichbar. Unter www.barmer.de/p014732 informieren wir umfassend und aktuell über das Coronavirus.