Studien und Reporte

Barmer Heil- und Hilfsmittelreport 2016

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In Deutschland sind die Ausgaben für Heilmittel massiv gestiegen. Allein bei der Barmer GEK haben sie sich binnen zwei Jahren um 15 Prozent auf 822 Millionen Euro im vergangenen Jahr erhöht. Zudem gibt es deutliche regionale Ausgabenunterschiede bis zu über 200 Prozent in der Physiotherapie, Logopädie, Ergotherapie und Podologie. Dies geht aus dem aktuellen Heil- und Hilfsmittelreport 2016 der Barmer GEK hervor.

Während die Kosten für alle Heilmittel im Jahr 2015 je Barmer GEK Versicherten in Bremen 65,86 Euro betrugen, lagen sie in Berlin mit 121,85 Euro 85 Prozent darüber. In der Podologie waren die Pro-Kopf-Ausgaben in Sachsen um fast 210 Prozent höher als in Bremen. Bei der Ergotherapie lagen die Kosten je Versicherten in Hamburg fast 120 Prozent über denen in Bremen.

"Die massiven regionalen Ausgabendifferenzen bei Heilmitteln sind rein medizinisch und durch Vergütungsunterschiede nicht erklärbar. Offenbar gibt es sehr unterschiedliche Herangehensweisen bei deren Verordnung. Viele wissenschaftliche Leitlinien thematisieren den gezielten Gebrauch von Heilmitteln nicht. Es wäre ein erster Schritt, die Leitlinien zu konkretisieren", fordert Dr. Christoph Straub, Vorstandschef der Barmer GEK.

In Bremen sind die Pro-Kopf-Ausgaben immer am geringsten

Wie aus dem Krankenkassenreport hervorgeht, waren die Heilmittel-Ausgaben je Barmer GEK Versicherten in Bremen im Jahr 2015 immer am niedrigsten und in Berlin mit am höchsten. Während an der Weser in der Physiotherapie 46,45 Euro anfielen, kam die Bundeshauptstadt auf 83,77 Euro und damit auf 80 Prozent mehr. Um 73 Prozent unterschieden sich die beiden Stadtstaaten in der Logopädie, und zwar mit 5,76 Euro versus 10,01 Euro. In der Ergotherapie reichten die Kosten je Versicherten von 7,06 Euro in Bremen bis zu 15,45 Euro in Hamburg, gefolgt von Berlin mit 15,33 Euro. Auf die Podologie entfielen in der Weserstadt 0,78 Euro und in Sachsen mit 2,40 Euro gut dreimal mehr.

"Ärzte müssen das verordnen, was medizinisch erforderlich und wirtschaftlich ist. Dass in allen Heilmittelbereichen die Ausgaben pro Patienten in einigen Regionen doppelt so hoch sind wie in anderen, zeigt aber deutlich, dass die Verordnung regional unterschiedlichen Kriterien folgt. Das ist aber weder im Sinne einer evidenzbasierten Medizin, noch für die Versicherten akzeptabel. Man kann auch sagen, dass die Bremer quasi den großzügigen Heilmittel-Einsatz der Berliner finanzieren", sagt der Autor des Reports, Professor Daniel Grandt, von der Universität Saarbrücken. Hier seien weitere Analysen erforderlich, in denen das Verordnungsverhalten der Ärzte zu untersuchen wäre. "Es wäre zu begrüßen, wenn die kassenärztlichen Vereinigungen sich darüber austauschten, wodurch der regional so unterschiedliche Einsatz von Heilmitteln zustande kommt und wie eine medizinisch sinnvolle und wirtschaftliche Verordnung bundesweit erreicht werden könnte. In Bremen gelingt das offensichtlich besonders gut", so Grandt.

Unter dem Strich sind die Ausgaben für Heilmittel bei der Barmer GEK zwischen den Jahren 2013 und 2015 um mehr als 15 Prozent auf 822 Millionen Euro gestiegen. Das entspricht einem Zuwachs um 111 Millionen Euro. Das sei im Übrigen mehr Geld, als die Barmer GEK im vergangenen Jahr für hoch wirksame und sehr teure Medikamente gegen Hepatitis C ausgegeben hat. Mit Blick auf das geplante Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz (HHVG) erklärt Straub: "Bei den Heilmitteln könnten die Kosten noch weiter aus dem Ruder laufen. Deren Anwendung sollte erst qualitativ stärker abgesichert werden, bevor sie noch häufiger und nicht immer mit klarem medizinischem Nutzen zum Einsatz kommen."

Kritik am Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz

Das HHVG sieht vor, Vergütungssteigerungen für Heilmittelerbringer für drei Jahre vom Verlauf der Grundlohnsumme zu entkoppeln. Allein an dieser Stelle drohen laut Barmer GEK in der Gesetzlichen Krankenversicherung jährliche Zusatzkosten im mittleren dreistelligen Millionenbereich. Nach dem Gesetz sollen Ärzte in Modellregionen zudem Blanko-Verordnungen ausstellen und Heilmittel-Therapeuten damit selbst entscheiden können, mit welchem Heilmittel sie die Patienten in welchem Umfang behandeln. "Wenn der Therapeut die Leistung und damit die Höhe seines Lohns selbst festlegen kann, dann bedarf es keiner Glaskugel, um eine weitere Ausgabenentwicklung in diesem Bereich vorherzusagen. Über Blanko-Rezepte werden die Patienten aber nicht automatisch qualitativ besser versorgt. Das gilt zumindest, solange es offensichtlich sehr unterschiedliche regionale Kriterien zum Heilmittel-Einsatz gibt", so Straub.

Grandt plädiert für eine Budgetierung der Heilmittelausgaben, um eine angebotsinduzierte Nachfrage zu verhindern, wenn die Ärzteschaft bei der Blanko-Verordnung den Umfang des Heilmittel-Einsatzes nicht mehr kontrollieren und damit nicht mehr verantworten kann. Sonst bestehe die Gefahr, dass insbesondere dort die Heilmittelanwendungen häufiger würden, wo es viele Therapeuten gebe. Denn anders als bei den Ärzten gebe es bei den Heilmittelerbringern keine Bedarfsplanung. Dies mag auch eine Erklärung für die erhebliche Streuung der Therapeutendichte in Deutschland sein. Während laut Report etwa in Nordrhein-Westfalen ein Physiotherapeut auf 2.137 Barmer GEK-Versicherte kommt, ist das Verhältnis in Brandenburg einer zu 806.

"Es gibt keinen Grund, warum einige Regionen mehr als doppelt so viele Physiotherapeuten brauchen sollten als andere", so Grandt.

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