BARMER Thüringen
STANDORTinfo Thüringen

Positionen zur Landtagswahl 2024 in Thüringen

Lesedauer unter 23 Minuten

Redaktion

  • Robert Büssow (Politik-Referent Barmer Thüringen)

Thüringen Fahne mit Wappen

Thüringen wählt 2024 einen neuen Landtag. Der politische Handlungsdruck im Gesundheitswesen ist groß. Die kommenden fünf Jahre werden entscheidend sein, damit auch im Freistaat die zahlreichen Herausforderungen gemeistert werden. Dafür reichen keine kosmetischen Maßnahmen, dafür müssen Strukturen geändert werden. Einiges liegt in der Hand des Bundes, aber vieles ist Ländersache. 
Mit insgesamt zehn gesundheitspolitischen Positionen samt Forderungen zur Landtagswahl 2024 setzt sich die Barmer ein für die Menschen im Land und eine moderne, hochqualitative Gesundheitsversorgung.

1. Der Mensch im Mittelpunkt: integrierte Versorgung optimieren

Der typische Patient von heute ist ein anderer als vor 50 Jahren: Die Menschen werden älter, haben oft mehrere chronische Diagnosen, sind in Dauerbehandlung, ansonsten aber meist nicht akut krank. Gleichzeitig hat sich die Medizin weiterentwickelt, ist spezialisierter und arbeitsteiliger geworden. Eine zeitgemäße Behandlung muss deshalb sektorenübergreifend in Behandlungsnetzwerken organisiert und vom Patienten her konzipiert werden. 

Spielfiguren symbolisieren ein Netzwerk

Gemeint sind Netzwerke, in denen Ärztinnen und Ärzte sowie Fachkräfte in nichtärztlichen Heilberufen die Patientinnen und Patienten auf Grundlage klarer Behandlungspfade leiten. Deshalb gehört Teampraxen und Versorgungsverbünden die Zukunft. Wo nicht alle notwendigen Akteure vor Ort sind, können digitale Lösungen unterstützen.

Ein Schlüsselelement sind Regionale Versorgungszentren (RVZ). Sie können als Verbund von Arztpraxen, ambulanten Operationszentren, (Kurzzeit-)Pflege, Rehabilitation und anderen Anbietern wie Apotheken und Therapeuten eine Versorgung aus einem Guss organisieren und Leistungen sektorenübergreifend bündeln. Krankenhausplanung und ambulante Bedarfsplanung müssen an dieser Schnittstelle zusammengeführt werden. Übergreifendes Ziel ist eine sektorenübergreifende Planung, verbunden mit einer einheitlichen Vergütung. Das Nebeneinander von Bedarfsplanung für ambulante Strukturen und Krankenhausplanung für stationäre Leistungen schafft Fehlanreize.

Für den notwendigen strukturellen Wandel gibt es innovative Ideen (Innovationsfonds), es braucht aber auch den politischen Willen, auf Bundes- und auf Landesebene. Der Gesetzgeber muss den regionalen Partnern Freiräume eröffnen, indem er für einen begrenzten Zeitraum gesetzliche Restriktionen für Pilotprojekte lockert, zum Beispiel für den Aufbau Regionaler Versorgungszentren.

Forderungen:

>> von der Bedarfsplanung zur Versorgungsplanung: ambulante und stationäre Versorgung zusammenführen

>> den realen Behandlungsbedarf sowie alle Versorgungskapazitäten regional erheben

>> Landkreise in den Prozess einbeziehen und bei wesentlichen Entscheidungen beteiligen

>> Kooperationen zwischen Kliniken, aber auch ambulant-stationär verpflichtend ausbauen und fördern

>> gesetzliche Restriktionen für Pilotprojekte lockern, beispielsweise für sektorenübergreifende Behandlungsnetzwerke

2. Qualität der Versorgung als Leitmotiv

Alle Reformen im Gesundheitswesen müssen im Kern darauf abzielen, die Versorgung besser zu machen. Qualität ist das Leitmotiv, wenn Prozesse und Strukturen angepasst werden. Dazu müssen kontinuierlich weitere evidenzbasierte, mess- und vergleichbare Parameter für Struktur- und Ergebnisqualität entwickelt und Teil von Versorgungsplanung werden.

Ein Stethoskop und Handy auf einem Tisch

Das Überwinden der Sektorenlogik ist grundlegend für eine nachhaltig bessere Versorgungsqualität. Die international vergleichsweise hohe Zahl an Arztkontakten sowie überfüllte Notaufnahmen machen deutlich, dass in einigen Bereichen eine strukturelle Über- und
Fehlversorgung besteht. Bei knappen Ressourcen führt dies zwangsläufig an anderer Stelle zu Unterversorgung.

Mit Blick auf den Thüringer Krankenhausplan und eine Novellierung des Krankenhausgesetzes sind daher folgende Schwerpunkte zu setzen:

  • Medizinische Zentren als regionale Leuchttürme sollten insbesondere für planbare Operationen im Krankenhausplan einen exklusiven Einzugsbereich erhalten, der eine hohe Fallzahl gewährleistet. Dies ist insbesondere bei seltenen und komplexen Leistungen nötig, um die Qualität der Leistung zu sichern.
  • Kleine Standorte sind zu erhalten und für eine qualitativ hochwertige Grundversorgung mit den nötigen finanziellen Mitteln im Rahmen der Investitionsförderung des Landes auszustatten und ggf. in Kooperation mit dem ambulanten Bereich in ambulant-stationäre Versorgungszentren umzuwandeln. Falls erforderlich, ist dafür (wie beispielsweise in Niedersachsen) auf Landesebene ein Rechtsrahmen zu schaffen.
  • Kleine Häuser dürfen nicht die Verlierer der Reform sein, sondern müssen als erste Anlaufstelle für den Großteil der Versorgung im Freistaat im Mittelpunkt stehen. Dazu gehört auch die klare Aufgabentrennung zwischen Grundversorgern und Häusern der Regel- und Maximalversorgung. Vielfach verfügen Kliniken in räumlicher Nähe derzeit über ein vergleichbares Leistungsangebot, obwohl sie unterschiedlichen Leistungsleveln angehören – diese Parallelstrukturen verursachen hohen Personalbedarf bei geringer Auslastung. Statt Parallelstrukturen braucht es verbindliche, trägerübergreifende Kooperationen und Verlegungskonzepte.
  • Dies ist auch eine zentrale Lehre aus der Pandemie: Im Thüringer Covid-Versorgungsnetzwerk wurde in großräumigen Regionen eine gestufte Versorgung etabliert, die Patientinnen und Patienten dorthin gebracht hat, wo sie entsprechend ihrer Situation am besten versorgt werden konnten. Dieses abgestufte Thüringer Versorgungskonzept sollte als Pate regelhaft auf weitere Behandlungsfelder ausgedehnt werden.
  • Es ist erwiesen, dass Mindestmengen für Behandlungen im Krankenhaus das Risiko für Komplikationen senken. Haben Ärztinnen und Ärzte die nötige Erfahrung bei operativen Eingriffen, wirkt sich das positiv auf die Behandlungsergebnisse und damit auf die Patientensicherheit aus. Auch in dem sensiblen Bereich der Frühgeborenenversorgung ist die Evidenz eindeutig. Deshalb hat sich das gestufte Level-System für Geburten bewährt und dient als weitere Blaupause für andere medizinische Bereiche.
  • Die Versorgung in der Geburtshilfe dient als Paradebeispiel für die nötigen Reformschritte hin zu einer ganzheitlichen Betrachtung: Angesichts dramatisch sinkender Geburtenzahlen einerseits und der Ambulantisierung sowie Akademisierung der Hebammen andererseits müssen die Strukturen als ambulant-stationäre Netzwerke weiterentwickelt werden. Schließungen kleiner Geburtskliniken mit weniger als 300 Geburten, also einer Geburt am Tag, lassen sich auch mit Zuschlägen nicht lösen, wenn das Personal nicht am Standort bleiben möchte. Nur wenn Frauenarztpraxen, Hebammen und Kliniken in Netzwerkstrukturen zusammenarbeiten, kann auch weiterhin eine flächendeckende Versorgung organisiert werden, selbst wenn die Anfahrtswege zum Kreißsaal größer werden sollten.
  • Als erstes Bundesland hat Thüringen eine Quote von 5,5 Ärzten pro Fachabteilung eingeführt. Damit liegen der Landesregierung wichtige Kenntnisse über die personelle Ausstattung der Kliniken vor. Die Quote stellt sicher, dass eine Mindestanzahl an qualifizierten Fachärztinnen und Fachärzten vorhanden ist. Aus Gründen der Patientensicherheit sind diese Zahlen daher transparent zu veröffentlichen. Ausnahmen sollten nur befristet und unter Auflagen erteilt und in jedem Fall ebenfalls veröffentlicht werden.
  • Entscheidend für gute Behandlungsergebnisse ist nicht die Nähe zum nächstgelegenen Krankenhaus, sondern die technische Ausstattung sowie erfahrenes und ausreichendes Personal. Deshalb sollten grundsätzlich nur solche Krankenhäuser Patientinnen und Patienten behandeln, die dafür technisch und personell ausgestattet sind. Das Land Thüringen muss daher den Kliniken die nötigen Investitionsmittel zur Verfügung stellen, um die Qualitätsanforderungen zu erfüllen.

Forderungen:

>> im Krankenhausplan schrittweise mehr Zentren ausweisen und dabei zwingend auf bundesweit einheitliche Kriterien achten; Behandlungszentren müssen Leuchttürme sein, mit großem regionalen Einzugsbereich

>> mehr Kooperationen zwischen Zentren und Einrichtungen der Grundversorgung, sowie zwischen Kliniken und Praxen in einer Region; Qualität vor Entfernung

>> festhalten an der Thüringer Facharztquote bzw. diese in Leistungsgruppen integrieren; Ausnahmegenehmigungen, die länger als drei Monate gelten, veröffentlichen; regelmäßig und mindestens stichprobenartig die Erfüllung der Quote kontrollieren

>> Mindestmengen in Thüringen konsequent umsetzen

>> Kooperationen stärken, auf- und ausbauen durch Etablierung von Konsilen (analog zum SATELIT-Programm für die telemedizinische Schlaganfallversorgung), von Dialogformaten und strukturierter Patientensteuerung (ggf. mit Verlegungen); hierzu stadt- und landkreisübergreifende Gesundheitsregionen bilden und ambulante Praxen sowie schrittweise weitere Leistungserbringende (Pflege, Reha, Therapeuten…) einbinden

>> ergänzen des von der Landesärztekammer Thüringen entwickelten Konzepts für ein Herzinfarktnetzwerk im 8. Thüringer Krankenhausplan

>> überarbeiten des Thüringer Krankenhausgesetzes, denn die Zukunftswerkstätten des Gesundheitsministeriums haben die Notwendigkeit aufgezeigt, den gesetzlichen Rahmen anzupassen (ähnlich Sachsen, Niedersachsen, NRW)

3. Vorfahrt für die Ambulantisierung der Medizin

Deutschland gehört international zu den Schlusslichtern bei der Ambulantisierung. Viele kleinere Eingriffe könnten ohne Qualitätsverlust ambulant erbracht werden. Beispielsweise wird der Leistenbruch in Deutschland zu über 90 Prozent im Krankenhaus operiert wird, in anderen Ländern zu 90 Prozent ambulant. Hintergrund ist die ungleiche Vergütung.

Operationsbesteck auf einem OP-Tisch

Auch in Thüringen führt der medizinische Fortschritt bereits dazu, dass viele Eingriffe schonender und schneller erbracht werden können. Dies belegt die Entwicklung der sogenannten „Kurzliegerfälle“ im Krankenhaus. In Thüringen waren im Jahr 2020 rund 70.000 Patientinnen und Patienten nur für eine Nacht im Krankenhaus, was 13 Prozent aller Fälle entspricht. Weitere 15 Prozent blieben nur zwei Nächte. Also in Summe fast jeder Dritte.

Mit der Vergütungsreform, die eine sektorengleiche Honorierung nach §115f SGB V herbeiführen soll, steht zunehmend die Frage im Mittelpunkt, welche Versorgung und welcher "Ort" am besten für die Patientinnen und Patienten sind – und nicht, wo die Versorgung am besten vergütet wird. Das wird dazu führen, dass der Bedarf am ambulant-stationären Versorgungszentren (Gesundheitszentren) steigen wird. Dies wiederum wird potenziell viele Kliniken entlasten und damit dem Personalmangel begegnen, da der Personalaufwand in einer Klinik größer ist als in einem Gesundheitszentrum. Viele Krankenhäuser haben auf diesen Trend bereits mit der Gründung von Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) reagiert und werden auch in Zukunft vor allem im ländlichen Raum bei der Versorgung eine große Rolle spielen.

In Thüringen hat sich die Zahl der MVZ in den vergangenen zehn Jahren auf über 149 mehr als verdreifacht. Mehr als 1000 niedergelassene Ärztinnen und Ärzte sind in MVZ angestellt.

MVZ erleichtern die facharzt- und sektorenübergreifende Zusammenarbeit und das Optimieren von Versorgungspfaden. Sie können darüber hinaus zu regionalen Versorgungszentren weiterentwickelt werden. Der Trend zur Gründung von MVZ oder ähnlichen Formen von Gesundheitszentren sollte politisch unterstützt und vom Land Thüringen gefördert werden. Damit kann die wohnortnahe Versorgung besonders auch in strukturschwachen Regionen sichergestellt werden. Die Forderung der Bundesländer nach vollständiger Transparenz über die MVZ-Trägerstrukturen, beispielsweise externer Investoren, ist nachvollziehbar.

Bei der Umsetzung von Gesundheitskiosken dürfen keine ineffizienten Doppelstrukturen geschaffen werden. Vielmehr müssen bestehende Strukturen der Krankenkassen, die durch die Kassenärztlichen Vereinigunge (KV) sichergestellte ambulant-ärztliche Versorgung sowie kommunale Angebote bei der Planung eines Kioskes einbezogen werden. Die Gesundheitskioske dürfen nicht durch die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) finanziert werden, da sie wesentliche Aufgaben von Bund, Ländern und Kommunen übernehmen. Eine Querfinanzierung von Leistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge durch Beitragsmittel der GKV muss deshalb ausgeschlossen sein.

Forderungen:

>> Ambulantisierung im Sinne der Patientinnen und Patienten vorantreiben und gesundheitspolitische Ziele setzen für moderne Versorgungsstrukturen im Sinne der Ambulantisierung

>> rechtlichen Rahmen für die Weiterentwicklung von Krankenhäusern in ambulant/stationär-hybride Gesundheitszentren schaffen, um Rechtssicherheit für Kostenträger sowie Krankenhäuser und Beschäftigte herzustellen

>> mehr Arztnetze und regionale Versorgungszentren, vor allem im ländlichen Raum, um knappe Ressourcen zu bündeln, eine verzahnte Zusammenarbeit zu ermöglichen und Versorgungslücken zu vermeiden

>> Gesundheitskioske (nach dem Modell des Bundesgesundheitsministeriums) danach prüfen, ob Bedarf vor Ort besteht und ob es Parallelangebote gibt

4. Gute Versorgung braucht eine verlässliche Finanzierung

Das Gesundheitssystem finanziert sich zu wesentlichen Teilen aus den Beiträgen der Versicherten und der Arbeitgeber. Über 90 Prozent der Thüringerinnen und Thüringer sind gesetzlich versichert. Ihre Beiträge richten sich nach der finanziellen Leistungsfähigkeit, die Gesundheitsleistungen sind jedoch für alle gleich. Die Barmer gibt allein in Thüringen rund 930 Millionen Euro im Jahr für Gesundheitsleistungen ihrer Versicherten aus.

Eine Person am Tisch mit einer Hand am Taschenrechner

Damit die Beiträge der Versicherten stabil bleiben, sind alle Krankenkassen gesetzlich verpflichtet, mit den zur Verfügung stehenden Mitteln wirtschaftlich umzugehen. Deshalb fordert die Barmer auch in Thüringen einen sorgsamen Umgang mit den Beiträgen der Arbeitgeber und Versicherten. Ein Schlüsselfaktor dafür ist ein effizientes Gesundheitssystem. Die Planungshoheit dafür liegt zu großen Teilen bei den Bundesländern, etwa bei der Krankenhausstruktur, dem Rettungswesen, der Ausbildung, aber auch der Pflege-Infrastruktur. Mit Sorge sieht die Barmer, dass Bund und Länder zunehmend Kosten der allgemeinen staatlichen Daseinsvorsorge – etwa im Rettungswesen oder in der Pflege – den Schultern der gesetzlich Versicherten aufbürden.

Die Versichertenbeiträge könnten deutlich entlastet werden, wenn der Staat seiner finanziellen Verantwortung nachkäme. Die Barmer fordert daher von den Thüringer Parteien:

  • Erhöhung der Investitionskosten für Thüringens Krankenhäuser auf mindestens 140 Millionen Euro jährlich, damit nicht länger Mittel der Krankenkassen zweckentfremdet werden, die für die Patientenversorgung gedacht sind.
  • Einrichten eines Transformationsfonds, der für regionale innovative und bedarfsnotwendige Versorgung verwendet wird und als Transformationshilfe dient; bei der Verwendung der Mittel wird das sektorenübergreifende Landesgremium nach §90a SGB V verpflichtend einbezogen.
  • Unterstützen zeitgemäßer Versorgungskonzepte mit Landesmitteln, denn insbesondere regionale Gesundheits- und Versorgungszentren (RVZ) im ländlichen Raum brauchen eine Anschubförderung und eine moderne Ausstattung, damit sie für Personal, aber auch die Menschen attraktive Anlaufstellen sind.

Auch in der Pflegeversicherung steigen die Kosten. Seit 2016 sind die Ausgaben der Pflegeversicherung bundesweit um 74 Prozent auf über 50 Milliarden Euro gestiegen. Trotzdem steigt der zusätzlich zu zahlende Eigenanteil vieler Pflegebedürftiger drastisch. Die Barmer fordert deshalb von den Thüringer Parteien:

  • Reduzierung der Eigenanteile, um Pflegebedürftige von solchen Kosten zu entlasten, die originär von den Bundesländern getragen werden müssen; dazu gehören (wie bei den Krankenhäusern) auch die Investitionskosten. Die Länder sind für die Vorhaltung einer leistungsfähigen, zahlenmäßig ausreichenden und wirtschaftlichen pflegerischen Versorgungsstruktur verantwortlich (§ 9 SGB XI).
  • Mehr Investitionen zur Förderung von Tages- und Kurzzeitpflegeplätzen, um den steigenden Bedarf der Pflegebedürftigen und der pflegenden Angehörigen nach attraktiven und qualitativ hochwertigen Betreuungskonzepten erfüllen zu können.
  • Finanzierung der Ausbildungsumlagen für Pflegeschulen aus Landesmitteln. Dieser Aufgabe kommen die Länder nicht in ausreichendem Maße nach, was ebenfalls zu erhöhten finanziellen Belastungen der Pflegebedürftigen führt.

Forderungen:

>> Aufgaben der staatlichen Daseinsvorsorge dürfen nicht durch gesetzlich Versicherte finanziert werden, sondern sind durch Steuern zu tragen.

>> Bereitstellen finanzieller Mittel für innovative Versorgungsformen sowie Transformationshilfen durch das Land – insbesondere für strukturschwache Regionen, die dies aus eigener Kraft nicht leisten können.

>> Schaffen eines Rechtsrahmens auf Landesebene für die Neustrukturierung der sektorenübergreifenden Versorgung; dazu gehört insbesondere im Landeskrankenhausgesetz ein Rahmen für stationär-ambulante Versorgungszentren. 

5. Flächendeckende integrierte Notfallversorgung

Die Strukturen der Notfallversorgung in Deutschland sind stark fragmentiert und von Bundesland zu Bundesland in den Rettungsdienstgesetzen häufig abweichend geregelt. Das führt immer wieder dazu, dass Patientinnen und Patienten nicht die Versorgung erhalten, die sie benötigen. Im Jahr 2021 gab es laut Versorgungsbericht der KV Thüringen 376.000 ambulante Notfälle, davon wurden 50 Prozent in einer Krankenhaus-Notaufnahme behandelt. Ohnehin knappe Ressourcen werden dadurch zunehmend überlastet; was im Notfall zu Engpässen führen kann. Dies gilt es zu vermeiden.

Ein Notfallwagen im Einsatz.

Für viele Menschen ist das Nebeneinander von Zuständigkeiten je nach Situation schwer zu durchschauen. Die Barmer unterstützt deshalb die Vorschläge des Sachverständigenrates im Gesundheitswesen (SVR) sowie der Regierungskommission (Februar 2023), die Notfallversorgung zu harmonisieren und die Patientensteuerung in sektorenübergreifenden Strukturen zu organisieren:

  • Die Bundesländer sollten die Rettungsleitstellen zu Integrierten Leitstellen (ILS) mit einer strukturierten, einheitlichen Ersteinschätzung weiterentwickeln. Anrufe werden je nach Dringlichkeit entweder in die Vertragsarztpraxis oder in Notfallzentren an den Krankenhäusern vermittelt bzw. der Rettungsdienst alarmiert.
  • Integrierte Notfallzentren (INZ) müssen verpflichtend an Kliniken mit anerkannter Notfallstufe eingerichtet werden, die in Kooperation von niedergelassenen Ärzten und dem Krankenhaus betrieben werden.

Die Rolle des Rettungswesens muss deutlich stärker als bisher bei der Reform der Versorgungsstrukturen berücksichtigt werden. Wenn sich Kliniken einer Region künftig arbeitsteilig aufstellen und in Netzwerken zusammenarbeiten, werden Rettungs- und Krankenfahrten vor allem im ländlichen Raum zunehmen, wird der Leitsatz „Das nächste Krankenhaus ist nicht immer das geeignete“ in Zukunft stärker an Relevanz gewinnen. Die Zukunftswerkstatt des Ministeriums für Gesundheit (TMASGFF) hat sehr gut herausgearbeitet, dass dieser Strukturwandel in der Versorgungslandschaft nicht ohne Anpassungen im Rettungswesen funktionieren kann.

Die Barmer fordert die Parteien in Thüringen daher auf, eine engere Abstimmung des Innenministeriums und Gesundheitsministeriums im Prozess der Krankenhausreform und eine verpflichtende Einbindung des Landesbeirats für das Rettungswesen (nach §9 ThürRettG) sicherzustellen.

Noch immer ist die Struktur der Leitstellen in Thüringen nicht optimal. Die ursprünglich gesetzten Ziele der laufenden Leitstellenreform werden nur halbherzig umgesetzt. Ein Vergleich mit anderen Bundesländern (zum Beispiel Sachsen oder Brandenburg mit fünf Leitstellen) belegt: Es braucht keine dezentrale Verteilung von Leitstellen, entscheidend ist das Netz der Rettungswachen und Rettungsmittel, um schnell vor Ort sein zu können. Die Landkreise Eichsfeld, Unstrut-Hainich-Kreis und das Weimarer Land sollten ihre Leitstellen daher ebenfalls einem Verbund anschließen.

Der Bundesrechnungshof kritisiert in einem Gutachten (2018), dass die Krankenkassen zunehmend Aufgaben finanzieren müssen, die originär als Daseinsvorsorge von den Ländern zu tragen sind. Die Barmer fordert daher von den Parteien in Thüringen:

  • Einführung eines Finanzierungskatalogs mit klarer Abgrenzung der Kosten zwischen den Gesetzlichen Krankenkassen und dem Land Thüringen
  • Adäquate Beteiligungsrechte gemessen am Finanzierungsanteil

Es ist eine wesentliche Lehre aus der Pandemie, dass möglichst aktuelle Daten möglichst schnell und strukturiert vorliegen müssen, um das Versorgungsgeschehen steuern zu können. Gerade in Notsituationen ist entscheidend, dass Leitstellen und Krisenstäbe wissen, welche medizinischen Ressourcen in den Kliniken aktuell bestehen. Daher unterstützt die Barmer die Änderung im Thüringer Rettungsdienstgesetz zur Erweiterung der Kapazitätsnachweise. Diese Informationen können Leben retten, eine schnellere Versorgung ermöglichen (zum Beispiel indem gleich ein geeignetes Krankenhaus angefahren wird und dieses sich schon auf den Patienten vorbereiten kann) und am Ende auch knappe Ressourcen schonen (beispielsweise aufgrund unnötiger Verlegungsfahrten). Die Barmer fordert in diesem Zusammenhang:

  • eine umfassende Datenübermittlung an die Leitstellen in Echtzeit sowie Steuerung der Patientinnen und Patienten in geeignete Kliniken bzw. Versorgungszentren
  • eine Ausgleichszahlung des Krankenhauses für jede Stunde, in der sich eine Notaufnahme von der Annahme von Hilfesuchenden abmeldet

Erste Hilfe stärken: In mehreren Bundesländern haben sich Machbarkeit und Nutzen der sogenannten smartphone-basierten Ersthelfer-Alarmierung (SbEA) bei Herzinfarkt oder Schlaganfall bestätigt. Das digitale Alarmieren von ortsnahen Ersthelfenden binnen weniger Minuten kann Leben retten und bleibende Schäden vermeiden. Die SbEA wurde deshalb 2021 in die neuen Reanimationsleitlinien des European Resuscitation Council aufgenommen. Die Barmer fordert die Thüringer Parteien auf, die Etablierung in Thüringen mit einer Anschubförderung (ähnlich dem Projekt des Telenotarztes) zu fördern. Wichtig ist der Barmer dabei, dass professionelle Ersthelfer zum Einsatz kommen (zum Beispiel Pflegekräfte, Ärzte, Feuerwehr). Die Koordinierung bleibt in der Hand der Leitstellen. Auch die Implementierung der Telefonreanimation (T-CPR) sollte in allen Leitstellen zum Standard gehören.

Forderungen:

>> Verzahnung von Krankenhaus- und Rettungsmittelplanung, um die Kooperation von Kliniken in einer Region zu unterstützen und Patienten der richtigen Versorgung zuzuführen

>> bessere Koordinierung der verschiedenen Rettungsmittel (boden- und luftgebunden) mit moderner Steuerung, um die knappen Ressourcen möglichst effizient zu verwenden (Vermeidung von Leerfahrten, Hilfe durch Telenotarzt etc.)

>> Einrichtung von integrierten Leitstellen und Notaufnahmen für eine effektive Steuerung von Patientinnen und Patienten in die bedarfsgerechte Versorgung

>> Digitalisierung und Transparenz der Krankenhaus-Kapazitäten für eine genaue Steuerung von Notfällen in die geeigneten Kliniken

>> Abgrenzung der Kosten im Rettungswesen, die staatliche Daseinsvorsorge sind

>> Einführung der smartphone-basierten Ersthelfer-Alarmierung

6. Digitalisierung: Ein Update für das Gesundheitssystem

Faxgeräte haben im Gesundheitswesen eines ihrer letzten Refugien gefunden. Viele Prozesse erfolgen noch immer analog oder werden durch Medienbrüche (ausdrucken, versenden, wieder einscannen) ausgebremst. Die Digitalisierung ist unabdingbar für den Aufbau sektorenübergreifender Versorgungsstrukturen.

Eine grüne Collage stellt die Funktionen der ePA und zeigt eine Person mit einem Smartphone und eine Ärztin mit Patientenblock.

Die Telemedizin und der Einsatz digitaler Lösungen können die klassische ärztliche Versorgung nicht ersetzen. Sie bieten jedoch ein großes Potenzial, medizinische und pflegerische Expertise auch in abgelegene Regionen zu holen. Telemedizin kann somit eine schnellere Verfügbarkeit ohne Fahrzeiten gewährleisten.

In Thüringen leben über 70 Prozent der Bevölkerung in Städten und Gemeinden mit weniger als 40.000 Einwohnerinnen und Einwohnern. Die Digitalisierung bietet aufgrund fehlender Ballungsgebiete also besonders große Chancen und sollte durch einen zügigen Breitbandausbau ermöglicht werden. Dabei müssen Gesundheitsversorger (Praxen, Krankenhäuser, Apotheken, Therapeuten, Pflegeeinrichtungen, Reha-Kliniken) mit Priorität mit modernen Glasfaserleitungen angebunden werden.

Ähnlich wie in der ärztlichen Versorgung lassen sich auch in der Pflege ausgewählte Tätigkeiten wie Überwachung (zum Beispiel Telemonitoring von Vitalwerten, Sturzerkennung) oder Beratung durch telepflegerische Angebote erbringen. Dies kann beispielsweise bei der Versorgung nach einem Krankenhausaufenthalt helfen.

Einen großen Mehrwert verspricht sich die Barmer insbesondere bei der Medikationsberatung. Mithilfe aktueller Daten in der elektronischen Patientenakte (epa) kann in Arztpraxen und Apotheken zu Wechselwirkungen und Komplikationen besser beraten werden. Polypharmazie ist nach wie vor ein großes Problem für die Patientensicherheit.

Mit der Gründung der AG Telemedizin, welche relevante Akteure des Gesundheitswesens (Ärzte, Krankenkassen, Gesundheitswirtschaft) einbindet, hat das Gesundheitsministerium wichtige Modellprojekte angeschoben. In einem nächsten Schritt braucht Thüringen konkrete Leitplanken für weitere gezielte Vorhaben, um Insellösungen zu vermeiden. Dafür müssen die Aktivitäten in den maßgeblichen Ministerien (insbesondere für Gesundheit, Wissenschaft, Inneres, Infrastruktur) aufeinander abgestimmt und in der Digitalstrategie des Freistaats integriert werden.

Forderungen:

>> Schwerpunktsetzung in der Digitalstrategie des Landes auf die Anbindung und Integration des Gesundheitswesens

>> Telemedizin, Telepflege und digitale Assistenz vorrangig in ländlichen Regionen ausbauen und fördern, um Versorgungsqualität und Autonomie zu stärken

>> konkrete Förderleitplanken für Maßnahmen in der AG Telemedizin erarbeiten; unter Einbindung der Mitglieder

7. Neue Arbeitsteilung

Die bisherige Medizin ist historisch gewachsen stark arztzentriert. Doch in Zukunft wird Versorgung immer mehr Teamleistung sein. Es braucht deshalb ein anderes Rollenverständnis und eine neue Arbeitsteilung zwischen ärztlichen und nichtärztlichen Berufen. Die Übertragung heilkundlicher Tätigkeiten auf weitere Gesundheitsberufe soll gefördert werden. Erste Modellprojekte in Thüringen zur Übertragung der Wundversorgung  auf qualifizierte Pflegekräfte (nach SGB V §64d) können nur der Anfang sein.

Icon aufgefalteter Hände mit Personen auf grünem Grund

Soll die Versorgung zwischen Praxis, Krankenhaus, Pflegeeinrichtung oder in regionalen Versorgungszentren vernetzt stattfinden, so sind interprofessionelles Arbeiten und das Koordinieren von Behandlungsprozessen erforderlich.

Deshalb ist das Berufsbild der Community Health Nurse oder ähnlicher Ansätze mit einer Zusatzqualifikation zu begrüßen. Auch Gesundheitslotsen, Gemeindeschwestern oder Gemeindenotfallsanitäter können helfen, Versorgung integriert und wohnortnah zu ermöglichen. Es ist nicht immer der Arzt bzw. die Ärztin nötig, da die Betreuung vor allem chronisch kranker Menschen auch qualifizierte Fachkräfte sicherstellen können.

Eine bundesweit einheitliche Regelung der Berufsbilder in der Pflege ist wichtig, um gleiche Qualitätsstandards über die Ländergrenzen hinweg zu garantieren und für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Flexibilität in der Ausübung des Pflegeberufs zu schaffen. Die angekündigte Harmonisierung der Pflegeassistenz durch ein bundeseinheitliches Berufsgesetz ist ein richtiger Schritt. Damit kann dem existierenden Personalbedarf begegnet und die hohe Anzahl an- oder ungelernter Pflegekräfte verringert werden.

Durch eine weitergehende Delegation ärztlicher Leistungen an andere Gesundheitsberufe könnten Ärztinnen und Ärzte einerseits entlastet und zugleich nichtärztliche Assistenzberufe aufgewertet und damit attraktiver werden.

Forderungen:

>> Vorantreiben niedrigschwelliger Beratungs- und Betreuungsangebote durch qualifizierte Berufsbilder wie Community Health Nurse in enger Abstimmung mit der Ärzteschaft, mit den Landkreisen, Krankenkassen und Leistungserbringern vor Ort

>> Übertragung heilkundlicher Tätigkeiten unterstützen

>> Pflegeassistenz bundesweit einheitlich gestalten und bundeseinheitliche Pflegehelferausbildung vorantreiben

>> Kampagne zur Gewinnung von dringend notwendigen Hilfskräften in der Pflege mit mindestens einjähriger Ausbildung

>> Unterstützung der Akademisierung der Pflege bzw. des Pflegestudiums in Thüringen durch das Land Thüringen, um den Anteil akademisierter Pflegekräfte zu erhöhen

>> Nutzung der vorhandenen Möglichkeiten zur Delegation an qualifizierte Pflegekräfte gemäß §64d SGB V

8. Patientenorientierte Gesundheitsförderung

Obwohl so viele Informationen zugänglich sind wie nie zuvor, fühlen sich viele Menschen unzureichend informiert. Das Gesundheitswesen bildet dabei keine Ausnahme. Das ist problematisch, denn eine hohe Gesundheitskompetenz erhöht beispielsweise die Therapietreue, die Teilnahme an Früherkennungs- und Präventionsangeboten und trägt damit zu einer besseren Gesundheit bei. Deshalb engagiert sich die Barmer seit vielen Jahren für die Stärkung der Gesundheitskompetenz, angefangen bei Kindern und Jugendlichen.

Logo Ich kann kochen

Die Barmer unterstützt Schulen und Eltern zum Beispiel mit dem Programm „Durchblickt“ bei der digitalen Gesundheitskompetenz. Mit der deutschlandweit größten Ernährungsinitiative für Kinder „Ich kann kochen!“ fördert die Barmer in Kooperation mit der Sarah-Wiener-Stiftung seit 2015 auch das Thema gesunde Ernährung. Die Initiative hat bundesweit bereits 1,5 Millionen Kinder erreicht! 

Die Barmer versteht Prävention jedoch als gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die nicht allein von einzelnen Akteuren geleistet werden kann. Prävention und Gesundheitsförderung gehören zur staatlichen Daseinsvorsorge und müssen entsprechend koordiniert und finanziert werden. Die Barmer schlägt in diesem Zusammenhang für Thüringen weitere Maßnahmen vor:

  • Das gemeinsame Essen in Kita und Schule bietet eine gute Gelegenheit, ein gesundes Essverhalten zu erlernen. Dazu gehört auch, verpflichtende Standards für eine gesunde Kita- und Schulverpflegung zu etablieren.
  • Es ist sinnvoll, das Thema Gesundheitskompetenz und Gesundheitsförderung verbindlich in den Schullehrplänen zu verankern und regelmäßig Projektwochen zu Gesundheitskompetenz durchzuführen.
  • Der Thüringer Bildungsplan sollte auch zur Förderung insbesondere der Zahngesundheit verbindlicher angepasst werden.

Die Barmer beteiligt sich gemeinsam mit anderen Partnern an der Entwicklung von Präventionsangeboten in den Lebenswelten. Beispielhaft genannt seien die zwei Leuchtturmprojekte „Bewegte Kinder = gesündere Kinder“ (BeKiGeKi), das gemeinsam mit dem Landessportbund und dem Land Thüringen in die regelhafte Versorgung überführt werden konnte, sowie das Programm KOBAGS als qualitätsgeprüfte Übersicht von Programmen für Schulen in Thüringen. 

Die Barmer sieht das Land Thüringen bei der Verstetigung und Überführung von sinnvollen Programmen wie den genannten künftig mit eigenen Finanzmitteln stärker in der Pflicht. Die gesetzlichen Krankenkassen können Projekte anstoßen, jedoch nicht dauerhaft als gesamtgesellschaftliche Leistung der Daseinsvorsorge finanzieren, wenn alle Menschen davon profitieren sollen.

Das größte Setting für Prävention und Gesundheitsförderung ist der Arbeitsplatz. Die meisten Beschäftigten in Thüringen arbeiten jedoch in kleinen Unternehmen mit bis zu 50 Mitarbeitenden, in denen selten ein kontinuierliches betriebliches Gesundheitsmanagement betrieben wird. Die Barmer fordert von den Parteien in Thüringen daher verstärkte Anstrengungen, kleine und mittlere Unternehmen dabei zu unterstützen. Positive Erfahrungen bietet dazu das Projekt „Gesund arbeiten in Thüringen“ (GAIT), das die Barmer und die Deutsche Gesellschaft für Arbeits- und Umweltmedizin (DGAUM) in Thüringen 2017 aufgelegt haben.

Um den Zugang zu präventiven Gesundheitsleistungen zu erleichtern, begrüßt die Barmer, dass das Impfen in Apotheken möglich ist. Dies entlastet die Arztpraxen und kann helfen die Impfquoten zu erhöhen. Viele Patientinnen und Patienten wünschen sich individuelle Unterstützung im Krankheitsfall durch ihre Krankenversicherung. Das ist bisher jedoch nur eingeschränkt erlaubt. Die Barmer fordert deshalb das Land Thüringen auf, sich auf Bundesebene für den Anspruch auf ein Case Management einzusetzen. Versicherte sollten von ihrer Krankenkasse aktive Unterstützung für das koordinierte Betreuen ihrer Versorgung einfordern können.

Forderungen:

>> Gesundheitskompetenz in Lehrplänen verankern, Stärkung der Zahngesundheit und des Gesundheitsbewusstseins

>> verbindliche Mitwirkung des Landes beim Verstetigen von Präventionsprogrammen sicherstellen

>> Unterstützung kleiner Unternehmen beim betrieblichen Gesundheitsmanagement

>> Krankenkassen ermöglichen, ihre Versicherten aktiv über individuelle Hilfen zu informieren und zu beraten

9. Gut versorgt im Pflegefall

Pflege

Die geburtenstarken Jahrgänge scheiden nach und nach aus dem Berufsleben aus. Gleichzeitig werden viele Menschen immer älter und benötigen pflegerische Unterstützung. Deshalb bedarf es einer großen, gemeinsamen Kraftanstrengung, das Pflegesystem zu stabilisieren und finanzierbar zu halten. Der für 2025 vom Gesundheitsministerium angekündigte Landespflegeplan Thüringen sowie die Pflegepolitik der Parteien im Thüringer Landtag müssen daher nach Ansicht der Barmer auf folgende Aspekte eingehen:

  • Für die wachsende Zahl Pflegebedürftiger werden mehr qualifizierte und motivierte Pflegekräfte benötigt. Dazu muss das Berufsbild aufgewertet werden, insbesondere indem Pflegekräften mehr Kompetenzen übertragen werden. Es bedarf dafür bundes- und landesrechtlicher Maßnahmen.
  • Entlassmanagement optimieren: Die notwendigen Pflegestrukturen für den Übergang von der Krankenhausbehandlung in die Anschlussversorgung stehen oft nicht in ausreichendem Umfang zur Verfügung. Im Rahmen der Pflegestrukturplanung ist es die Aufgabe der Bundesländer, die nötigen Strukturen für die Kurzzeit-, Verhinderungs-, Tages- und Nachtpflege auszubauen und finanziell zu unterstützen. Dabei kann ein Echtzeitmonitoring über freie Kapazitäten im pflegerischen Bereich (Beispiel Nordrhein-Westfalen „Heimfinder NRW“-App) die Inanspruchnahme und Auslastung optimieren.
  • Jedes Bundesland hat eigene Vorgaben für Unterstützungsangebote für Menschen, die Zuhause gepflegt werden (§45b SGB XI). Diese Vorgaben sollten bundesweit harmonisiert, die Anerkennung von Leistungsangeboten vereinfacht und der Zugang niedrigschwellig ausgestaltet werden. Dies gilt besonders für die Nachbarschaftshilfe. Weniger Bürokratie bei der Antragstellung und Inanspruchnahme sollten das Ziel sein.
  • Die ärztliche Versorgung von Pflegeheimbewohnerinnen und -bewohnern muss verbessert werden, um Krankenhauseinweisungen zu reduzieren. Dazu bedarf es einer verbindlichen und strukturierten Zusammenarbeit der niedergelassenen Ärzteschaft mit Pflegeeinrichtungen. Der Sicherstellungsauftrag der Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) umfasst auch die ärztliche Versorgung in Pflegeheimen. Ergebnisse aus mehreren Innovationsfondsprojekten stehen Pate für entsprechende Modelle.
  • Thüringen muss mehr Transparenz über die Ergebnisse der Qualitätsprüfungen der Heimaufsicht schaffen. So wie Hygienemängel in der Gastronomie veröffentlicht werden, haben auch Pflegebedürftige und ihre Angehörigen einen Anspruch, über mangelhafte Pflegequalität informiert zu werden.
  • Für eine strategische Planung und Steuerung der pflegerischen Infrastruktur werden valide, kleinräumige Daten benötigt. Die Barmer fordert daher die Einrichtung einer Pflege-Berichterstattung, die regelmäßig Informationen zu Versorgungsstrukturen, Personal und Qualität erhebt. Der bereits im letzten Koalitionsvertrag angekündigte Pflege-Atlas sollte allen Bürgerinnen und Bürgern online zur Verfügung stehen.

Forderungen:

>> Erarbeiten einer zeitgemäßen Landespflegeplanung, die Pflege als integrierten Bestandteil der Versorgung betrachtet. Das Land muss sich verstärkt seiner Verantwortung stellen, eine leistungsfähige und bedarfsgerechte Pflege-Infrastruktur zu planen und zu fördern.

>> Verbesserung des Entlassungs- und Versorgungsmanagements; gesetzlichen Anspruch auf Case-Management einführen

>> pflegerische Angebote (zum Beispiel Tagespflege, Kurzzeitpflege) digitalisieren sowie landesweit koordiniert darstellten und dadurch insbesondere für das klinische Entlassmanagement vereinfacht verfügbar machen

>> Ergebnisse der Qualitätsprüfung durch die Thüringer Heimaufsicht, wie in anderen Bundesländern auch, transparent veröffentlichen

10. Klimagesundes Verhalten

Der Klimawandel gehört weltweit zu den größten Gesundheitsgefährdungen des 21. Jahrhunderts. Die Auswirkungen treffen schon heute – auch in Deutschland – Risikogruppen und vorbelastete Personen besonders. 

Der Klimaschutz hat im Gesundheitswesen bisher nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Dabei verursacht es mehr als fünf Prozent der nationalen Treibhausgasemission und trägt damit stärker zum Klimawandel bei als beispielsweise der Flugverkehr. Politik und alle Akteure im Gesundheitssektor müssen Nachhaltigkeit und Klimaschutz deutlich höher priorisieren, Hürden in der Gesetzgebung beseitigen und gezielt Anreize schaffen. Nachhaltigkeit sollte Bestandteil des Verwaltungshandelns sein und im Sozialgesetzbuch verankert werden.

Ein Kind steht hinter einem gelben Schirm in der Sonne

Gemeinsam mit Health for Future in Jena unterstützt die Barmer auch in Thüringen Ideen für ein klimaneutrales Gesundheitswesen. Dazu gehören beispielsweise die Verankerung von Kriterien der Nachhaltigkeit im Krankenhausplan, die Berücksichtigung von Lebenszeitkosten bei Investitionen sowie Anreize für klimafreundliche Investitionen.

Das an der Universität Erfurt gegründete „Institut für klimagesundes Verhalten“ (IPB) betont zu Recht die Bedeutung der wissenschaftlichen Forschung und Vermittlung, um das Verhalten der Menschen zu verstehen und positiv verändern zu können. Klimawandel und Gesundheitsförderung müssen stärker als bisher zusammengedacht und in die Prozesse der Landesgesundheitskonferenz und Landesrahmenvereinbarung integriert werden.

Forderungen:

>> klimagesundes Verhalten auf Landesebene als Präventionsziel verankern

>> Verankerung von Kriterien der Nachhaltigkeit im Krankenhausplan, insbesondere im Rahmen der Investitionskostenförderung

>> Berücksichtigung von Lebenszeitkosten bei Investitionen sowie Anreize für klimafreundliche Investitionen