STANDORTinfo Schleswig-Holstein – Ausgabe Juni 2025

Norddeutscher Dialog 2025: Künstliche Intelligenz trifft Medizin – Evolution oder Revolution?

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Künstliche Intelligenz (KI) prägt längst unseren Alltag, doch im Gesundheitswesen steht sie erst am Anfang. KI und Automatisierung bieten neue Chancen in Diagnostik, Therapie und Verwaltung. Leistungsstarke Rechner und ausgeklügelte Algorithmen ermöglichen es, Millionen von Befundbildern zu analysieren und frühe Hinweise auf Tumore zu geben. In der interventionellen Radiologie schlagen sie bereits Wege durch undurchsichtiges Gewebe vor, die der Operateur individuell bewertet. Doch wie weit ist KI im Versorgungsalltag in Schleswig-Holstein angekommen? Was erwartet uns noch? Diese Fragen stellte Dr. Bernd Hillebrandt, Landesgeschäftsführer der Barmer in Schleswig-Holstein, zu Beginn des Norddeutschen Dialogs, der am 12. Juni 2025 im Güterbahnhof Kiel unter dem Motto stand: Künstliche Intelligenz trifft Medizin – Evolution oder Revolution? 

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v. l. n. r.:  Dr. Bernd Hillebrandt (Landesgeschäftsführer der Barmer in Schleswig-Holstein), Dr. Bettina Schultz (Vorstandsvorsitzende der KV Schleswig-Holstein), Dr. Mattis Hartwig (Geschäftsführer singularIT, Lübeck), Dr. Claas-Olsen Behn (Chief Medical Information Officer (CMIO) am UKSH Kiel), Dr. Olaf Tauras (Staatssekretär Ministerium für Justiz und Gesundheit), Dirk Schnack (Moderation), Prof. Dr. Philipp Rostalski (Direktor Fraunhofer IMTE, Lübeck)

KI in Schleswig-Holstein

Dr. Olaf Tauras, Staatssekretär im Ministerium für Justiz und Gesundheit, betonte in seiner Keynote die Chancen und Risiken von KI in der Medizin. Für ihren Erfolg braucht es einen einheitlichen Datenstandard und klar definierten Nutzen. Er verwies auf die qualitätsgesicherte Mamma-Diagnostik (QuaMaDi), die seit 2001 in Schleswig-Holstein ein Beispiel für qualitätsgesicherte Brustkrebsdiagnostik ist. Ab diesem Sommer unterstützt KI auch QuaMaDi, um die Diagnosesicherheit zu erhöhen und Ärzte bei Routineaufgaben zu entlasten. Auch das Universitätsklinikum Schleswig-Holstein hat als erstes Krankenhaus in Deutschland die Software MAIA eingeführt, die Ärzte bei klinischen Entscheidungen unterstützt, indem sie auf potenziell unerkannte Krankheiten hinweist. Insgesamt herrscht die Überzeugung, dass KI das Gesundheitswesen grundlegend reformieren und in bestimmten Bereichen radikal verändern kann.

Moderator Dirk Schnack leitete zum nächsten Vortrag über mit Zitaten, die Ängste vor KI verdeutlichen: „Die Entwicklung Künstlicher Intelligenz könnte das Schlimmste oder das Beste sein, was den Menschen passiert ist“, warnte Stephen Hawking bereits vor acht Jahren. Elon Musk sagte 2018: „KI ist weitaus gefährlicher als Atomwaffen.“

Mehr Datennutz statt Datenschutz

Prof. Dr. Philipp Rostalski, Direktor der Fraunhofer-Einrichtung für Individualisierte und Zellbasierte Medizintechnik, wies auf eine gesellschaftliche Herausforderung hin: Bis 2035 fehlen im Gesundheitsbereich 1,8 Millionen Fachkräfte. KI, Robotik und Digitalisierung könnten helfen, diese Lücke zu schließen. Er zeigte Beispiele aus der Bildverarbeitung zur Klassifikation Diabetischer Retinopathie und der Automatisierung auf Intensivstationen. Im Interview betonte er, dass Forscher Daten brauchen, um solche Systeme zu entwickeln. Er plädierte für mehr Datennutzung statt Datenschutz, wobei er nicht gegen Datenschutz ist, aber eine Abwägung fordert.

Ein Einspielfilm stellte das Projekt APONA am UKSH Campus Lübeck vor, ein System zur Prozess- und Ressourcenoptimierung in Notaufnahmen. Es entwickelt patientenspezifische Vorhersagen in Echtzeit und analysiert Daten, um Bettenverfügbarkeit und Personalbedarf zu koordinieren, was Wartezeiten reduziert und Notaufnahmen deutlich entlastet. 

Lösen wir Probleme besser als bisher?

Dr. Mattis Hartwig, Geschäftsführer von singularIT, zeigte sich überzeugt, dass sich alles schnell weiterentwickelt. Sprachmodelle als Agenten nutzen Submodelle und holen deren Ergebnisse zurück. Auf die Frage nach der Definition von KI antwortete er, dass Intelligenz das sei, was Probleme besser löst als zuvor.

Mehr Chancen als Risiken

In der abschließenden Gesprächsrunde nahmen Dr. Olaf Tauras, Dr. Bettina Schultz (Vorstandsvorsitzende der KV Schleswig-Holstein), Dr. Claas-Olsen Behn (Chief Medical Information Officer (CMIO) am UKSH Kiel) und Dr. Bernd Hillebrandt teil. Hillebrandt zitierte eine Umfrage, wonach in jeder siebten Arztpraxis bereits KI im Einsatz ist. Dr. Schultz sieht in KI die Chance, Freiräume zu schaffen, um sich ärztlichen Tätigkeiten zu widmen. Dr. Tauras berichtete von Verbesserungen in der Bilddiagnostik und sieht Effizienzsteigerung als Chance. Dr. Behn betonte die Notwendigkeit, technologische Innovationen sinnvoll zu integrieren. Er sieht die Gefahr der Überschätzung von KI. Dr. Hillebrandt kritisierte die Verzögerungen bei der Einführung der elektronischen Patientenakte und sieht in der mangelnden Interoperabilität ein Problem.

Die Veranstaltung zeigte, dass KI bereits im Klinikalltag und in Arztpraxen Routineaufgaben übernimmt. Automatisierte Dokumentation, intelligente Bettenplanung und KI-gestützte Telefonassistenten entlasten Ärzte und Pflegekräfte. In der Medikamentenforschung hilft KI, Wirkstoffkandidaten schneller zu identifizieren. 

Resümee

Trotz Fortschritten bleiben Herausforderungen. Datenschutz, ethische Fragen und transparente Regulierung sind entscheidend, um Vertrauen in KI-Lösungen zu stärken. Das Arzt-Patienten-Verhältnis darf nicht durch Daten oder Algorithmen gestört werden. Ärzte sollten in Entwicklungsprozesse eingebunden werden. Perfekte Patientenversorgung bleibt ein Ziel – KI kann sie realistischer machen, aber nicht garantieren, so Dr. Hillebrandt in seinem Resümee.

Für den Landesgeschäftsführer Dr. Hillebrandt war dies der letzte Norddeutsche Dialog. Er verabschiedete sich in den wohlverdienten Ruhestand, da er bereits seit Mai offiziell Rentner ist. Endgültig Schluss mit dem Berufsleben ist dann im Lauf dieses Jahres. Ab November warten ohnehin neue Aufgaben auf ihn: ehrenamtliche Tätigkeiten und familiäre Verpflichtungen, denn er wird zum ersten Mal Großvater. Die Kolleginnen und Kollegen der Landesvertretung werden ihn vermissen – den Chef, den man morgens am besten erst nach der ersten Tasse Kaffee anspricht ;-)