Herr Dr. Hillebrandt, welche Projekte oder Initiativen sind Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben?
Mir bleiben neben verschiedenen IV-Verträgen insbesondere die kommunalen MVZ (Medizinische Versorgungszentren), das Projekt QuaMaDi (Qualitätsgesicherte Mammadiagnostik) und der Qualitätsvertrag mit der Lubinus Stiftung in Erinnerung.
„Wir brauchen 20 Mal Büsum“ – so titelte vor sieben Jahren die Ärztezeitung nach meinem ersten öffentlichen Statement als Landesgeschäftsführer der Barmer in Schleswig-Holstein. Büsum war damals Vorreiter: Die Gemeinde betrieb ein Medizinisches Versorgungszentrum – ein Novum in Deutschland. Dieses Modell gilt heute als Vorbild im Kampf gegen den Ärztemangel auf dem Land. Bundesweit gibt es nur wenige Dutzend kommunale MVZ, doch Schleswig-Holstein hat mit sieben kommunalen MVZ und zwei kommunalen Eigeneinrichtungen eine Vorreiterrolle – auch dank der Ärztegenossenschaft Nord, die Planung und Umsetzung aktiv unterstützt.
Die Brustkrebs-Früherkennung in Schleswig-Holstein hat mit der Digitalisierung von QuaMaDi ein neues Kapitel aufgeschlagen. Rund 75.000 Patientinnen profitieren jährlich von einer schnelleren Diagnostik dank einer gemeinsamen elektronischen Fallakte. Papierberge gehören der Vergangenheit an, Wartezeiten auf Ergebnisse verkürzen sich und Therapien können früher beginnen. Das Mehr-Augen-Prinzip – zwei Radiologen beurteilen unabhängig – erhöht die Diagnosesicherheit. Bei Unklarheiten wird zusätzlich ein klinisches Brustzentrum hinzugezogen, um Fehldiagnosen zu minimieren. Früher wurden jährlich etwa 250.000 Papierbefunde und 75.000 Mammographien zwischen Fachärzten quer durch Schleswig-Holstein transportiert. Heute sind alle Beteiligten digital vernetzt und haben sofort Zugriff auf Befunde und Behandlungsdaten. Dieses Projekt war teuer und es war nicht leicht, im eigenen Haus Befürworter zu finden. Trotzdem ist es mir gelungen. Fast alle Krankenkassen in Schleswig-Holstein machen mit und ich bin sicher, dass wir damit Leben retten.
Seit Jahresbeginn haben wir mit dem Lubinus-Krankenhaus einen Qualitätsvertrag für Hüft- und Kniegelenkprothesen abgeschlossen. Ziel ist Exzellenzqualität: bessere Behandlungsergebnisse, weniger Komplikationen, niedrigere Revisionsraten und zufriedenere Patienten. Das Krankenhaus nutzt ein CT-basiertes, robotisches Assistenzsystem, das Eingriffe präzise plant und führt. Digitale Analytics-Programme optimieren die Abläufe. Patienten werden aktiv eingebunden: Sie durchlaufen einen teildigitalisierten Behandlungsweg mit Vor- und Nachsorge, unterstützt durch PROM-Erhebungen, Remote Monitoring sowie Checklisten und Aufklärungsinhalte. Erstmals vergüten Krankenkassen hier nach Qualität, nicht nach Menge! Das Krankenhaus muss also nicht mehr auf Fallzahlen setzen, wie es bei der üblichen DRG-Vergütung der Fall ist. Ich halte das für einen Meilenstein – ein Modell, das Schule machen sollte!
Welchen Rat würden Sie jungen Führungskräften im Gesundheitswesen mit auf den Weg geben?
Behandle deine Mitarbeiter so, wie du selbst behandelt werden möchtest! Dieses Prinzip war immer mein Leitfaden – und es macht Führung einfacher. Mir hat Führung Freude bereitet, besonders zu sehen, wie sich junge Mitarbeiter entwickeln. Dafür brauchen sie Freiräume und Entscheidungsfreiheit – auch Fehler gehören dazu. Gerade dann ist die Führungskraft gefragt: beraten, unterstützen, motivieren und den Rücken stärken. Ich habe auch erlebt, dass Lob oft mehr bewirkt als eine Gehaltserhöhung. Klar ist aber auch: Eine Führungskraft ist nur so gut wie ihr Team. Ein offenes Ohr für die Mitarbeiter fördert den Teamgeist und sorgt für ein harmonisches Miteinander.
Was werden Sie am meisten an Ihrer Tätigkeit vermissen?
Das Team der Barmer-Landesvertretung, die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Vertragspartnern und die direkte Art der Menschen in Schleswig-Holstein werde ich vermissen. Während meiner Zeit in Kiel musste ich etwa die Hälfte meines Teams ersetzen, weil viele in Rente gingen. Bei der Nachfolge habe ich immer auf Teamfähigkeit geachtet – das hat sich ausgezahlt. Fachliches kann man lernen, aber es braucht Zeit. Am besten ist es, wenn Ältere die Jüngeren einarbeiten. Dieses Glück hatte ich oft.
Ein gutes Miteinander zeigte sich auch mit unseren Vertragspartnern. Probleme machte man nicht öffentlich, sondern suchte das direkte Gespräch und fand Lösungen. Dabei half mir manchmal meine Erfahrung „auf der dunklen Seite der Macht“ aus der Zeit vor der Barmer. Und der typisch norddeutsche Menschenschlag war dabei ein weiterer Vorteil: direkt, ohne Umwege. Das schätze ich sehr! Übrigens: Viele „Südländer“ verstehen es nicht, aber „Moin“ ist ein vollständiger Satz – mit Subjekt, Prädikat und Objekt.
Wie planen Sie Ihren Ruhestand zu gestalten?
Ich werde nicht den Tag mit Arztterminen füllen oder Enten füttern und abends vor dem Fernseher einschlafen. Stattdessen möchte ich mich ehrenamtlich engagieren. Hamburg, wo ich wohne, bietet viele Möglichkeiten: Hanseatic Help, Dialog in Deutsch oder Projekte an Schulen, die Jugendliche auf das Leben nach der Schule vorbereiten.
Hanseatic Help unterstützt über 300 gemeinnützige Einrichtungen in Hamburg und Norddeutschland – von Obdachlosenhilfe und Geflüchtetenunterkünften bis zu Kinder- und Jugendprojekten. Meine Frau engagiert sich bereits in den Kleider-Stores, und auch ich kann mir dort eine Aufgabe vorstellen.
In Hamburg leben rund 500.000 Menschen mit ausländischer Herkunft aus über 180 Nationen, viele sprechen noch kein Deutsch. Hier setzen die über 100 Dialog-in-Deutsch-Gruppen an: In Buchhandlungen, Stadtteilen und Bibliotheken üben Menschen wöchentlich Deutsch. Dafür werden Moderatoren gesucht. Ich halte das für eine sinnvolle Aufgabe, denn ohne Deutschkenntnisse ist es schwer, in Deutschland Fuß zu fassen.
In meiner Barmer-Zeit habe ich oft mit Auszubildenden gesprochen und gefragt, ob sie unser Sozialsystem oder das Steuersystem verstehen. Die Antworten waren oft ernüchternd. Hier fehlt es an Grundbildung. Ich bin zu tiefst davon überzeugt, dass hier sehr viel nachzuholen ist. Insofern würde ich sehr gern in die Schulabgangsklassen gehen und die „Kids“ auf das „richtige Leben“ vorbereiten – das liegt mir am Herzen.