Pressemitteilung aus Schleswig-Holstein

Immer mehr Psychotherapie für Kinder und Jugendliche – Corona-Pandemie verschärft die Situation

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Kiel, 30. April 2021 – Immer mehr Kinder und Jugendliche in Schleswig-Holstein sind in psychotherapeutischer Behandlung. Innerhalb von elf Jahren hat sich die Zahl der jungen Patientinnen und Patienten mehr als verdoppelt. Das geht aus dem aktuellen Arztreport der Barmer hervor. „Psychische Probleme können für Kinder und Jugendliche ernste Folgen haben. So werden aus kranken Kindern nicht selten kranke Erwachsene. Es ist wichtig, frühzeitig auf die Alarmsignale zu achten. Dessen werden sich offenbar immer mehr Menschen in Schleswig-Holstein bewusst und suchen professionelle Hilfe“, sagt Dr. Bernd Hillebrandt, Landesgeschäftsführer der Barmer in Schleswig-Holstein.

Den Barmer-Auswertungen zufolge wurden im Jahr 2019 in Schleswig-Holstein 3,5 Prozent der unter 25-Jährigen psychotherapeutisch behandelt. Das entspricht rund 24.000 Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Auch wenn in Schleswig-Holstein im bundesweiten Vergleich ein geringerer Anteil junger Menschen in psychotherapeutischer Behandlung war, so waren es dennoch 115 Prozent mehr als 2009. Den meisten Therapiebedarf gab es in Berlin mit einem Anteil von 5,2 Prozent. Der bundesweite Schnitt liegt bei 4,1 Prozent.

Corona-Pandemie hinterlässt bei jungen Menschen Spuren

Die Corona-Pandemie samt strikter Kontaktbeschränkungen dürfte die Situation noch ein Stück weit verschärfen. Allein im ersten Halbjahr 2020 stieg in Schleswig-Holstein die Zahl der Psychotherapien für Heranwachsenden bis einschließlich 24 Jahren gegenüber 2019 um mehr als acht Prozent. „Die Corona-Pandemie hinterlässt besonders bei den jungen Menschen Spuren, die ohnehin psychisch angeschlagen sind“, sagt Hillebrandt. „Eltern, Bezugspersonen, Kinder- und Jugendärzte sowie ärztliche und psychologische Psychotherapeuten müssen im Sinne der betroffenen Kinder und Jugendlichen möglichst eng zusammenarbeiten, um zeitnah zu helfen. Eine enge Kooperation ist während der Corona-Pandemie wichtiger denn je“, so Hillebrandt weiter.

Psychotherapie geht häufig jahrelange Leidensgeschichte voraus

Psychische Probleme haben heute zwar einen höheren Stellenwert als früher, dennoch dauert es oft noch zu lange bis Betroffene professionelle Hilfe erhalten. Viele junge Menschen leiden den Ergebnissen des Reports zufolge über Jahre an psychischen Störungen. Dies belegt eine Langzeitbetrachtung von Kindern und Jugendlichen, die im Jahr 2014 erstmals eine Psychotherapie erhalten haben. So wurde bei mehr als jedem/jeder dritten Betroffenen bereits fünf Jahre vor Start einer klassischen Psychotherapie zumindest eine psychische Störung dokumentiert. Bei 40,7 Prozent beschränkten sich die Psychotherapiesitzungen auf maximal ein Jahr. 36,4 Prozent erhielten auch mehr als zwei Jahre nach Start der Behandlung noch Psychotherapien. „Haben sich psychische Probleme erst einmal chronifiziert, wird die Behandlung oft schwieriger und langwieriger“, sagt Hillebrandt. So seien laut Arztreport zum Beispiel bei 62,5 Prozent aller Betroffenen auch noch fünf Jahre nach Start der Psychotherapie psychische Störungen diagnostiziert worden.

Ab der Pubertät sind Mädchen stärker belastet

In welchem Alter nehmen Kinder und Jugendliche psychotherapeutische Hilfe in Anspruch? Auch dieser Frage sind die Analysten der Barmer im Rahmen des Arztreports nachgegangen. Ab einem Alter von acht Jahren bewegen sich die Anteile geschlechtsübergreifend zwischen fünf und sechs Prozent. Im Alter zwischen acht und zwölf Jahren – also vor dem Eintritt in die Pubertät – liegen die Raten bei den Jungen merklich über den der Mädchen. 2019 nahmen in Schleswig-Holstein unter den Elfjährigen 5,0 Prozent der Jungen und 3,5 Prozent der Mädchen psychotherapeutische Hilfe in Anspruch. Im Laufe der Pubertät steigt die Rate bei den Mädchen stark an. Unter den 17-Jährigen lag der Anteil der Mädchen in psychotherapeutischer Behandlung bei 7,0 Prozent und der Jungen bei 3,7 Prozent. Dieser Unterschied bei den Zahlen zwischen Patientinnen und Patienten setzt sich auch bei den jungen Erwachsenen fort. So waren 5,6 Prozent der 24-jährigen Frauen in Behandlung (Männer: 2,6 Prozent).

Mobbing als eine von mehreren Ursachen für Psychotherapie

Die Ursachen für psychische Störungen bei Kindern und Jugendlichen sind äußerst vielfältig. Den Ergebnissen des Arztreports zufolge zählten im Jahr 2019 Reaktionen auf schwere Belastungen und Anpassungsstörungen zu den häufigsten Diagnosen. Darunter fallen Trauererlebnisse genauso wie Mobbing. Zweithäufigster Anlass für den Beginn einer Therapie waren Depressionen, gefolgt von emotionalen Störungen im Kindesalter. „Prävention kann viel dazu beitragen, dass psychische Probleme erst gar nicht entstehen, sich nicht verstetigen und zu einer psychischen Störung führen. Es ist wichtig, dass Hilfsangebote von den Betroffenen, ihren Freunden und Angehörigen unkompliziert nutzbar sind“, sagt Hillebrandt.

Jugendliche auf digitalem Weg erreichen

Um die Probleme von Kindern und Jugendlichen nicht aus den Augen zu verlieren, müssen laut Hillebrandt auch neue Wege gegangen werden. „Hier müssen wir insbesondere die digitale Affinität von Jugendlichen nutzen“, so der Landeschef der Barmer. Ein Mittel können professionelle Chat-Angebote für Jugendliche sein. Die Barmer kooperiert mit dem Portal www.krisenchat.de. Dabei handelt es sich um ein gemeinnütziges Unternehmen, das sich in der Phase des ersten Lockdowns gegründet hat. Bei psychischen Problemen, etwa durch Cybermobbing, können sie sich unkompliziert, kostenfrei und anonym via Chat an geschulte Psychologinnen und Psychologen wenden. „Viele Betroffene haben zum Beispiel Angst, sich den Eltern oder Freunden anzuvertrauen. Deshalb unterstützen wir krisenchat.de als ein niedrigschwelliges und für die Betroffenen anonymes Angebot“, sagt Hillebrandt.

Von der Barmer geförderte Hilfsangebote

Die Barmer fördert seit 2010 das Online Portal FIDEO („Fighting Depression Online“) des Diskussionsforums Depression e. V. für Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 14 und 25 Jahren mit Depressionen. Ebenfalls gefördert von der Kasse wird in Schleswig-Holstein das Schulprogramm „MindMatters“, ein umfassendes Präventionsprogramm für alle Schularten, in dem auch Aspekte wie Umgang mit Stress, Mobbing, Trauer sowie psychische Auffälligkeiten und Störungen mit den Heranwachsenden thematisiert werden.

Angebote der Landesvereinigung für Gesundheitsförderung

In Schleswig-Holstein bietet die Landesvereinigung für Gesundheitsförderung zwei Programme zur Unterstützung des psychischen Wohlbefindens an. Im Elternprogramm „Schatzsuche“, das für Kindertagesstätten konzipiert wurde, werden die Erwachsenen für die Bedürfnisse der Kinder sensibilisiert. Das Präventionsprogramm „Verrückt? Na und!“ bringt das Thema seelische Gesundheit in die Schule. Schüler und Schülerinnen ab der 8. Klasse und ihre Lehrkräfte erhalten die Möglichkeit, sich gemeinsam mit Experten an einem Schultag über seelisches Wohlbefinden, Glück und Krisen, Erfahrungen und Lebenswege austauschen, um so Offenheit und Achtsamkeit im Umgang mit psychischen Krisen und Erkrankungen zu fördern. 

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Torsten Nowak
Pressesprecher Barmer Schleswig-Holstein
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