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Riskante Medikamente gefährden Ungeborene – Barmer fordert „never event“ in Frühschwangerschaft

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Kiel, 17. September 2021 – Mehr als neun Prozent der schleswig-holsteinischen Frauen im gebärfähigen Alter bekommen potenziell kindsschädigende Arzneimittel verordnet, sogenannte Teratogene. Laut aktuellem Arzneimittelreport der Barmer betrifft das in Schleswig-Holstein jährlich mehr als 54.000 Frauen zwischen 13 und 49 Jahren. Problematisch wird deren Einnahme ab dem Beginn einer Schwangerschaft. „Die grundsätzliche Verordnung von teratogenen Arzneimitteln vor einer Schwangerschaft ist nicht das Problem. Vor allem dann nicht, wenn verhütet wird. Spätestens mit Eintritt der Schwangerschaft darf aber kein teratogenes Arzneimittel mehr zum Einsatz kommen. Genau genommen muss der Schutz des ungeborenen Kindes bereits davor beginnen“, sagt Dr. Bernd Hillebrandt, Landesgeschäftsführer der Barmer in Schleswig-Holstein. Deshalb sollten auch Frauen im gebärfähigen Alter mit Dauermedikation einen Rechtsanspruch auf einen bundeseinheitlichen Medikationsplan erhalten. Aktuell besteht dieser erst, wenn mindestens drei Medikamente dauerhaft gleichzeitig eingenommen werden. Damit kann das Risiko für das ungeborene Leben bei einer notwendigen teratogenen Medikation massiv reduziert werden. „Derzeit wird die Arzneimitteltherapie unzureichend dokumentiert. Das führt zu gefährlichen Informationslücken zu Beginn der Schwangerschaft. Vor allem für Gynäkologinnen und Gynäkologen ist es schwer bis unmöglich, rechtzeitig teratogene Arzneimittel abzusetzen“, so Hillebrandt.

Nur wenige Frauen haben Medikationsplan

62 Prozent der Arzneimittelverordnungen erfolgen durch Hausärzte, nur 24 Prozent durch Gynäkologen. Acht von zehn Frauen mit Arzneimitteltherapie vor der Schwangerschaft haben keinen Medikationsplan. Das zeigt eine vertiefende Umfrage unter knapp 1.300 Barmer-versicherten Frauen, die im vergangenen Jahr entbunden haben. „Mit dem Eintritt der Schwangerschaft kommt es zu einem Wechsel des primären Ansprechpartners für die Arzneimitteltherapie – hin zum Gynäkologen – wobei oft eine Informationslücke entsteht. Der Schutz des ungeborenen Kindes muss deshalb schon vor der Schwangerschaft beginnen. Dazu sollte die Gesamtmedikation junger Frauen grundsätzlich auf kindsschädigende Risiken geprüft werden“, sagt Hillebrandt. Nun seien nicht alle riskanten Wirkstoffe im selben Maße gefährlich. Es gebe aber starke Teratogene, die das Risiko für grobe Fehlbildungen des Embryos verzehnfachten, so Hillebrandt. Das hieße, bis zu 30 Prozent der ungeborenen exponierten Kinder könnten eine Schädigung erleiden. Trotzdem haben in Schleswig-Holstein im Jahr 2018 mehr als 4.000 Frauen im gebärfähigen Alter ein starkes teratogenes Arzneimittel verordnet bekommen. „Die behandelnden Ärztinnen und Ärzte passen die Arzneimitteltherapie an die Schwangerschaft zwar sehr wohl an. Das belegen die zurückgehenden Verordnungszahlen von teratogenen Arzneimitteln. Allerdings liegen die Absetzquoten bei den besonders kritischen Präparaten lediglich zwischen 31 und 60 Prozent. Das ist viel zu wenig. Der Einsatz stark fruchtschädigender Arzneimittel ist in keinem Fall vertretbar, wenn es gleichwertige und sicherere Alternativen gibt“, sagt Hillebrandt.

Prüfung der Therapie nach Eintritt der Schwangerschaft kommt zu spät

Im Mittel bemerken Frauen ihre Schwangerschaft in der fünften Schwangerschaftswoche. Die vulnerabelste Phase für den Embryo ist die Organogenese, die bis zur elften Schwangerschaftswoche dauert. Entscheidend ist, in dieser Phase die Anwendung von teratogenen Arzneimitteln zu verhindern. „Unsere Umfrage hat gezeigt, dass die erste Besprechung der Sicherheit der Arzneimitteltherapie mit der behandelnden Ärztin oder dem behandelnden Arzt im Mittel in der siebten Schwangerschaftswoche erfolgte. Das ist definitiv zu spät, weil zu diesem Zeitpunkt die Organogenese schon weit vorangeschritten ist und ein möglicher Schaden durch teratogene Arzneimittel bereits eingetreten sein könnte. Wer einen Medikationsplan führt, hat schon vor der Schwangerschaft einen Risikoüberblick“, so Hillebrandt.

Barmer erprobt Frühwarnsystem

Die Barmer treibt mehrere Projekte voran, bei denen es auch darum geht, dass riskante Verordnungen bei Schwangeren zu „never events“ werden. Das sind Ereignisse, die grundsätzlich vermeidbar sind und solche katastrophalen Konsequenzen haben, dass sie nie auftreten dürfen. So soll es durch das geplante Projekt eRIKA künftig möglich werden, dass Ärztinnen und Ärzte bereits beim Ausstellen eines Rezeptes automatisch Hinweise auf Arzneimittel erhalten, die in der Frühschwangerschaft problematisch sein können. Auch eine patientenfokussierte digitale Anwendung soll bereitgestellt werden, um ergänzend Schwangeren oder Frauen, die eine Schwangerschaft planen, derartige Warnhinweise zu geben.

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