STANDORTinfo Schleswig-Holstein – Ausgabe September 2023

25 Jahre, Medizinstudent, Landtagsabgeordneter: Im Gespräch mit Jasper Balke

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Jasper Balke, Landtagsabgeordneter und Gesundheitspolitischer Sprecher von B´90/Die Grünen im Schleswig-Holsteinischen Landtag

Jasper Balke, Landtagsabgeordneter und Gesundheitspolitischer Sprecher von B´90/Die Grünen im Schleswig-Holsteinischen Landtag

Nach der Landtagswahl 2022 zog Jasper Balke mit 24 Jahren als jüngster Parlamentarier in den schleswig-holsteinischen Landtag ein. Dort ist er als Gesundheitspolitischer Sprecher von B´90/Die Grünen tätig. Der gebürtige Niedersachse wohnt seit 2018 in Lübeck, wo er den Wahlkreis Lübeck-Süd direkt gewonnen hat. Während er in seinem Studium der Humanmedizin bereits die handelnde Medizin kennenlernen konnte, so hat er auch klare Vorstellungen davon, wie das Gesundheitssystem an sich besser aufgestellt werden könnte. Wir sprachen mit ihm.

Das Bundesministerium für Gesundheit hat nach langer Abstimmung mit den Ländern ein Eckpunktepapier beschlossen. Die Arbeiten am Gesetzentwurf sorgen weiterhin für Gesprächsstoff. Sie selber haben die Krankenhausstrukturreform kürzlich als „das wichtigste gesundheitspolitische Projekt der Ampel“ bezeichnet. Welche Hoffnungen für Schleswig-Holstein setzen Sie in die „Revolution“ von Herrn Lauterbach?

Mit dem bisherigen System unserer Krankenhäuser gehen wir (wie so häufig) einen Deutschen Sonderweg. Denn obwohl wir im internationalen Vergleich beinahe führend mit den Gesundheitsausgaben sind, erzielen wir bei den Therapieerfolgen nur mittelmäßige Ergebnisse. Die Gründe dafür sind vielfältig. Im Verhältnis investieren wir viel zu wenig Geld und haben aufgrund der überbordenden Bürokratie und des Personalmangels zu wenig Zeit für gesundheitliche Prävention und Gesundheitsförderung. Außerdem ist nirgendwo auf der Welt der Anteil an stationären Leistungen an allen Krankenhausleistungen so hoch wie in Deutschland. Fließen im OECD-Durchschnitt 64 Prozent der Gesamtkosten im Krankenhaus in stationäre Behandlungen, so sind es in Deutschland ganze 94 Prozent. Dies ist ein ganz falscher Trend. Stattdessen muss das Ziel sein, Krankenhäuser zum einen endlich bedarfsgerecht auszufinanzieren und zum anderen zu Kompetenz- und/oder Gesundheitszentren mit einem vielfältigen Leistungsspektrum mit ambulanten, teilstationären und stationären Angeboten weiterzuentwickeln. Die Reform kann dabei die medizinische Versorgung der Bevölkerung durch die Förderung von spezialisierten und qualitativ hochwertigen Leistungen durch Bündelung von Kompetenzen und Ressourcen auf der einen und durch die eingeführten Vorhaltekosten und fallzahlunabhängigere Vergütung auf der anderen die Grund- und Regelversorgung in der Breite deutlich verbessern. Die Level 1i-Krankenhäuser können einen entscheidenden Beitrag leisten, um sektorenübergreifende Modelle mit digitalen sowie pflegerischen Leistungen und attraktivere Arbeitsbedingungen in interprofessionellen Teams zu schaffen. Für Schleswig-Holstein hängen die Auswirkungen von einigen noch zu klärenden Fragen ab. Klar ist jedoch schon jetzt, dass das UKSH in Zukunft im Sinne der Reform eine koordinierende Funktion verschiedener Angebote schaffen und dadurch sicherlich profitieren wird. Wichtig ist, dass die spezialisierten Leistungen der vielen Fachkliniken in Schleswig-Holstein auch ohne konkrete Zuordnung zu einer Leistungsgruppe angemessen vergütet werden und nach den relativ vagen Formulierungen im Eckpunktepapier endlich Klarheit bekommen. Ebenso relevant ist auch, dass die Kliniken, die ebenfalls eine sehr gute Qualität in spezialisierten Bereichen erzielen, nicht unter einer deutlich höheren Vergütung der Universitätskliniken leiden. Für die besondere Situation der Inseln und Halligen werden bestimmte Ausnahmeregelungen greifen, deren Ausgestaltung erst nach Erstellung der Leistungsgruppen diskutiert werden kann. All das steht nämlich noch unter dem Vorbehalt des künftigen Gesetzestextes und insbesondere der Ausgestaltung der Leistungsgruppen und sektorenübergreifenden Vergütung. Insofern steckt meiner Meinung nach eine Menge Potential im wichtigsten gesundheitspolitischen Projekt der Ampel - ob es aber eine Revolution werden wird, steht noch nicht fest.

Das Gesundheitssystem folgt dem Grundsatz „ambulant vor stationär“. Sie haben diesen Grundsatz nun auf „digital vor ambulant vor stationär“ erweitert. Das klingt spannend. Was hätte das für Folgen für Schleswig-Holstein?

Ich bin sehr sicher, dass das Deutsche Gesundheitssystem zum jetzigen Zeitpunkt die Vorteile der Digitalisierung oder die vermehrte Nutzung von künstlicher Intelligenz nicht einmal ansatzweise in Gänze ausschöpft. Dabei könnte dadurch schon heute nicht nur die Qualität entschieden verbessert, sondern insbesondere auch das Personal endlich von bürokratischen Aufgaben befreit werden. Der Einsatz dieser Technologien ist also längst nicht mehr ein Nice-to-have, sondern ein absoluten Must geworden. Auch wird es durch den Personalmangel und die Bündelung von Kompetenzen und Ressourcen in größeren Versorgungseinrichtungen immer schwieriger, in ländlichen Regionen mit einer geringen Bevölkerungsdichte überall wohnortnahe Strukturen aufrecht zu erhalten. Durch die Altersverteilung der Hausärztinnen und Hausärzte in Schleswig-Holstein (ein Drittel ist über 60 und geht in absehbarer Zeit in Rente) und einen Mangel an Nachwuchs wird sich dieser Trend noch fortsetzen. Nicht jede geschlossene Praxis oder Apotheke wird ersetzt werden können - dafür hätte die Politik viel früher handeln müssen. Deshalb ist es unabdingbar, gerade für besagte Regionen neue Wege zur Sicherstellung eines flächendeckenden Angebots zu schaffen. Diese werden weitestgehend digital sein. Schon heute könnten nämlich viele Wege zum Arzt/zur Ärztin verhindert werden, wenn Routineuntersuchungen via Telemedizin oder Telemonitoring und bei Bedarf assistiert durch nicht-ärztliches oder pflegerisches Fachpersonal durchgeführt werden würden. Die Überwachung von Vitalparametern, Durchführung von Blickdiagnosen oder die Verschreibung von Medikamenten müssen in Zukunft ganz einfach über digitale Wege und ohne hohen Zeit- und Ressourcenaufwand möglich sein. Die Krankenhausstrukturreform schafft dafür über sektorenübergreifende Versorger und überregionale Koordinationszentren schon genau die richtigen Anreize. Dieser Weg muss über die erweiterte Aufnahme von Telemonitoring in die Regelversorgung und attraktivere Vergütung telemedizinischer Angebote fortgesetzt werden. Auch muss sich die Politik eine klare Kommunikation aneignen und für gesellschaftliche Akzeptanz werben. Denn während in anderen Ländern digitale Leistungen im Gesundheitsbereich längst normal sind, gibt es in Deutschland immer wieder Vorbehalte beim Datenschutz oder der Handhabung mit digitalen Geräten. Hier gilt es, insbesondere ältere und wenig digital affine Menschen nicht zu überfordern und die Bevölkerung über die Vorteile neuer Wege in der Gesundheitsversorgung aufzuklären und dafür zu sensibilisieren.

Das Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz soll u. a. die Versorgung in sozial oder strukturell benachteiligten Regionen verbessern. Dafür sieht der Entwurf u. a. die Einrichtung von Gesundheitskiosken, Gesundheitsregionen und Primärversorgungszentren vor. Wie stehen Sie zu diesen zusätzlichen Versorgungsalternativen?

In Deutschland besteht ein eindeutiger Zusammenhang zwischen Einkommen, der sozialen Situation und dem individuellen Gesundheitszustand. Sich mit der Förderung der eigenen Gesundheit beschäftigen zu können, ist ein Privileg, für das Vielen die Bildung, das Geld oder schlicht die Zeit fehlt. Ziel muss deshalb die Schaffung individueller gesundheitlicher Handlungskompetenzen und proaktiver, gesundheitsfördernder Angebote sein. Hier setzt das Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG) richtigerweise an, indem es den Kommunen die Möglichkeit gibt, auf die unterschiedlichen sozialen oder demographischen Gegebenheiten vor Ort zu reagieren. Grundsätzlich muss es in Zukunft deutlich leichter sein, innovative Versorgungsmodelle auf den Weg zu bringen, die an die Bedarfe angepasst sind. Denn eine Region mit vielen jungen Familien braucht andere Strukturen als eine mit alleinstehenden Menschen im Rentenalter. Der Fokus muss deshalb zukünftig auf einem regionalen Pflege- und Gesundheitsmanagement liegen. Am vielversprechendsten sind dabei aus meiner Sicht die durch das Gesetz ermöglichten Gesundheitsregionen, die das Potential haben, die Gesundheitsversorgung vor Ort bürgernah und niedrigschwellig zu gestalten. Denn so können Ressourcen von bereits bestehenden Strukturen mit selbstständig agierendem Fachpersonal, Quartierskonzepten, ambulanter Pflege, teilstationären und stationären Kurz- und Langzeitpflegeeinrichtungen sowie gesundheitsfördernden Angeboten besser aufeinander abgestimmt werden. Auch können so Über- und Unterversorgung verhindert werden. Für Orte, die besonders durch den demographischen Wandel betroffen sind, können Primärversorgungszentren mit Spezialisierung auf multimorbide Patientinnen und Patienten ein Werkzeug des regionalen Gesundheitsmanagements sein. Grundsätzlich gilt jedoch, dass im Sinne einer intelligenten Patientensteuerung Doppelstrukturen in der Regelversorgung möglichst verhindert werden müssen. Auch vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels muss z. B. darauf geachtet werden, dass für die Gesundheitskioske erforderlichen Aufgabenprofile überhaupt genug Personal mit entsprechender Expertise vorhanden ist. Denn bevor neue Berufsbilder eingeführt werden, sollten Bund und Länder sich zunächst auf den Aufbau von Ausbildungsstrukturen für längst angekündigte Berufsgruppen wie die Community Health Nurse konzentrieren, die nämlich viel zur Stärkung der pflegerischen und gesundheitlichen Versorgung in einer Region/im Quartier beitragen kann.

Sie haben Ihren Wahlkreis Lübeck-Süd auf Anhieb gewonnen und sind als Direktkandidat in den Landtag eingezogen. In Lübeck finden nun im traditionsreichen Marienkrankenhaus seit dem 10. Juli keine Entbindungen mehr statt. Das für belegärztliche Behandlungen bekannte Marienkrankenhaus steht nun vor einer ungewissen Zukunft. Wie sehen Sie die Zukunft des Marienkrankenhauses?

Der Wegfall der Geburtshilfe am Standort Parade auf der Altstadtinsel ist ein großer Verlust. Er ist jedoch leider auch logische Folge aus zu langem Zuschauen der Verantwortlichen vor Ort, denn bereits seit mehreren Jahren war bekannt, dass der Standort rote Zahlen schrieb (knapp eine Million Euro jährlich) und das Belegärztliche Personal in absehbarer Zeit nicht mehr ausreichen würde. Wichtig ist jetzt als aller erstes, dass der Übergang der Geburtshilfe an den Standort des UKSH weiterhin mit großer Sorgfalt ausgestaltet wird. Dem verantwortlichen Personal gilt dafür unser aller Dank und mein größter Respekt. Doch das Ende der Geburtshilfe muss keineswegs das Ende der Gesundheitsversorgung am Standort Parade bedeuten. Deshalb ist es genau richtig, dass die Hansestadt gerade in Gespräche dazu eingetreten ist, um die Zukunft eines modernen Gesundheitsstandorts zu gestalten. So ist aus meiner Sicht denkbar, entweder auf dem Belegärztlichen Modell der ambulanten Versorgung aufzubauen und dieses um weitere fachärztliche Strukturen zu ergänzen. Dazu besteht die Möglichkeit, ein stationäres Angebot, z. B. für die Langzeitpflege mit teilstationären und/oder solitären Kurzzeitpflegeplätzen aufzubauen. Dies ist durch den Wegfall von pflegerischen Strukturen an anderen Stellen der Hansestadt auch dringend notwendig.

Für ein solches Modell mit einem breiten medizinischen und pflegerischen Leistungsspektrum ist der Standort aufgrund seiner zentralen Lage und Anbindung an den ÖPNV, Nähe zu Apotheken und nicht zuletzt zu weiteren Gesundheitseinrichtungen wirklich passend. Damit entspräche das Modell am Standort Parade genau dem Angebot, das das Eckpunktepapier zur Krankenhausstrukturreform einem sektorenübergreifenden Versorger (Level 1i-Krankenhaus) zuordnen würde. Bei einer erfolgreichen Strukturreform und Ausgestaltung einer sektorenverbindenden Vergütung würde so auch eine langfristige und vielversprechende Perspektive für den Gesundheitsstandort bestehen. Sollten sich das Personal und alle weiteren Akteurinnen und Akteure einvernehmlich darauf verständigen, könnte so mitten auf der Lübecker Altstadtinsel ein Leuchtturm der zukunftsorientierten Gesundheitsversorgung entstehen. Für ein Gelingen dieses Vorhabens werde ich mich weiterhin mit aller Kraft einbringen.

Vielen Dank für das Gespräch!