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Pflegeberufegesetz - Interview mit Prof. Dr. med. habil. Jörg Klewer

Lesedauer unter 4 Minuten

Zum 01.01.2016 ist der Entwurf eines Gesetzes zur Reform der Pflegeberufe vorgestellt worden. Die Anforderungen an die pflegerische Versorgung und an das Pflegepersonal unterliegen einem Wandel, so lautet es im Entwurf. Um für die Zukunft gerüstet zu sein, muss ein Umdenken stattfinden. Es muss die strikte Trennung der Pflegeberufe in Kinderkranken-, Kranken- und Altenpflege aufgehoben werden, so sieht es der Gesetzentwurf der Bundesregierung vor. Sich wandelnde Versorgungsstrukturen erfordern zunehmend eine übergreifende pflegerische Qualifikation. Mit Blick auf den bereits heute bestehenden Fachkräftemangel ist die nachhaltige Sicherung der Fachkräftebasis und auch die Aufwertung des Pflegeberufsstandes eine wichtige Aufgabe bei der Reform der Pflegeausbildung.

Prof. Jörg Klewer


NACHGEFRAGT UND AUF DEN PUNKT gebracht

STANDORTinfo sprach dazu mit Prof.  Dr.  med.  habil. Jörg Klewer.

  • In der Pflege finden wir spezialisierte Fachkräfte für die Krankenpflege, die Kinderkrankenpflege und für die Altenpflege. Sind Sie auch der Meinung, dass nur eine generalistische Pflegeausbildung den Fachkräftemangel der Zukunft aufhalten kann. Wenn, ja warum?
    "Nur" impliziert einfache Lösungen, die es leider nicht gibt. Die Änderung der Pflegeausbildung ist lediglich ein Baustein zur Linderung des Fachkräftemangels. Immerhin wird der Pflegeberuf dadurch für junge Menschen attraktiver, da sich diese nicht mehr frühzeitig auf eine pflegerische Fachrichtung festlegen müssen. Durch die zusätzliche Möglichkeit Pflege auch zu studieren, können außerdem wieder mehr Abiturienten für die Pflege interessiert werden.
  • Gibt es aus Ihrer Sicht auch andere Alternativen?
    Außer der Beibehaltung des Status quo: Nein. Zur generalistischen Ausbildung in der Pflege liegen seit Jahrzehnten positive internationale Erfahrungen vor. Gleiches gilt für die bisherigen Modellversuche in Deutschland. Eigentlich müsste die Reform der Ausbildung den Anteil der akademisch qualifizierten Pflegekräfte nicht nur bis zum Bachelorabschluss, sondern bis auf das Masterniveau ausgestalten.
  • Wäre eine generalisierte Ausbildung in der Pflege mit späterem universellem Einsatz der ausgebildeten Pflegekräfte nicht auch ein Rückschritt in der Pflegequalität?
    Diese Diskussion vernachlässigt, dass die pflegerische Ausbildung nur der erste Schritt der beruflichen Qualifizierung ist. Daran würden sich weitere pflegerische Spezialisierungen (Fachpflegekräfte) anschließen. Diesen Qualifizierungsweg gibt es bereits jetzt schon. Hochentwickelte Gesundheitssysteme, wie bspw. in den USA, qualifizieren seit Jahrzehnten nach dem Modell der generalistischen (akademischen) Pflegeausbildung mit nachfolgender Spezialisierung, ohne dass dort Qualitätseinbußen zu erkennen sind. Im Gegenteil, die Pflegekräfte sind dort hochqualifiziert. Auch in der Medizin absolvieren alle Ärzte zuerst ein generalistisches Medizinstudium, bevor die fachärztliche Spezialisierung erfolgt. Dieses Modell wird interessanterweise von niemanden kritisiert.
  • Wertet eine generalistische Pflegeausbildung den Berufsstand der Pflegeberufe wirklich auf oder wird der der Kinderkrankenpflege und Krankenpflege nicht sogar abgewertet?
    Die Aufwertung resultiert weniger aus der generalisierten Pflegeausbildung, sondern aus dem bislang ebenfalls kaum diskutierten Teil des neuen Pflegeberufegesetzes, welcher auch eine akademische Qualifizierung in der Pflege an Hochschulen vorsieht. Durch den geplanten Vorbehalt einzelner pflegerischer Tätigkeiten nur für Fachkräfte mit einer pflegerischen Ausbildung wird der Berufsstand ebenfalls aufgewertet. Die Vorbehaltsregelung des neuen Pflegeberufegesetzes kann somit dazu beitragen, dass endlich deutlich wird: "Pflegen kann nicht jeder"! Insgesamt kann eine Aufwertung der Pflege jedoch nur durch eine veränderte gesellschaftliche Wahrnehmung erfolgen.
  • Welche Faktoren sind für eine Attraktivitätssteigerung des Altenpflegeberufes noch von Bedeutung?
    Für die Altenpflege ist vor allem die gesellschaftliche Wertschätzung der Tätigkeit von Bedeutung. Stationäre Pflegeeinrichtungen dürfen nicht nur als „letzte Option“ für alte Menschen gesehen werden, sondern als eine von mehreren sinnvollen Möglichkeiten zur Gestaltung des Lebens im Alter. Diese sehr facettenreiche Tätigkeit muss dann auch entsprechend entlohnt werden.
  • Was ist aus Ihrer Sicht zum Thema sonst noch wichtig?
    In der Debatte um die generalistische Pflegeausbildung wird vordergründig über die Ausbildungsqualität gestritten, obwohl es eigentlich um die Finanzierung von Pflegekräften geht. So ist es für generalistisch ausgebildete Pflegekräfte einfacher den Arbeitsplatz zu wechseln. Sie sind weniger an eine Institution, bspw. eine Pflegeeinrichtung, gebunden. Eine dreijährige generalistische Ausbildung bzw. ein Pflegestudium mit zum Teil nachfolgender fachlicher Qualifizierung wird zu hochqualifizierten Pflegeexperten führen. Daraus wiederum resultiert eine bessere Patientenversorgung. Das zeigen internationale Studien seit Jahren. Diese Pflegeexperten müssen jedoch deutlich besser bezahlt werden. Vor dieser Finanzierungsaufgabe stehen dann Arbeitgeber und letztlich auch die Kranken- und Pflegekassen. Außerdem weist die Debatte über die generalistische Pflegeausbildung auf die nicht mehr zeitgemäße sektorale Untergliederung des deutschen Gesundheitssystems hin, bspw. in ambulant und stationär, Akuttherapie und Rehabilitation oder die Einteilung der Patienten nach Altersklassen. Wenn diese strukturellen Grenzen zugunsten einer Patientenorientierung überwunden werden könnten, würden manche der Diskussionen um die generalistische Pflegeausbildung hinfällig werden.

STANDORTinfo bedankt sich für das Gespräch.