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Hunderte Kinder sind in Sachsen ungeimpft

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Gravierende Impflücken - Kein 'Herdenschutz': Impflücken sind in Sachsen größer als bisher gedacht. Jedes fünfte im Jahr 2011 geborene sächsische Kind war bis zum sechsten Lebensjahr beispielsweise nicht oder nur unvollständig gegen Masern geimpft. Landesweit hochgerechnet betraf das 2017 rund 7.500 Schulanfänger. Überhaupt keine der 13 empfohlenen Schutzimpfungen bis zum sechsten Lebensjahr haben 2,6 Prozent aller Schulanfänger und damit rund 1.000 sächsische Kinder dieses Jahrgangs.

Ungeimpfte Kinder: Deutschlandkarte


Dresden, 30. Oktober 2019 – Den von der STIKO empfohlenen vollständigen Impfschutz für Kinder haben in Sachsen weniger als 90 Prozent der Schulanfänger. Zu diesem Ergebnis kommt der aktuelle Barmer Arzneimittelreport. Bei den Impfungen gegen Mumps, Masern und Röteln liegt der Anteil sogar noch unter 80 Prozent. Jedes fünfte im Jahr 2011 geborene sächsische Kind war bis zum sechsten Lebensjahr beispielsweise nicht oder nur unvollständig gegen Masern geimpft. Landesweit hochgerechnet betraf das 2017 rund 7.500 Schulanfänger. Überhaupt keine der 13 empfohlenen Schutzimpfungen bis zum sechsten Lebensjahr haben 2,6 Prozent aller Schulanfänger und damit rund 1.000 sächsische Kinder dieses Jahrgangs. „Die Ergebnisse lassen uns aufhorchen. Damit sind die Impflücken in Sachsen größer als bisher gedacht“, sagt Dr. Fabian Magerl, Landesgeschäftsführer der Barmer Sachsen. Allerdings verweist er auch auf die besonderen Impfempfehlungen der Sächsischen Impfkommission. Diese empfiehlt beispielsweise die 2. Masernimpfung erst ab dem fünften Lebensjahr. In Sachsen wird außerdem deutlich häufiger als in anderen Bundesländern noch nach dem sechsten Lebensjahr geimpft.

Besondere Impfempfehlung in Sachsen

Sachsen fokussiert das Schließen von Impflücken noch einmal deutlich in den Jahren um den Ersteinschulungstermin von Kindern. In den empfohlenen Vorsorgeuntersuchungen beim Kinderarzt sowie bei den Begutachtungen zu Einschulungsfähigkeit durch die Gesundheitsämter soll in diesem Alter schwerpunktmäßig auf das Schließen von Impflücken hingewiesen werden. „In vielen Bundesländern wird nach dem sechsten Lebensjahr kaum noch geimpft, in Sachsen schon“, sagt Magerl. Mit den Auswertungen im aktuellen Arzneimittelreport liegen allerdings erstmals repräsentative Erhebungen vor, die zeigen wie viele Kinder bis zum sechsten Lebensjahr tatsächlich nicht geimpft worden sind. Die Impfquoten aus den häufig zitierten Schuleingangsuntersuchungen (Robert-Koch-Institut) basierten bisher ausschließlich auf den vorgelegten Impfpässen. Dabei wurde der Impfstatus von Kindern, die keinen Impfpass hatten, nicht berücksichtigt.

‚Herdenschutz‘ ist dennoch nicht gewährleistet

Beim Schutz vor gefährlichen Infektionskrankheiten und deren Ausbreitung zählen Impfungen zu den effektivsten und sichersten Maßnahmen. Eine Grundimmunisierung gegen die wichtigsten 13 Infektionskrankheiten sollte bei Kindern so zeitig wie möglich erfolgen. Auch Auffrischungsimpfungen im Erwachsenenalter sollte man nicht aus den Augen verlieren. Erst eine Immunisierungsrate der Bevölkerung von 95 Prozent und mehr sorgt dafür, dass ein sogenannter ‚Herdenschutz‘ greifen kann. Impfungen schützen dann nicht nur die eigenen Kinder oder den Erwachsenen selbst. Sie bieten auch denjenigen Schutz, die aus gesundheitlichen Gründen keine Impfungen erhalten dürfen. Dazu gehören beispielsweise chronisch Kranke und auch Säuglinge in den ersten Lebenswochen. „Dafür ist der Schutz vor Infektionskrankheiten aktuell nicht ausreichend. Es ist bedauerlich, dass es unserer Gesellschaft offenbar nicht gelingt, Kinder und chronisch Kranke vor den vermeidbaren Risiken von Infektionskrankheiten zu schützen“, mahnt Magerl. 2017 wurde bei den Schulanfängern in Sachsen nur bei drei der 13 wichtigsten Infektionskrankheiten (Tetanus, Diphtherie und Keuchhusten) eine Durchimpfungsrate von wenigstens knapp 90 Prozent erreicht. Bei Mumps (79,1 Prozent), Masern (79,9 Prozent), Röteln (79,1 Prozent), Pneumokokken (78,3 Prozent), Hepatitis B (68,1 Prozent) und Windpocken (67,3 Prozent) lag sie sogar unter 80 Prozent.

Impfungen werden aufgeschoben und dann vergessen

Anhand der Barmer-Daten ist weiterhin untersucht worden, welche Faktoren Einfluss auf den Impfschutz bei Kindern haben. Dabei hat sich unter anderem ein Zusammenhang zwischen der Präferenz für Homöopathie und der Ablehnung von Impfungen offenbart. Auch bei Kindern mit besonders jungen oder älteren Müttern ist die Wahrscheinlichkeit höher, nicht vollständig geimpft zu sein. Gleiches gilt den Auswertungen zufolge auch für Kinder von Eltern ohne anerkannte Berufsausbildung. Das Geschlecht des Kindes hat hingegen keinen Einfluss auf den Impfstatus. „Sind Impfquoten zu gering, wird häufig angenommen, dass fehlendes Vertrauen in die Impfungen ein wesentlicher Grund dafür ist. Sind jedoch die Zugangswege für eine Impfung umständlich, weil weite Wege oder langfristige Terminplanung eine Rolle spielen, wird manche Impfung einfach immer wieder verschoben. Dann geraten sie leicht in Vergessenheit. Hier können und müssen wir gegensteuern“, fordert Magerl. Denn wer schon als Jugendlicher Impflücken aufweist, der wird sie auch im Erwachsenenalter behalten, wenn nichts geschieht.

Arzt ist wichtigste Informationsquelle

Es ist erstaunlich. Der größte Feind von Impfungen scheint ihr eigener Erfolg zu sein. „Fühlen wir uns zu sicher?“, fragt Magerl und stellt fest: Infektionskrankheiten gelängen immer dann in die öffentliche Wahrnehmung, wenn plötzlich eine Erkrankung wie Masern zu einer Vielzahl von Ansteckungen führe. Dabei dürfe man nicht vergessen, dass sie keine harmlose Kinderkrankheit sind, sondern es bei jedem zehnten Erkranktem zu ernsten Komplikationen kommen könne. Eine von Ärzten ausgesprochene Impfempfehlung, sowie eine Erinnerung fehlende Impfungen nachzuholen, sind für eine positive Impfentscheidung daher sehr wichtig. „Dennoch bleibt es eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, den Schutz gegen Infektionskrankheiten zu etablieren und diese bestenfalls auszurotten“, sagt Magerl. Er fordert mehr zielgruppenspezifische Impfkampagnen mit neuen digitalen Ansätzen, um die Skepsis und möglich Ängste vor Impfungen abzubauen.

Mit digitalem Impfplaner und Erinnerungsanschreiben gegen Impflücken

Das Aufhängen von Postern an Orten des öffentlichen Lebens, in Unternehmen, Schulen und Kindertageseinrichtungen ist nur eine Möglichkeit. „Damit das Thema Impfen im Alltag nicht vergessen wird, brauchen viele Menschen immer auch eine ganz persönliche Erinnerung, am besten direkt von ihrem ständigen Begleiter, dem Smartphone. Mit unserem digitalen Impfplaner haben wir diese Möglichkeit geschaffen“, beschreibt Magerl. Auskunft über den Impfstatus geben und an fehlende oder aufzufrischende Impfungen erinnern, das könne der Impfplaner, den Versicherte kostenlos nutzen können. Parallel dazu werden alle Eltern, die mit Ihren Kindern am Kinder- und Jugendprogramm der Barmer teilnehmen, regelmäßig zur Wahrnehmung der Impftermine aufgefordert. Damit haben Kinder und Eltern statistisch gesehen eine höhere Wahrscheinlichkeit, vollständig geimpft zu sein.

Zugang zu Impfungen erleichtern: Betriebsarzt und Gesundheitsämter

Personengruppen, die selten den Hausarzt oder andere Vertragsärzte aufsuchen, erreicht man mit Impf- und auch anderen Gesundheitsangeboten viel besser direkt am Arbeitsplatz. So haben Versicherte der Barmer seit diesem Jahr die Möglichkeit, auch Schutzimpfungen wie jene gegen Pneumokokken oder Masern direkt vom Betriebsarzt zu erhalten. Die Kosten dafür übernimmt die Barmer. Möglich geworden ist das durch einen Vertrag mit der Deutschen Gesellschaft für Arbeits- und Umweltmedizin. Es ist der erste bundesweite Abschluss, der die Versorgung mit Schutzimpfungen durch Betriebsärzte in Verbindung mit einem Selektivvertrag zur besonderen Versorgung ermöglicht. „Wir halten das für sehr sinnvoll, um Beschäftigte auch im Arbeitsumfeld zu erreichen und die Hürden für Impfungen so niedrig wie möglich zu gestalten“, verdeutlicht Magerl.

Mehr zum Thema:

  • Die Ständige Impfkommission entwickelt Impfempfehlungen für Deutschland und berücksichtigt dabei nicht nur deren Nutzen für das geimpfte Individuum, sondern auch für die gesamte Bevölkerung. Die 18-köpfige Expertengruppe ist beim Robert Koch-Institut in Berlin angesiedelt und trifft sich zweimal jährlich, um sich mit den gesundheitspolitisch wichtigen Fragen zu Schutzimpfungen und Infektionskrankheiten in Forschung und Praxis zu beschäftigen und entsprechende Empfehlungen (darunter auch den jeweils gültigen Impfkalender) herauszugeben. Die Empfehlungen der STIKO, die in der Regel jährlich im Epidemiologischen Bulletin des RKI veröffentlicht werden, dienen den Bundesländern als Vorlage für ihre öffentlichen Impfempfehlungen.
  • Die 13 wichtigsten Infektionskrankheiten, für die die STIKO eine Grundimmunisierung innerhalb der ersten beiden Lebensjahre empfiehlt: Tetanus, Diphtherie, Pertussis (Keuchhusten), Hib, Poliomyelitis (Kinderlähmung), Hepatitis B, Pneumokokken, Rotaviren, Masern, Mumps, Röteln, Varizellen (Windpocken), Meningokokken C; zusätzlich seit Juni 2018 für beide Geschlechter HPV
  • Sachsen hat eine eigene Sächsische Impfkommision. https://www.slaek.de/de/03/36impfen/module/siko-m1.php Die Empfehlungen zu den Impfzeiträumen variieren gegenüber der STIKO. Sächsischer Impfkalender: https://www.slaek.de/de/03/impfen.php
  • In Sachsen sind im Jahr 2019 bislang 17 Masernfälle gemeldet worden. Im Jahr 2018 waren es 10, im Jahr 2017 waren es 66 Fälle. (Quelle: RKI)

Weitere Informationen
Barmer Kinder- und Jugendprogramm unter: www.barmer.de/a0000686
Digitaler Impfplaner der Barmer unter www.barmer.de/a002640
Barmer Arzneimittelreport 2019: www.barmer.de/p007956

Kontakt für die Presse:

Claudia Szymula
Pressesprecherin Barmer Sachsen
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