Die Medizin in Deutschland berücksichtigt das biologische Geschlecht der Patientinnen und Patienten nur unzureichend. Das hat eine Veranstaltung der Barmer-Landesvertretung Rheinland-Pfalz/Saarland gezeigt, die die geschlechtersensible Medizin zum Gegenstand hatte. „Die Forschung zeigt mehr und mehr, dass Frauen und Männer anders krank sind. Krankheitssymptome können sich bei ihnen grundlegend unterscheiden und auch Therapien müssen geschlechterspezifisch differenziert werden“, sagte Dunja Kleis, Landesgeschäftsführerin der Barmer in Rheinland-Pfalz und im Saarland.
Männer und Frauen erleben Herzinfarkte oft unterschiedlich
Kleis verwies auf Herzinfarkte, die bei Frauen schlechter und später erkannt werden würden als bei Männern: „Frauen mit Herzinfarkt berichten oft über andere Symptome als Männer. Das kann zu einer verzögerten Notfallbehandlung führen.“ Ein weiteres Problem sei die schlechte Erforschung der Frau. „Geforscht, gelehrt und getestet wird vorwiegend an Männern. Besonders Arzneistudien sind überwiegend mit Männern mittleren Alters durchgeführt und ihre Ergebnisse einfach auf Frauen übertragen worden“, berichtete die Barmer-Landesgeschäftsführerin. Doch Frauen seien nicht kleinere, leichtere Männer. „Der weibliche Körper reagiert anders auf Medikamente und benötigt eine auf ihn abgestimmte Therapie. Im Ergebnis leiden Frauen besonders oft unter Nebenwirkungen“, betonte Kleis.
„Exzellente Medizin ist geschlechtersensibel“
Dr. Ute Seeland, Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Geschlechtsspezifische Medizin sowie Fachärztin für Innere Medizin und Gendermedizin an der Charité in Berlin, sagte: „Exzellente Medizin ist geschlechtersensibel. Die geschlechtersensible Medizin unter Berücksichtigung weiterer Diversitätsfaktoren, auch GSM+ genannt, eröffnet neue Denkräume und trägt dazu bei, innovative Forschungsfragen zu stellen.“ Vergessen und Neues erlernen würden zusammengehören. Die GSM+ ermögliche eine individuellere Sichtweise auf die Erhaltung von Gesundheit und die Entstehung und den Verlauf von Krankheit.
„Vielfalt in der Medizin anerkennen“
Nach den Worten von Dr. Seeland berücksichtigt die GSM+ die Interaktion zwischen biologischem Geschlecht und soziokulturellem Geschlechterverständnis. „Vielfalt in der Medizin anzuerkennen und für das tägliche Handeln aller im Gesundheitsbereich Tätigen nutzbar zu machen, sollte ein Prozess sein, der sowohl von der Gesellschaft als auch den Verantwortlichen für das Gesundheitssystem unterstützt wird. Lernziele in die Lehre zu bringen und Digitalisierung klug zu nutzen, sind Beispiele für aktuelle Handlungsfelder“, unterstrich Dr. Seeland.