STANDORTinfo für Rheinland-Pfalz und das Saarland

Pharma-Strategie bietet Chancen und Anlass zu Kritik

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Dunja Kleis, Landesgeschäftsführerin der Barmer in Rheinland-Pfalz und im Saarland, erläutert ihre Sicht auf die Pharma-Strategie der Bundesregierung.

Dunja Kleis steht vor einer Wand.

Foto: BARMER/C. Costard

Kurz vor Weihnachten hat die Bundesregierung ihre Pharma-Strategie beschlossen. Damit soll Deutschland als Forschungs- und Produktionsstandort für die Pharmabranche attraktiver werden. Auch für die Arzneimittelpreisbildung sind Maßnahmen vorgesehen und klinische Studien sollen vereinfacht sowie beschleunigt oder die Zuständigkeiten bei der Arzneimittelzulassung gebündelt werden. Ein zentraler Punkt ist das Bekenntnis der Bundesregierung zur Förderung von Herstellungsstätten in der Europäischen Union und zur Diversifizierung der Lieferketten.

Oft lassen sich Lieferengpässe bei Arzneien auf eine Konzentration der Wirkstoff- und Arzneimittelproduktion an einzelnen Standorten außerhalb Europas vor allem in Indien und China zurückführen. Um die Versorgungssicherheit für unsere Versicherten zu erhöhen, ist es richtig, auf nationaler und europäischer Ebene Maßnahmen zur Stärkung der Arzneimittelproduktion zu treffen, besonders für versorgungskritische Arzneimittel.

Gute Ansätze bei Diversifizierung der Lieferketten

Wichtig sind eine Diversifizierung der Lieferketten sowie ein einheitlicher Rahmen für die Einfuhr und Zulassung von Arzneimitteln aus Drittstaaten. Es ist gut, dass die Bundesregierung hierzu Instrumente prüft wie zum Beispiel Investitionszuschüsse für Produktionsstätten in Deutschland. Allerdings sind die Vorschläge noch recht unkonkret.

Kritisch sind die Vorschläge im Bereich der Arzneimittelpreisbildung. So soll der bislang öffentlich gelistete Erstattungsbetrag neuer Arzneimittel künftig vertraulich bleiben können. Das ist ein großer Fehler, denn die Veröffentlichung des Erstattungsbetrages führt zu dringend benötigter Transparenz im Marktgeschehen. Die Vertraulichkeit wird mittelfristig weitere Kostenbelastungen für die Versichertengemeinschaft mit sich bringen. Das ist kritisch, weil wir in den kommenden Jahren weiter mit deutlich steigenden Ausgaben aufgrund neuer hochpreisiger patentgeschützter Arzneimittel rechnen.

Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz hat sich bewährt

In dieser Gemengelage stellt sich die Frage, wie künftig neue Medikamente schnell auf den Markt kommen und zugleich für die Gesetzliche Krankenversicherung bezahlbar bleiben können. Das 2011 eingeführte Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz, kurz AMNOG, als Preisverhandlungsverfahren für neue Arzneimittel hat sich dabei bewährt. Das zentrale Element ist dabei nicht der Preis des Arzneimittels, sondern der Zusatznutzen gegenüber bestehenden Therapien. 

Die Herausforderung für das AMNOG-Verfahren stellen seit einigen Jahren Arzneimittel gegen seltene Erkrankungen, so genannte Orphan Drugs, und andere Arzneien mit bedingter Zulassung dar. Diese Arzneimittel unterliegen seitens der Zulassungsbehörden deutlich geringeren Nachweispflichten zu Wirksamkeit und Verträglichkeit. Daher wird die Zulassung meist unter der Bedingung erteilt, weitere Daten zu erheben. Da das Arzneimittel aber zugelassen ist, müssen die Kassen es bezahlen, auch wenn der Nachweis über den Nutzen erst im Rahmen der Regelversorgung erforscht wird.

Nutzen neuer Arzneimittel muss belegt sein

Pharmahersteller bringen aufgrund der geringeren Auflagen immer mehr Arzneimittel mit bedingter Zulassung auf den Markt, die sich in einem hochpreisigen Segment bewegen. Somit kann der Nutzen eines Arzneimittels im unmittelbar nach der Markteinführung startenden AMNOG-Verfahren in diesen Fällen gar nicht oder nur unzureichend ermittelt werden. Dies ist vor allem aus Sicht der Patientensicherheit kritisch. Der Nutzen neuer Arzneimittel muss in jedem Fall belegt sein, auch bei Orphan Drugs. Das AMNOG-Verfahren sollte an diese neuen Entwicklungen angepasst und flexibilisiert werden. Künftig sollten die Evidenz und der Preis, also die Therapiekosten, eines neuen Arzneimittels Kriterien dafür sein, wie dessen Einführung in Deutschland begleitet beziehungsweise gesteuert wird.

Bei Arzneimittelmitteln mit deutlich eingeschränkter Evidenz müssen zügig weitere Daten zu Risiken und Nutzen gewonnen werden. Dabei sollen auch die Routinedaten der Kassen berücksichtigt werden. Hierdurch können schneller Erkenntnisse zur Anwendung des Arzneimittels gewonnen werden, die wiederum den behandelnden Ärztinnen und Ärzten schneller zur Verfügung gestellt werden müssen.

Einsatz neuer Arzneimittel mit Datenauswertung begleiten

Bei hochpreisigen Medikamenten sollte die Verordnung auf besonders qualifizierte Schwerpunktpraxen oder Krankenhäuser beschränkt werden. Dort muss der Einsatz des neuen Arzneimittels zudem mit einer real-world-Datenerfassung und -auswertung begleitet werden, um schnell die Evidenzlage der Therapie zu verbessern. Bei Arzneimitteln mit guter Evidenzlage könnte das bisherige Verfahren beibehalten werden.

Eine Bevorzugung im Rahmen des Verfahrens durch die Unterstellung eines fiktiven Zusatznutzens sollte es künftig nur noch für jene Orphan Drugs geben, die als erste eine medikamentöse Therapie bei tatsächlich seltenen Erkrankungen ermöglichen und somit einen hohen medizinischen Bedarf adressieren. Alle anderen Orphan Drugs sollten sich einer regulären Zusatznutzenbewertung unterziehen müssen. Diese Verpflichtung würde zudem eine bessere vergleichende Datenlage für alle anderen Orphan Drugs gegenüber bereits verfügbaren Therapien fördern.