STANDORTinfo für Rheinland-Pfalz und Saarland

"Die Digitalisierung muss deutlich mehr Fahrt aufnehmen"

Lesedauer unter 3 Minuten

Helge Schwab ist gesundheitspolitischer Sprecher der rheinland-pfälzischen FREIE WÄHLER-Landtagsfraktion. Die Redaktion der STANDORTinfo befragte ihn zu aktuellen gesundheitspolitischen Themen.

Helge Schwab vor einer Tür.

Helge Schwab. Foto: FREIE WÄHLER-Landtagsfraktion 

Die FREIEN WÄHLER sind im Jahr 2021 erstmals in den rheinland-pfälzischen Landtag eingezogen und agieren aus der Opposition heraus. Was war aus Ihrer Sicht der wichtigste gesundheits- oder pflegepolitische Impuls, den Ihre Fraktion bisher setzen konnte?

Zu Beginn möchte ich als gesundheitspolitischer Sprecher anmerken, dass ich es für einen großen Fehler halte, dass die Pflege, als wesentlicher Akteur im Gesundheitswesen, aus dem Ressort Gesundheit ausgegliedert wurde. Es freut mich sehr, dass man seitens der Landesregierung unserem Vorschlag zur Anschaffung von Avataren gefolgt ist. Der Avatar ist ein kleiner app-gesteuerter Roboter für chronisch oder längerfristig schwer erkrankte Schülerinnen und Schüler. Sie können mit dem Hilfsmittel Avatar stellvertretend während ihrer Behandlung zumindest stundenweise am Unterricht in ihrer heimischen Klasse teilnehmen. Dies ist ein großer Schritt in Richtung Vereinbarkeit von medizinischer Behandlung mit sozialer Integration und schulischer Teilhabe. Nach der Genesung von einer solch schweren Erkrankung, zum Beispiel einer Krebserkrankung, erleichtert dies den Kindern den Wiedereinstieg in den schulischen Alltag und schafft einen guten Anschluss an die Schul- und Klassengemeinschaft.

Wo bestehen aus Ihrer Sicht die größten Defizite in der Gesundheits- und Pflegepolitik der rheinland-pfälzischen Landesregierung?

Angesichts der demografischen Entwicklung in Rheinland-Pfalz sind die Herausforderungen im Gesundheitswesen vielschichtig. Besonders die Sicherstellung der ambulanten und stationären medizinischen Versorgung im ländlichen Raum und die Gewinnung qualifizierter Fachkräfte in Medizin und Pflege sind drängende Probleme. Diese Herausforderungen betreffen alle Bereiche des Gesundheitswesens, zum Beispiel niedergelassene Haus- und Facharztpraxen, Krankenhäuser, Rettungsdienste, Apotheken und nichtärztlichen Heilberufe bis hin zu ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen. Im Pflegebereich verfolgen wir den Grundsatz ambulant vor stationär. Dies bedeutet, dass wir ein Netz aus kleinen und heimatnahen Pflegeeinrichtungen aufbauen wollen, um eine möglichst lange selbstbestimmte Lebensführung im eigenen Haushalt zu ermöglichen. Medizinisch brauchen wir eine Stärkung der Überleitung und Zusammenarbeit aller Sektoren. Ein Kriterium für Qualität ist auch die Wohnortnähe.

In ihrem Programm zur vergangenen rheinland-pfälzischen Landtagswahl hatten sich die FREIEN WÄHLER für eine Qualitätsoffensive in den Kliniken ausgesprochen und in diesem Zusammenhang den flächendeckenden Einbau von Klimaanlagen in Krankenhäusern gefordert. Wie kann die Qualität der rheinland-pfälzischen Krankenhäuser abseits von dieser Forderung im Sinne der Patientensicherheit gesteigert werden?

Garant für gute medizinische Versorgung ist ausreichend qualifiziertes ärztliches und nichtärztliches Personal. Immer noch werden zu viele Betten abgemeldet, weil qualifiziertes Personal fehlt. Krankenhäuser rutschen Reihenweise in die Insolvenz. Die bestehenden Personaluntergrenzen sind für eine gute Qualität unzureichend. Die Arbeitsbedingungen an deutschen Krankenhäusern lassen immer mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in andere Berufe abwandern. Dies betrifft leider auch das Rettungswesen. Wir müssen flexibler werden und Hierarchien abbauen. Für die Sicherstellung der medizinischen Behandlung brauchen wir schnellstmöglich die Aufstockung der Studienplätze im Fachbereich Humanmedizin um 450. Die Digitalisierung muss deutlich mehr Fahrt aufnehmen. Die Überleitung und die Zusammenarbeit zwischen den Sektoren und Fachbereichen muss ausgebaut und verbessert werden, ohne mehr Bürokratie! Und nicht zuletzt müssen die Länder ihrer Investitionspflicht fortführend konsequent nachkommen.

Als nur eines von drei Bundesländern unterstützt Rheinland-Pfalz Pflegeheimbewohnerinnen und Pflegeheimbewohner nicht finanziell bei der Begleichung von Pflegeheiminvestitionskosten. Wie bewerten Sie dies?

Die finanzielle Belastung der stationären Pflege für die Betroffenen und ihre Familien in Rheinland-Pfalz ist besorgniserregend. Der monatliche Eigenanteil liegt deutlich über dem Bundesdurchschnitt und stellt ein Armutsrisiko dar. Die aktuellen Entlastungszuschüsse sind unzureichend. Daher ist es dringend erforderlich, dass Rheinland-Pfalz in die Pflegeinfrastruktur investiert. 13 andere Bundesländer tun dies bereits. Im Sinne der Gleichbehandlung sollten wir uns an einer bundesweiten Förderstrategie orientieren. Anstatt nur an der Oberfläche zu kratzen, brauchen wir eine umfassende Pflegereform. Rheinland-Pfalz muss dringend Maßnahmen ergreifen, um die stationäre Pflege zu sichern und die Eigenanteile bezahlbar zu gestalten. Dies könnte den Eigenanteil für die Bewohner um bis zu 400 Euro reduzieren.