Heike Sander, Landesgeschäftsführerin
STANDORTinfo 1/2025

Wie ich es sehe: Landesgeschäftsführerin Heike Sander zur Situation in der Pflege

Lesedauer unter 4 Minuten

Redaktion

  • Heike Sander (Landesgeschäftsführerin Niedersachsen/Bremen)

Bereits zum siebten Mal hat die BARMER Landesvertretung gemeinsam mit der Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen Bremen den „Versorgungsdialog“ ausgerichtet. Mehr als 100 Personen aus Wissenschaft, Politik und Praxis haben drängende Fragen rund um das Thema Pflege diskutiert. Landesgeschäftsführerin Heike Sander erklärt, was aus ihrer Sicht für eine starke Pflege und ein starkes System getan werden muss.

Beim erstem Versorgungsdialog im Jahr 2019 haben wir uns die Frage gestellt, wie die sektorenübergreifende, qualitativ hochwertige, wohnortnahe und bedarfsgerechte Gesundheitsversorgung in Niedersachsen in 10 Jahren im Jahr 2029 aussehen sollte und auf welchem Weg wir dahin kommen.

In den folgenden Jahren haben wir uns mit der stationären Versorgung, den Vergütungsformen an der Grenze zwischen ambulant und stationär, der Digitalisierung, regionalen Modellen für eine zukunftsfähige sektorenübergreifende Versorgung und der Notfallversorgung auseinandergesetzt.

Denn gerade im Flächenland Niedersachsen, mit seinen unterschiedlichen ländlichen Regionen, benötigen wir neue Konzepte, um die Versorgung in Zukunft flächendeckend sicherzustellen.

Mittlerweile ist seit 2019 schon viel passiert – und noch viel mehr wird folgen müssen. Das Gesundheitswesen hat sich noch nicht so weiterentwickelt, wie es nötig gewesen wäre.

Starke Pflege braucht ein starkes System

Auch wenn die aktuelle Diskussion immer noch von der bundesweiten Krankenhausreform und der längst überfälligen Einführung der elektronischen Patientenakte geprägt wird, dürfen wir weitere wichtige Bereiche unseres Gesundheitswesens nicht aus dem Blick verlieren. Denn unser Gesundheitssystem steht unter immensem Druck. Drastischer Fachkräftemangel, steigende Nachfrage oder auch gesetzliche Ausweitung von Leistungen und stetig zunehmende Kosten verdeutlichen den Reformbedarf. Die massive Welle der Beitragserhöhungen in der Kranken- und Pflegeversicherung zu Beginn des Jahres hat es in den solidarischen Versicherungssystemen in dieser Form noch nie gegeben. Grundlegende Reformen sind jetzt notwendiger als jemals zuvor, damit Doppel- und Fehlversorgung reduziert werden. Nur dann lässt sich Versorgung mittelfristig gesellschaftlich bezahlbar und qualitativ angemessen sicherstellen.

Menschen in Deutschland sind immer länger pflegebedürftig

Der aktuelle BARMER-Pflegereport 2024 hat kürzlich gezeigt, dass Menschen in Deutschland immer länger pflegebedürftig sind. In den kommenden Jahren wird sich die durchschnittliche Pflegedauer nahezu verdoppeln. Zudem schnellen die Ausgaben je pflegebedürftiger Person in die Höhe. Die Soziale Pflegeversicherung überschreitet bereits jetzt ihre finanzielle Belastungsgrenze. Die Bundesregierung darf die Millionen Pflegebedürftigen und deren Angehörige nicht im Stich lassen und muss endlich für finanzielle Entlastung sorgen. Dazu gehört an erster Stelle die umgehende Befreiung der Sozialen Pflegeversicherung von versicherungsfremden Leistungen, so wie es die ehemalige Ampelregierung in ihrem Koalitionsvertrag vorgesehen hatte. Darüber hinaus müssen die Bundesländer die Kosten für Investitionen und Ausbildungsstrukturen übernehmen, wie eigentlich mal angedacht.

Eine wichtige Zahl geht in der öffentlichen Diskussion gerne mal unter: Mehr als 80 Prozent aller pflegebedürftigen Menschen in Deutschland werden zu Hause von ihren Angehörigen, Nachbarn oder mit Hilfe ambulanter Pflegedienste versorgt. Das Prinzip „ambulant vor stationär“ wird in Deutschland gelebt, die ambulante Pflege muss jedoch weiter gestärkt werden. So benötigen Pflegebedürftige und ihre Angehörigen organisatorische und finanzielle Entlastungen.

Nicht nur die Versorgungsdauer sondern auch die Zahl der Pflegebedürftigen steigt weiter stark an. Das bedeutet, dass die Versorgung in den nächsten Jahren ohne grundlegende Veränderungen zusammenbrechen könnte. Zu wenig Personal, weiter steigende Eigenanteile und eine Unfinanzierbarkeit des Systems.

Transparenz über das pflegerische Angebot

Außerdem benötigen wir Transparenz über das pflegerische Angebot in den Ländern, um die Suche nach knapper werdenden Angeboten der pflegerischen Versorgung zu erleichtern. Sowohl im Krankenhausbereich als auch in der Pflege fehlen belastbare Informationen über freie Kapazitäten. Ein gutes Beispiel für einen Lösungsansatz ist der Pflegeheimfinder in Nordrhein-Westfalen, der eine Online-Suche nach freien Kurzzeit- und Dauerpflegeplätzen ermöglicht. Diese Hilfestellung erleichtert auch den Sozialdiensten der Krankenhäuser das Entlassmanagement im Übergang zwischen stationär und ambulant. Auch wir in Niedersachsen brauchen dringend eine derartige Plattform! Diese sollte am besten zusammen mit Bremen entwickelt und betrieben werden, da es hier bekanntermaßen sehr viele Überschneidungen gibt.

Es braucht insgesamt eine grundlegende Reform der Pflege, die mit der Neudefinition der Rolle beruflicher (Fach-)Pflege einhergeht. Dies setzt eine in die Tiefe gehende – und besonders eine offene und ehrliche – Auseinandersetzung mit der Aufgaben- und Verantwortungsübernahme und dem Arztvorbehalt voraus – Themen, die schon seit Jahren mit viel Konfliktpotenzial in der fachlichen Diskussion verbunden sind.

Wie kann eine grundlegende Reform gelingen? Welche gesetzlichen Rahmenbedingungen braucht es? Welche Aufgaben kommen hier auf eine neue Bundesregierung zu und was können wir gemeinsam auf der Landesebene tun? Und welche zukunftsweisenden Ansätze aus der Praxis bieten Impulse für eine zukunftsorientierte Pflege? Diese und weitere Fragen müssen in der kommenden Legislaturperiode zwingend beantwortet werden.