Gefahren für Ungeborene durch riskante Medikamente

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Hannover, 1. Februar 2022 – Mehr als acht Prozent der niedersächsischen und Bremer Frauen im gebärfähigen Alter bekommen potenziell kindsschädigende Arzneimittel verordnet, sogenannte Teratogene. Laut aktuellem Arzneimittelreport der Barmer betrifft das in Niedersachsen jährlich mehr als 140.000 Frauen zwischen 13 und 49 Jahren, in Bremen rund 12.000. Problematisch wird die Einnahme entsprechender Medikamente ab dem Beginn einer Schwangerschaft. „Die grundsätzliche Verordnung von teratogenen Arzneimitteln vor einer Schwangerschaft ist nicht das Problem. Vor allem dann nicht, wenn verhütet wird. Spätestens mit Eintritt der Schwangerschaft darf aber kein teratogenes Arzneimittel mehr zum Einsatz kommen. Genau genommen muss der Schutz des Ungeborenen bereits davor beginnen“, sagt Heike Sander, Landesgeschäftsführerin der Barmer in Niedersachsen und Bremen. Um den Schutz zu verbessern, sollten auch Frauen im gebärfähigen Alter mit Dauermedikation einen Rechtsanspruch auf einen bundeseinheitlichen Medikationsplan erhalten. Aktuell besteht dieser erst, wenn mindestens drei Medikamente dauerhaft gleichzeitig eingenommen werden. „Derzeit wird die Arzneimitteltherapie unzureichend dokumentiert. Das führt zu gefährlichen Informationslücken zu Beginn der Schwangerschaft. Vor allem für Gynäkologinnen und Gynäkologen ist es schwer bis unmöglich, rechtzeitig teratogene Arzneimittel abzusetzen. Mit einem Medikationsplan schon ab dem ersten dauerhaft eingenommenen Medikament kann das Risiko für das ungeborene Leben bei einer notwendigen teratogenen Medikation massiv reduziert werden“, so Sander.

Nur wenige Frauen haben einen Medikationsplan

62 Prozent der Arzneimittelverordnungen erfolge durch Hausärzte, nur 24 Prozent durch Gynäkologen. 86 Prozent der Frauen mit Arzneimitteltherapie vor der Schwangerschaft hätten keinen Medikationsplan. Das zeige eine vertiefende Umfrage unter knapp 1.300 bei der Barmer versicherten Frauen, die 2020 entbunden haben. „Mit dem Eintritt der Schwangerschaft kommt es zu einem Wechsel des primären Ansprechpartners für die Arzneimitteltherapie – hin zum Gynäkologen – wobei oft eine Informationslücke entsteht. Der Schutz des Ungeborenen muss deshalb schon vor der Schwangerschaft beginnen. Dazu sollte die Gesamtmedikation junger Frauen grundsätzlich auf kindsschädigende Risiken geprüft werden“, sagt Sander. Nun seien nicht alle riskanten Wirkstoffe im selben Maße gefährlich. Es gebe aber „unzweifelhaft starke“ Teratogene, die das Risiko für grobe Fehlbildungen des Embryos auf bis zu 30 Prozent erhöhen würden.

Prüfung der Therapie nach Eintritt der Schwangerschaft kommt zu spät

Im Mittel bemerkten Frauen ihre Schwangerschaft in der fünften Schwangerschaftswoche. Die vulnerabelste Phase für den Embryo sei die Organogenese, die etwa bis zur elften Schwangerschaftswoche dauere. Entscheidend sei, in dieser Phase die Anwendung von teratogenen Arzneimitteln zu verhindern. „Unsere Umfrage hat gezeigt, dass die erste Besprechung der Sicherheit der Arzneimitteltherapie mit der behandelnden Ärztin oder dem behandelnden Arzt im Mittel häufig erst in der siebten Schwangerschaftswoche erfolgte. Das ist definitiv zu spät, weil zu diesem Zeitpunkt die Organogenese schon weit vorangeschritten ist und ein möglicher Schaden durch teratogene Arzneimittel bereits eingetreten sein könnte. Wer einen Medikationsplan führt, hat schon vor der Schwangerschaft einen Risikoüberblick“, sagt die Landeschefin der Barmer.

Barmer erprobt Frühwarnsystem

Die Barmer treibe mehrere Projekte voran, bei denen es auch darum gehe, dass riskante Verordnungen bei Schwangeren zu „never events“ werden könnten. Das seien grundsätzlich vermeidbare Ereignisse, die solche katastrophalen Konsequenzen hätten, dass sie nie auftreten dürften. Diese Klassifizierung von Ereignissen erfolge so bereits in Großbritannien. In Deutschland solle es durch das geplante Projekt eRIKA künftig möglich werden, dass Ärztinnen und Ärzte bereits beim Ausstellen eines Rezeptes automatisch Hinweise auf Arzneimittel erhielten, die in der Frühschwangerschaft problematisch sein könnten. Auch eine patientenfokussierte digitale Anwendung solle bereitgestellt werden, um ergänzend Schwangeren oder Frauen, die eine Schwangerschaft planen, derartige Warnhinweise zu geben.

Mehr zum Barmer-Arzneimittelreport unter www.barmer.de/p017179

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Pressesprecher Barmer Niedersachsen, Bremen
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Julia Franz
Pressesprecherin Barmer Niedersachsen, Bremen
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