Dr. Christos Pantazis
STANDORTinfo 2/2025

"Die Stabilisierung der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung hat für die SPD-Bundestagsfraktion die oberste Priorität."

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Dr. Christos Pantazis, geboren 1975 in Seelze, ist seit Mai 2025 gesundheitspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Pantazis vertritt seit 2021 den Wahlkreis Braunschweig im Deutschen Bundestag. Von 2013 bis 2021 war er Abgeordneter im Niedersächsischen Landtag und ab 2017 stellvertretender Vorsitzender der SPD-Landtagsfraktion. Bis zu seiner Wahl war Pantazis als Arzt in der Neurochirurgie am Städtischen Klinikum Braunschweig tätig. Dr. Christos Pantazis ist Vater von Zwillingen und lebt mit seiner Frau in Braunschweig.

Herr Pantazis, welche gesundheitspolitische Herausforderung muss die neue Bundesregierung als erstes angehen?

Dr. Christos Pantazis: "Die Stabilisierung der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung hat für die SPD-Bundestagsfraktion die oberste Priorität. Angesichts historisch hoher Beitragssatzsteigerungen am Anfang des Jahres und eines wachsenden Vertrauensverlusts in die Leistungsfähigkeit unseres Gesundheits- und Pflegesystems ist diese Legislatur gesundheitspolitisch von entscheidender Bedeutung für die Stabilität unseres Gesundheitssystems, aber auch für die Stabilität unseres demokratischen politischen Systems insgesamt.

Eine weitere gesundheitspolitische Herausforderung wird es sein, eine verbesserte Patientensteuerung zu erzielen. In diesem Zusammenhang ist eine grundlegende Reform der Notfallversorgung notwendig. Patientinnen und Patienten sollen dort versorgt werden, wo sie am schnellsten und am besten Hilfe erhalten.
In diesem Zusammenhang stellt das schrittweise aufzubauende Primärarztsystem, in dem Hausärztinnen und Hausärzte künftig als Lotsen im Gesundheitssystem fungieren, ein weiteres Element einer effizienteren Versorgung dar. Dieses muss so gestaltet sein, dass es den Patientinnen und Patienten einen klaren Vorteil bietet – zum Beispiel durch eine gute Koordination, kürzere Wartezeiten und eine bessere Versorgung insgesamt. Nur wenn das Primärarztsystem als verlässliches Modell überzeugt, wird es auch Akzeptanz finden. Hierfür gilt es jetzt die notwendigen Weichenstellungen vorzunehmen.
Aufgrund des demografischen Wandels werden zukünftig immer mehr Menschen auf medizinische und hier insbesondere pflegerische Leistungen angewiesen sein. Wir Politikerinnen und Politiker tragen die Verantwortung dafür, dass Gesundheits- und Pflegeversorgung auch künftig zuverlässig, wohnortnah und bezahlbar bleibt."


Sie waren selbst als Arzt in der Neurochirugie am Klinikum Braunschweig tätig. Welche Erfahrungen aus dem Klinikalltag prägen heute Ihre politischen Entscheidungen?

Dr. Christos Pantazis: "Aus meiner Zeit im städtischen Klinikum Braunschweig lasse ich insbesondere die Arbeitswirklichkeit der Beschäftigten des stationären Bereichs in meine politische Arbeit mit einfließen. Ich habe als junger Arzt die Einführung des DRG-Systems 2003/2004 selbst miterlebt und zu spüren bekommen, wie meine Kolleginnen und Kollegen im ärztlichen, aber auch im pflegerischen Bereich – wir alle zusammen - im sprichwörtlichen „Hamsterrad“ immer schneller immer mehr Patienten behandeln mussten, um die Betriebskostenrefinanzierung über den Anreiz der Fallmenge zu ermöglichen. Diese DRG-Überbetonung der zugrundeliegenden Finanzierungssystematik und ihrer offenkundigen Fehlanreize hat zu einer schleichenden Kommerzialisierung des medizinischen Betriebs geführt. Mein Ziel war und ist es deshalb, neben der Qualitätsverbesserung insbesondere auch die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten in unserem Gesundheitswesen zu verbessern."


Viele Bürgerinnen und Bürger sind durch die anstehende Krankenhausstrukturreform verunsichert. Sie befürchten, dass eine wohnortnahe Versorgung im ländlichen Raum – vor allem im Notfall – nicht mehr gesichert ist. Wie wollen Sie den Bürgerinnen und Bürgern diese Sorge nehmen?

Pantazis: "Bei der Entwicklung der Krankenhausreform haben wir die wohnortnahe Versorgung des ländlichen Raums insbesondere mit den sektorenübergreifenden Versorgungseinrichtungen im Blick gehabt und aktiv berücksichtigt. Der revolutionäre Nukleus der Krankenhausreform liegt in der Ausgestaltung der sektorenübergreifenden Versorgungseinrichtungen an sich, aber auch in Ihrer Öffnung für die ambulante Versorgung, was besonders vielen Krankenhäusern – hier auch für Sicherstellungshäuser – in ländlichen Regionen eine dauerhafte Perspektive bietet. Hierfür sind zur Sicherstellung einer flächendeckenden Versorgung Ausnahmeregelungen vorgesehen, die unbefristet gelten. Dadurch werden Patientinnen und Patienten von einem erweiterten Versorgungsangebot profitieren, während die Bundesländer ein zusätzliches Instrument zur Sicherung der ambulanten Versorgung erhalten. In diesen neuen Einrichtungen können Kurzzeitpflege, Übergangspflege und andere ambulante Leistungen und ausgewählte stationäre Leistungen gebündelt unter einem Dach angeboten werden.
Ferner führt die Reform zu einer Steigerung der Behandlungsqualität, in dem u. a. Anreize zur Konzentration bzw., Spezialisierung gesetzt werden damit komplizierte Fälle in den dafür bestmöglich ausgestatteten Krankenhäusern erbracht werden. Durch diese von uns bewusst gesetzten Anreize kann die Behandlungsqualität spürbar verbessert, Leben gerettet und unnötige Operationen vermieden werden. Mindestanforderungen an die Struktur- und Prozessqualität bieten großes Potenzial für bessere Behandlungsergebnisse. Dabei wollen wir 'Stärken stärken und Schwächen entnehmen!'."

Wie stehen Sie zu den Plänen, in der ambulanten Versorgung ein verbindliches Primärarztmodell einzuführen?

Pantazis: "Im Gesundheitsbereich wurde in der Vergangenheit das Prinzip vertreten, dass die Ausgaben nur insoweit gesteigert werden dürfen, wie auch die Einnahmen steigen. Dieses Prinzip wird aber schon seit längerem nicht mehr eingehalten, was unweigerlich zu einer stetigen Spreizung der Einnahme-Ausgaben-Schere geführt hat. Das Primärarztsystem, in dem Hausärztinnen und Hausärzte künftig als Lotsen im Gesundheitssystem fungieren, könnte hier mittelfristig Kosten sparen, da die Patientensteuerung künftig professionell-medizinisch erfolgen soll und unnötige Arztbesuche und womöglich lange Wartezeiten umgangen werden können.


Die Datenlage ist hierzu eindeutig: Im Jahr 2023 haben 51 Prozent der GKV-Versicherten ohne Überweisung Fachärztinnen und Fachärzte aufgesucht, obwohl sie im selben Jahr bereits in einer Hausarztpraxis waren. Das bindet wertvolle Ressourcen und verlängert Wartezeiten. Durch ein Primärarztsystem können wir Patientenströme besser lenken, unnötige Facharztbesuche vermeiden und gleichzeitig die qualitativ hochwertige fachärztliche Behandlung für die wirklich komplexen Fälle sichern. Hierbei ist es mir wichtig zu betonen, dass beispielsweise für die Augenheil- und Kinderheilkunde, aber auch der Gynäkologie, Ausnahmen vorgesehen sein sollten, da in diesen Bereichen die direkte Facharztanbindung aus Erfahrung vielfach essenziell ist. Für Patientinnen und Patienten mit einer spezifischen schweren chronischen Erkrankung werden wir ebenfalls geeignete Lösungen erarbeiten (zum Beispiel Jahresüberweisungen oder Fachinternist als steuernder Primärarzt im Einzelfall).


Ein Primärarztsystem muss so gestaltet sein, dass es den Patientinnen und Patienten einen klaren Vorteil bietet – zum Beispiel durch eine gute Koordination, kürzere Wartezeiten und eine bessere Versorgung insgesamt. Nur wenn das Primärarztsystem als verlässliches Modell überzeugt, wird es auch Akzeptanz finden. Hierfür gilt es jetzt die notwendigen Weichenstellungen vorzunehmen. Wenn Hausärztinnen und Hausärzte als verlässliche Lotsen fungieren, profitieren alle – Patienten erhalten schnelle Orientierung, Fachärztinnen und Fachärzte können sich auf spezialisierte, dringliche Fälle konzentrieren und insgesamt werden Ressourcen effizienter eingesetzt."

Vielen Dank für das Gespräch!