Keime in vergrößerter Darstellung
Pressemitteilungen aus Mecklenburg-Vorpommern

Barmer-Krankenhausreport – Anhaltend hohe Klinikinfektionen während der Pandemie

Lesedauer unter 4 Minuten

Schwerin, 7. Dezember 2021 – Jedes Jahr erwerben mehr als 12.600 Patientinnen und Patienten in Krankenhäusern in Mecklenburg-Vorpommern eine sogenannte nosokomiale Infektion. Knapp 500 Betroffene sterben jährlich an einer solchen Krankenhausinfektion. Seit Beginn der Corona-Pandemie hat sich diese Situation verschärft: Bis Ende des Jahres 2020 gab es in Mecklenburg-Vorpommern mehr als 600 zusätzlich Infizierte und mindestens 25 weitere Todesfälle aufgrund einer nosokomialen Infektion. Das geht aus dem aktuellen Barmer Krankenhausreport hervor.

„Auf den ersten Blick mag es überraschen, dass die Zahl der nosokomialen Infektionen während der Pandemie und den damit verbundenen strengen Hygienevorschriften zugenommen hat. Doch gerade während der ersten Welle lagen vor allem ältere Menschen auf den Stationen, die deutlich anfälliger für Infektionen sind. Hinzu kommt die hohe Arbeitsbelastung für das Klinikpersonal, dem es besonders in der ersten Welle mitunter auch an Schutzausrüstung mangelte“, sagt Henning Kutzbach, Landesgeschäftsführer der Barmer in Mecklenburg-Vorpommern.

Hygienestandards während Pandemie nicht komplett einhaltbar

Die benannten Hygienedefizite in Krankenhäusern seien keine Kritik am Pflegepersonal oder an den Ärztinnen und Ärzten, so Kutzbach weiter. Sie leisteten Enormes, das hätten sie in der Corona-Pandemie erneut unter Beweis gestellt. „Das Krankenhauspersonal war während der Corona-Pandemie offenbar so belastet, dass es die hohen erforderlichen Hygienestandards nicht immer vollständig einhalten konnte. Dabei ist das gerade in Pandemiezeiten ein extrem wichtiger Aspekt, der über Leben und Tod entscheiden kann“, sagt der Barmer-Landeschef.

Deutlicher Anstieg der im Krankenhaus erworbenen Infektionen

Wie aus dem Barmer-Report weiter hervorgeht, kam es in den Jahren 2017 bis 2019 durchschnittlich in rund 5,6 Prozent der Fälle zu einer nosokomialen Infektion. Dies geht aus einer Stichprobe von bundesweit fünf Millionen Fällen hervor. Unmittelbar zu Beginn der Pandemie stieg dieser Wert auf 6,8 Prozent an, was einem Zuwachs von über 20 Prozent binnen weniger Wochen entspricht. „Dass die Zahl der Krankenhausinfektionen während der Pandemie gestiegen ist, kann neben der veränderten Patientenstruktur und vulnerablen Fällen auch auf die erhöhte Arbeitsbelastung in Kliniken und Personalausfälle zurückgeführt werden“, sagt Henning Kutzbach. Denn auch wenn man die veränderte Patientenstruktur in den Berechnungen gesondert durch Adjustierung berücksichtige, zeige sich weiterhin ein Anstieg des Infektionsgeschehens um fast zehn Prozent in der ersten Pandemiewelle und um 17,5 Prozent in der zweiten Welle bis Ende des vergangenen Jahres.

Einhaltung von Hygienestandards kontrollieren

Um das Problem der Krankenhausinfektionen in den Griff zu bekommen, fordere die Barmer neben einem Masterplan für mehr Hygiene vor allem auch vermehrt unangekündigte Kontrolle durch den Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD). Auch deshalb sei eine Stärkung des ÖGD ein unausweichlicher Schritt und vollkommenen unabhängig von einer Pandemie notwendig. „Wenn Mängel Auslegungssache bleiben und lediglich moniert, aber nicht öffentlich dargestellt werden können, dann bleiben auch Kontrollen zahnlose Tiger“, sagt Henning Kutzbach. Deshalb solle der Gemeinsame Bundesausschuss mit dem Robert Koch-Institut eine Richtlinie mit verbindlichen Mindestanforderungen an die Struktur- und Prozessqualität zur Anwendung von Hygienemaßnahmen im Krankenhaus erarbeiten. Die Einhaltung dieser Mindestanforderungen sollten die Krankenhäuser dann in ihren Qualitätsberichten veröffentlichen müssen.

Krankenhausinfektionen gezielt und strukturiert bewerten

„In der Tat gab es gerade in der ersten Welle der Corona-Pandemie unzureichend Schutzmaterialien, die aber mehr auf den Arbeitsschutz fokussierten“, erklärt Dr. Kristina Biedermann, regionalverantwortliche Krankenhaushygienikerin der Helios Kliniken. „Maßnahmen am Patienten wurden aus unserer Sicht in der Regel ohne Einschnitte an den Hygienestandards durchgeführt.“ Den bundesweiten Anstieg der nosokomialen Fälle mit einem Mangel an Hygiene-und Pflegematerialien zu begründen, sei daher zu kurz gegriffen. Und auch die Belastung des medizinischen Personals in der Pandemie spielt nur zum Teil eine Rolle: „Personalknappheit, einer der wichtigen Faktoren in der Betrachtung von Krankenhausinfektionen, hat es natürlich gegeben“, so Dr. Biedermann. „Es gab Extrembelastungen, es gab ausgedehnte Phasen von hohen Krankenständen und Mitarbeitern in Quarantäne. Aber über Stationsschließungen und die ohnehin vorgenommene Bettenreduktion konnte dies jedoch – zumindest ein Stück weit – kompensiert werden.“

Um die Gruppe der nosokomialen Infektionen und deren Anstieg bewerten zu können, ist vor allem eine sehr detaillierte Betrachtung wichtig. Dr. Biedermann: „Unterschiedliche Infektionsarten, z. B. in der Intensivmedizin oder postoperative Wundinfektionen, sollten in differenzierter Art und Weise betrachtet und auch kommuniziert werden.“ Außerdem, so die Hygienikerin, sei es kaum möglich, wirklich alle im Krankenhaus erworbenen Infektionsarten gezielt und strukturiert bewerten zu können. Wobei es schon interessant wäre zu wissen, welche Infektionsart in der Pandemie zugenommen hat und aus welcher Basis die entsprechenden Daten gesammelt wurden.

Hygiene seit Pandemiebeginn mehr denn je Thema

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Entwicklung der multiresistenten Erreger. Laut Auswertungen der Helios Kliniken haben sie abgenommen, ebenso wie Ausbrüche mit viralen Durchfallerregern, wie z. B. den Noroviren. „Die Aussage, dass Krankenhausinfektionen in der Pandemie zugenommen haben, ist daher aus Sicht der Krankenhaushygiene nicht eindeutig zu belegen“, so Dr. Biedermann, „zumal ja auch das veränderte Risikoprofil der Patientinnen und Patienten während der Pandemie berücksichtigt werden muss.“ Seit Beginn der Pandemie war die Hygiene mehr denn je ein Thema in den Köpfen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und auch Gegenstand zahlreicher Schulungen, so die Expertin. „Ein Nachlassen der Hygienestandards ist aus Sicht der Krankenhaushygiene definitiv kein Aspekt der Pandemie. Die Einhaltung der Standards ist ein dauerhaftes Thema in den Hospitationen und Compliancebeobachtungen von Seiten der Hygienefachkräfte in den Kliniken.“

Kontakt für die Presse:

Franziska Sanyang
Pressesprecherin Barmer Mecklenburg-Vorpommern
Telefon: 0800 33 30 04 65 3340
E-Mailpresse.mv@barmer.de
Twitter: twitter.com/BARMER_MV