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Die Patientensicherheit liegt ihnen sprichwörtlich im Blut

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Blut ist ein kostbares Gut. Ob als lebensnotwendige Körperflüssigkeit im Herz-Kreislauf-System oder als lebensrettende Blutkonserve: Unnötiger Blutverlust kann zu gesundheitlichen Komplikationen führen und sollte stets vermieden werden. Prof. Patrick Meybohm und Prof. Kai Zacharowski von der Frankfurter Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin und Schmerztherapie haben deshalb das deutsche Patient Blood Management (PBM)-Netzwerk mitbegründet.

PBM ist ein Maßnahmenkatalog, der die körpereigene Ressource Blut bei medizinischen Eingriffen schützt und zu einem sparsamen Umgang mit Fremdbluttransfusionen beiträgt. Besonders im Fokus steht das Krankheitsbild Anämie (Blutarmut), das laut Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation ganze 25 Prozent der Weltbevölkerung betrifft. Mit einem Mix aus Diagnostik, Anämiebehandlung und blutsparenden Behandlungen geht PBM gegen unnötigen Blutverlust vor. Zacharowski und Meybohm konnten mit der PBM-Methode in ihrem Klinikum die Menge an Fremdbluttransfusionen um fast 50 Prozent reduzieren. Diese Reduktion senkt das Risiko für Nebenwirkungen und Komplikationen, die im schlimmsten Fall sogar tödlich enden können, denn bereits die Verabreichung einer Fremdbluttransfusion ist unter anderem mit einem mehr als doppelt so hohen Risiko für Schlaganfall und Herzinfarkt assoziiert. PBM trägt also wesentlich zur Patientensicherheit bei Krankenhausbehandlungen bei. Dies zeigt auch der aktuelle Barmer Krankenhausreport, der das Patient Blood Management anhand pseudonymisierter Versichertendaten kritisch überprüft hat. Der Krankenhausreport stellt das PBM-Netzwerk, dem bundesweit 22 Krankenhäuser angehören, vor und analysiert den Einsatz von Blutkonserven mit besonderem Blick auf das Krankheitsbild Blutarmut (Anämie). Wir haben Prof. Meybohm und Prof. Zacharowski einige Fragen gestellt.

Patient Blood Management wird häufig in Verbindung mit Anämie als Vorerkrankung gebracht. Hier kann das System erwiesenermaßen viel zur Patientensicherheit beitragen. Wie verhält es sich aber mit Patientinnen und Patienten, die nicht anämisch sind. Kann PBM auch abseits der Anämie helfen?

Portraitfoto Prof. Dr. Patrick Meybohm

Prof. Patrick Meybohm: Ja auf jeden Fall! PBM ist ein umfassendes Maßnahmenbündel mit mehr als 100 Einzelmaßnahmen. Neben präoperativer Vorbereitung und Anämiemanagement stehen vor allem die Vermeidung von unnötigen Blutverlusten im Rahmen der Labordiagnostik, von Operationen und bei Notfällen im Fokus.

Portraitfoto Prof. Dr. Kai Zacharowski

Prof. Kai Zacharowski: Ein optimales Blutungs- und Gerinnungsmanagement sowie der rationale Einsatz von Fremdblutprodukten hilft Patientinnen und Patienten mit und ohne Anämie. Mit der Vielzahl an PBM Maßnahmen können körpereigene Blutreserven geschont und unnötige Transfusionen vermieden werden.

Welche Rolle spielen ambulante Versorgung, Nachsorge und Entlassmanagement für PBM? Ist eine Entwicklung des Systems über die medizinischen Versorgungssektoren hinweg denkbar und sinnvoll?

Prof. Kai Zacharowski: Unbedingt! Der Erfolg von PBM wird durch eine enge Zusammenarbeit der Sektoren und intersektorale Kommunikation sogar noch verstärkt. Zugleich bietet PBM auch eine Chance für eine stärkere Verzahnung der verschiedenen Sektoren. PBM schweißt zusammen, was im Sinne der Patientensicherheit zusammen gehört und mitunter aus bürokratischen oder organisatorischen Gründen getrennt wurde.

Prof. Patrick Meybohm: Die Behandlung einer Blutarmut kann bei planbaren Operationen weit im Vorfeld eines chirurgischen Eingriffs im ambulanten Bereich – zum Beispiel in der Hausarztpraxis – stattfinden. Ebenso kann und muss das perioperative Management von Patienten mit Blutverdünnern (Antikoagulantien) zwischen den verschiedenen Sektoren abgestimmt werden, um unnötige Nebenwirkungen, wie z.B. Blutungen, oder neue Gefäßverschlüsse (thrombembolische Ereignisse) zu vermeiden

Prof. Kai Zacharowski: Im Rahmen des Entlassmanagements spielt die im Krankenhaus erworbene Anämie eine wesentliche Rolle. Neue Daten zeigen, dass nahezu jeder Patient nach einer größeren Operation zum Zeitpunkt der Krankenhausentlassung unter einer Anämie leidet. Hier muss neben präventiven Maßnahmen zur Vermeidung unnötiger Erythrozytenverluste auch ein Anämiemanagement nach der Operation stärker in den Fokus rücken. Blutarmut sollte nach dem Krankenhausaufenthalt unbedingt ambulant weiter behandelt werden, um vermeidbare Komplikationen oder Neuerkrankungen zu vermeiden.

Blut spielt in vielen gesellschaftlichen Bereichen eine große Rolle. Es prägt religiöse Vorstellungen und Rituale wie das christliche Abendmahl, Rechtsgrundsätze und Kunst. Es bietet immer noch Potential für Mythologisierungen. Was ist Blut für Sie?

Prof. Kai Zacharowski: Blut übernimmt für unseren Körper tausende von Funktionen: Sauerstofftransport, Transport von Energie und Abwehrstoffen, Immunabwehr, Wundheilung und viele mehr. Blut ist deshalb für mich ein Naturwunder und eine der kostbarsten Ressourcen überhaupt.

Prof. Patrick Meybohm: Trotz zahlreicher Forschungsansätze konnte Blut bislang noch nicht künstlich hergestellt werden. Je mehr sich das Blut seiner perfekten Kopie entzieht, desto geheimnisvoller wirkt es.
Dies zeigt auch, dass wir keine Alternative zur körpereigenen Blutherstellung haben und spricht für eine maximale Schonung der eigenen bzw. der Blutreserven von Patienten und Schwerkranken.