STANDORTinfo für Hessen

Krankenhausplanung braucht Mut

Lesedauer unter 5 Minuten

Die hessische Krankenhauslandschaft bietet mit ca. 130 Häusern und mehr als 35.000 Betten ein scheinbar gutes Verhältnis von Kapazitäten pro Einwohner. Dennoch ist eine optimale Versorgung, in der Erreichbarkeit und medizinische Wertigkeit in einem guten Verhältnis stehen, nicht überall gewährleistet. Obwohl es paradox wirkt: Alles Notwendige ist vorhanden, aber nicht unbedingt da wo es benötigt wird. Personalmangel, fehlende Ausstattung und unzureichende Routine reduzieren oft die Behandlungsqualität. Mit einer Konzentration von Ausstattung und Personal an ausgewählten Standorten für medizinisch komplexe Behandlungen ließe sich dem entgegensteuern. Der Veränderung stehen aber häufig Versorgungsängste und Verunsicherung entgegen. Gute Lösungen können wir deshalb nur gemeinsam entwickeln.

Neonatologie: Die Versorgungslage in Hessen

An Hessens Neonatologie, der medizinischen Versorgung von Frühgeborenen, lässt sich die Problemlage exemplarisch aufzeigen. Allein das Rhein-Main Gebiet verfügt über sechs Geburtskliniken der höchsten Versorgungsstufe (Level I). Keines dieser Krankenhäuser kann aktuell alle Kriterien, die der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) zur Qualitätssicherung beschlossen hat, uneingeschränkt erfüllen. Diese betreffen unter anderem die Mindestanforderungen an die pflegerische Versorgung von Frühgeborenen. Der Grund: Personalmangel.

Aus einem "Klärenden Dialog" mit den Krankenhäusern berichtet eine Fachgruppe dem G-BA. Sie kam kürzlich zu dem Ergebnis, dass die Mindestanforderungen in keinem der elf hessischen Level I-Geburtskrankenhäuser erfüllt werden. Selbst im Ballungsgebiet Frankfurt gelingt es nicht, personelle Ressourcen so zu konzentrieren, dass die Qualitätskriterien für eine sichere und qualifizierte pflegerische Frühchenbetreuung uneingeschränkt erfüllt werden.

Ein vergleichbares Bild zeigt die hessische Adipositaschirurgie. Die bariatrische Chirurgie hilft stark Übergewichtigen bei medizinisch notwendiger Gewichtsreduktion. In der Regel stehen diese Eingriffe am Ende einer medizinischen Maßnahmenkette. In 2017 haben in Hessen 18 Krankenhäuser – davon liegen fünf im Versorgungsgebiet Frankfurt/Offenbach – Patientinnen und Patienten bariatrisch versorgt. In einem Viertel dieser Häuser werden diese komplizierten, chirurgischen Eingriffe weniger als ein Mal im Monat durchgeführt. Eine sichere, auf Erfahrung basierende Routine von Chirurgen und medizinischem Personal bei der Operation sowie bei der medizinischen Nachversorgung ist fraglich.

Ein erster Schritt zur Qualitätssicherung ist die Zertifizierung von Krankenhäusern über die Deutsche Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie (DGAV), die Ausstattung, Qualifikationsmerkmale und Mindestfallzahlen für eine sichere adipositaschirurgische Versorgung voraussetzt. Jene sechs Krankenhäuser in Hessen, die ihre bariatrische Chirurgie zertifizieren ließen, verzeichnen angemessene Fallzahlen pro Jahr. Vier zertifizierte Standorte befinden sich im Versorgungsgebiet Frankfurt/Offenbach. Von den anderen 13 hessischen Kliniken, die diese Operationen durchführten, ist nur eine zertifiziert. Die spezifische Mischung aus mitunter geringen Fallzahlen und ungleich verteilten Zertifizierungen zeigt die Notwendigkeit, planerisch auch Qualitätskriterien in den Blick zu nehmen.

Radikale Forderungen der Bertelsmann Studie – Hessen verdient mehr als nur Rationalisierung

Das beschriebene Strukturdefizit ist auch Gegenstand einer viel diskutierten Bertelsmann Studie zur gesamtdeutschen Krankenhauslandschaft. Die aus der Studie abgeleiteten Forderungen wirken allerdings radikal: Eine Reduktion von bundesweit etwa 1650 Krankenhäusern auf weniger als 600.

Hessen benötigt sicherlich mehr als eine rigorose Ressourcenallokation. Die gesundheitspolitische Gestaltung der Krankenhauslandschaft hat soziale, kulturgeografische und arbeitsweltliche Dimensionen. Sie muss besonders die Versorgung ländlicher Regionen in den Blick nehmen. Sie erfordert deshalb sicherlich mehr Maß, Geduld und Verantwortung als die mathematische Perspektive der Studie abbilden kann. Aber auch die Versorgungsforschung der Barmer zeichnet ein klares Bild des Reformbedarfs. Medizinische Zentrenbildung, sektorenübergreifende Versorgung, Ressourcenkonzentration, Logistik und Infrastrukturausbau bilden gute Instrumente für eine umsichtige Versorgung, die sich vorrangig am Patientenwohl orientieren sollte.

Krankenhausplanung verbindlich dynamisieren

Aus der geschilderten Situation lässt sich eine gesundheitspolitische Forderung ableiten: Die Anpassung der hessischen Krankenhauslandschaft muss vom Hessischen Ministerium für Soziales und Integration (HMSI) und dem verantwortlichen Landeskrankenhausausschuss verantwortlich, maßvoll, gesetzlich verbindlich und vor allem zukunftssicher umgesetzt werden.

Das 2018 zuletzt novellierte Hessische Krankenhausgesetz verweist in §19 auf die Qualitätsindikatoren des G-BA für Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität in der stationären medizinischen Versorgung und legt die Verantwortung für eine entsprechende Planung in die Hände der Länder. Mit Blick auf die aktuellen G-BA Qualitätsrichtlinien weist die hessische Neonatologie ein erhebliches Defizit auf. Es besteht deshalb ein deutlicher Handlungsbedarf.

Vorhandene Ressourcen effektiv nutzen

Die angeführten Argumente wirken zunächst schematisch. Sie kreisen um ein abstraktes Problem effektiver Ressourcenverteilung. In ihrem Fokus steht aber das Ziel, dass die zur Verfügung stehenden Mittel dem Wohl und der Sicherheit der Menschen dienen sollen. Selbst wenn ausreichende Mittel zur Verfügung stehen, so ist dies keine Garantie für Patientenwohl und Patientensicherheit. In ineffektiven Strukturen können Aufwendungen leider schnell versickern. Hierzu hält der Deutsche Ethikrat in seiner Stellungnahme zur Krankenhausversorgung 2016 fest:

Weil Ressourcen nie unbegrenzt vorliegen, müssen sie gerecht und effizient verteilt werden. Ineffiziente und uneffektive Ressourcenallokation erzeugt Ungerechtigkeit und ist daher nicht nur aus ökonomischen, sondern auch aus ethischen Gründen zu vermeiden. Deshalb gehören Allokationsüberlegungen intrinsisch in solche ethischen Überlegungen; sie sind für die Erreichung des Patientenwohls ein notwendiges, wenn auch nicht hinreichendes Kriterium.“ (Stellungnahme des Deutschen Ethikrates 2016, S. 37 ff.)

In einer demografischen Entwicklung, in der eine steigende Zahl älterer Menschen Gesundheitsleistungen benötigt, erhöht sich der Handlungsbedarf zusätzlich. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen hält 2018 fest, dass sich Effizienz und die Sorge um das Patientenwohl nicht widersprechen:

Damit der einzelne Mensch und sein Wohl im Mittelpunkt des konkreten ärztlichen, pflegerischen und sonstigen gesundheitsbezogenen Bemühens stehen kann, muss in einem solidarisch finanzierten Gesundheitssystem darauf geachtet werden, dass die vorhandenen Ressourcen […] effektiv und effizient genutzt werden.“ (Kurzfassung des Gutachtens Bedarfsgerechte Steuerung der Gesundheitsversorgung 2018, S. 46)

Instrumente zur Strukturveränderung zeigen Wirkung

In einer ersten Auflage zeigte der Strukturfonds in Hessen Erfolge: vier Konzentrationsmaßnahmen wurden in einer Höhe von mehr als 55 Millionen Euro gefördert; in Verbindung mit zwei Krankenhausschließungen konnte das Gesamtfördervolumen von rund 73 Millionen ausgeschöpft werden.

Der Krankenhaus-Strukturfonds 2.0 stellt den hessischen Krankenhäusern in den Jahren 2019 bis 2022 rund 280 Millionen Euro zur Verfügung. Mit diesen Mitteln sollen vorrangig Schließungen nicht bedarfsnotwendiger Krankenhäuser, Konzentrationsmaßnahmen und Umwandlungen von stationären Versorgungsangeboten finanziert werden. Um diese Versorgungsstruktur in Hessen stärker an Qualität auszurichten, müssen die zur Verfügung stehenden Mittel jetzt genutzt werden, um Über- und Fehlversorgung abzubauen. Hier erwarte ich, dass Krankenhäuser selbst aktiv werden und die eigene Rolle in der Versorgungsstruktur überdenken. Bei einem verantwortungsvollen Einsatz können die Fördermaßnahmen des Strukturfonds auch über den Bereich akutstationärer Versorgung hinauswirken.

Eine Krankenhausplanung mit dem Willen zur Strukturanpassung schafft in diesem Sinne auch eine nachhaltige Entwicklung für Hessen; die Mittel stehen bereit.